myheimat.de setzt auf dieser Seite ggf. Cookies, um Ihren Besuch noch angenehmer zu gestalten. Mit der Nutzung der AMP-Seite stimmen Sie der Verwendung von notwendigen und funktionalen Cookies gemäß unserer Richtlinie zu. Sie befinden sich auf einer sogenannten AMP-Seite von myheimat.de, die für Mobilgeräte optimiert ist und möglicherweise nicht von unseren Servern, sondern direkt aus dem Zwischenspeicher von Drittanbietern, wie z.B. Google ausgeliefert wird. Bei Aufrufen aus dem Zwischenspeicher von Drittanbietern haben wir keinen Einfluss auf die Datenverarbeitung durch diese.

Weitere Informationen

Ein Brunnen der Expo 1900 sprudelt am Markt

  • Springes Marktplatz gegen 22.30 Uhr Sommerzeit.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas

Mittelalterliche Romantik pur? Ganz im Gegenteil: Wer damals seinen Job machte, galt landläufig als Dussel ohne Dusel. Mit so einem Broterwerb war einfach kein Staat zu machen: Der Nachtwächter musste mit einem Hungerlohn auskommen und blieb ohne Ansehen und Anerkennung. Gerhard Mestwerdt, seit genau zehn Jahren als Ratsnachtwächter in Springes Diensten, kann davon aber kein Lied singen: Reichtümer sind dem Ruheständler mit diesem Ehrenamt auch heute nicht vergönnt. Über mangelnde Wertschätzung muss er sich aber nicht beklagen. In seiner Rolle als Ratsnachtwächter Heinrich ist Mestwerdt einer der sympathischsten Botschafter der früheren Kreisstadt am Deister.

Was für ein Makel haftete dieser Branche an? Warum galt so ein Mann in jenen Jahrhunderten als unehrenhaft, als das kleine und große Geschäft menschlicher Notdurft noch mehr oder weniger in der Gosse landete. Als der Springer buchstäblich noch auf den Topf ging. Bader, Schäfer, Köhler, Totengräber oder Scharfrichter und Schauspieler hatten in jenen Zeiten ebenfalls keine Chance. Ihre Dienstleistungen und ihr Gewerbe waren ebenso verrufen, weil sie mit den Schattenseiten des Lebens oder wechselnden Aufenthaltsorten zu tun hatten. Daher blieb ihnen nur der äußerste Rand der feudalen Ständegesellschaft. Ansehen hingegen genossen nur Berufe von Handwerkern oder Kaufleuten, die in Zünften und Gilden anerkannt und organisiert waren. So besaßen Schuster, Schneider, Schlachter und Schmiede Zunftwappen, auch Zimmerer, Dachdecker, Bäcker, Krämer und Händler.

Türmer und Nachtwächter jedoch nicht, obwohl sie innerhalb einer mit Mauern und Türmen befestigten Stadt durchaus ehrenwerte Aufgaben erfüllten. »In historischer Zeit führten Nachtwächter einen wichtigen Polizeidienst aus.« Darauf verweist der Verein der Deutschen Gilde heutiger Nachtwächter, Türmer und Figuren auf seiner Webseite. »Ihr nächtlicher Kontrollgang durch Straßen und Gassen mit dem Ansagen der Stunden sollte für Ruhe und Ordnung innerhalb der Stadtmauern sorgen und die schlafenden Bürger vor Feuern, Feinden und Dieben schützen. Sie besaßen das Recht, verdächtige Personen anzuhalten, zu befragen oder zu verhaften." Dass ihr Dienst nicht ungefährlich war, zeigt ihre Bewaffnung. Neben Laterne und Signalhorn führten sie eine Hellebarde mit sich. Die Hieb- und Stoßwaffe mit axtförmiger Klinge und scharfer Spitze am langen Stiel wurde auch Nachtwächterspieß genannt.

So Furcht einflößend seine Waffe auch wirken mag, sein Auftreten ist alles andere als streitbar. So humorvoll und kundig, gespickt mit Anekdoten, historischen Bezügen und Erläuterungen zur Herkunft und Bedeutung landläufiger Redensarten, hat die Donnerstagsrunde selten einen Rundgang durch eine Altstadt erlebt. So kurzweilig wie die Zeit mit ihm verstrich hat der amtierende Weltmeister schon lange kein Fußballspiel samt Verlängerung und Elfmeterschießen mehr abgeliefert. Ein Jahrzehnt pflegt der Laatzener das Gastspiel auf Springer Boden jetzt schon und dies mit so viel Inbrunst und Herzblut, dass Bürgermeister und Gilde ihn am Sonnabend zum Zehnjährigen in einer Feierstunde im Alten Springer Rathaus hochleben ließ.

Zwei Tage zuvor hatte Mestwerdt der Donnerstagsrunde aus dem Nähkästchen eines Nachtwächters geplaudert und dabei viel Lehrreiches wie Unterhaltsames preisgegeben. Warum beispielsweise verfügen die Häuser am Marktplatz, die fast auf Tuchfühlung gebaut sind, über Fenster an den gemeinsamen Gatzen? Wohin sich kaum ein Sonnenstrahl verirrt. Nun: In den Zeiten vor jeglicher Kanalisation dienten die Öffnungen als Ausguss von Nachttopf und Co in die schmale Gosse. Das war fast eine humane Form der Entleerung. Schütteten doch die Bewohner in größeren Städten und dichter besiedelten Straßenzügen ihre einschlägigen Behältnisse nach Einbruch der Dunkelheit aus den oben gelegenen Fenstern nicht selten auf die unten entlang hetzenden Passanten aus. Wie viel Dreck sich auf den Straßen anhäufte, dafür fehlt uns heute einfach die Vorstellungskraft. Damit die Bürger auf den Wegen und in den Gassen nicht in der stinkenden Brühe waten mussten, waren in einigen Städte Gang- oder Gehsteige aus Holz angelegt worden, die abends dann hochgeklappt wurden. So erläuterte der Ratsnachtwächter recht plausibel die Redensart von den nachts hochgeklappten Bürgersteigen. Mit diesem Bann strafen unternehmenslustige Zeitgenossen Innenstädte ab, in denen abends absolut nichts mehr los ist.

Mehr Licht als Schatten hatte Springe aber auch früher schon: Dank der Großzügigkeit des damaligen Sanitätsrates Dr. Heinrich Seebohm ziert ein Schaustück der Pariser Weltausstellung von 1900 heute noch den Marktplatz: der mit Jugendstilmotiven verzierte Marienbrunnen. Obendrauf trägt das Andenken aus Paris quasi noch einen heimischen Eingangsstempel: Die Holzleserin mit der Reisigkiepe auf dem Rücken. Früher durfte jedermann so viel Holz im Stadtwald aufsammeln, wie er in der Kiepe wegtragen konnte. An das alte kommunale Gewohnheitsrecht erinnert diese Figur. Auf ihr Schmuckstück der Expo 1900 waren die Springer schon immer mächtig stolz: Im Internet sind Ansichtskarten des Marienbrunnens bereits aus dem Jahr 1905 zu finden.

Wer den Ratsnachtwächter selbst erleben möchte, kann sich auf dieser Webseite des Stadtmarketings Springe schlaumachen. Dass Springe eine Stadt des Lichts ist, erleben die Besucher bei ihrem Stadtspaziergang, sobald die Dämmerung weit genug fortgeschritten ist. Da erst entfaltet die Kleinstadt am Deister einen wahrhaft illuminierten Charme.

  • Springes Marktplatz gegen 22.30 Uhr Sommerzeit.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 1 / 27
  • … führt Gerhard Mestwerdt ...
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 3 / 27
  • … als Ratsnachtwächter Heinrich ...
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 4 / 27
  • … Auswärtige und Einheimische ...
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 5 / 27
  • … durch die malerischen Straßen ...
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 6 / 27
  • … der früheren Kreisstadt Springe.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 7 / 27
  • Wer dem Ratsnachtwächter folgt, hat sich einen unvergesslichen Tag gepflückt. Eben: Carpe Diem, (Inschrift am Peterschen Haus, Springes Schmuckstück am Markt).
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 8 / 27
  • Aus den Fenstern an den Innenseiten der Stadthäuser entleerten die Bewohner früher ihre Nachttöpfe in die Gatze, die Gosse.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 9 / 27
  • Ein Detail des Marienbrunnens auf dem Springer Markt, der nach der Pariser Weltausstellung von 1900 an den Deister kam.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 11 / 27
  • Sitzt seit fast drei Jahrzehnten namenlos auf dem Springer Markt: die Marktfrau in Bronze, daneben Ratsnachtwächter Gerhard Mestwerdt und Kurt Battermann von der Donnerstagsrunde.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 12 / 27
  • Der Nachtwächter ist mit der Donnerstagsrunde am Ratskeller angekommen.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 13 / 27
  • Der Turm von St. Andreas gegen 22 Uhr Sommerzeit.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 15 / 27
  • Beleuchtetes Hausportal auf dem Kirchhof von St. Andreas.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 16 / 27
  • Der angestrahlte Turm von St. Andreas gegen 23 Uhr Sommerzeit.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 17 / 27
  • Im Licht vereint: Plastik vor dem Springer Rathauseingang.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 18 / 27
  • Springes Polizeirevier neben dem Rathaus.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 19 / 27
  • Die Bohnstraße, die zum Rückweg der Stadterkunder zum Alten Rathaus zählte.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 20 / 27
  • Am Markt, Blick in die Burgstraße, am Peterschen Haus vorbei.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 21 / 27
  • Vor der schmucken Fassade des Amtsgerichts.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 22 / 27
  • Blaue Stunde am Springer S-Bahnhof.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 23 / 27
  • Springes Bahnsteig im Zwielicht, im Hintergrund der Ebersberg des Großen Deisters.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 24 / 27
  • Illuminierter Bahnhofszugang.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 25 / 27
  • S-Bahn-Ankunft aus Hannover.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 26 / 27
  • Tschüss Springe, bis zum nächsten Abendspaziergang mit dem humorvollen Ratsnachtwächter.
  • hochgeladen von Clemens Wlokas
  • Bild 27 / 27

Weitere Beiträge zu den Themen

Donnerstagsrunde HannoverDämmerungSpringeRatsnachtwächter HeinerichRatsnachtwächterStadtrundgangDonnerstagsrundeDämmerungsaufnahmeDeisterAltstadt

7 Kommentare

Ach, Karin, dafür ist die Länge mein Feind. Halbe Romane will doch auf dem Portal niemand wirklich lesen. Dafür bleibt in unserer schnelllebigen Zeit im Takt des iPhones weder Luft noch Ruhe.

Clemens, dieses Problem kennen wir, die wir doch schon einige Jährchen dabei sind, zur genüge. 2009 habe ich in Etappen die Myheimat User mit auf eine Karibikreuzfahrt genommen...diese viele Arbeit würde ich mir heute nicht mehr machen....doch alle "über einen Kamm scheren" gefällt mir auch nicht.
Und die Länge eines Berichtes als Feind zu bezeichnen....nöööö....ich kenne nur Feinde in der Musik, nämlich die vielen Vorzeichen, grrrrr!
LG Karin

Schöner Beitrag, Clemens - und nein, ich finde ihn überhaupt nicht zu lang!

Beteiligen Sie sich!

Hier können Sie nur eine begrenzte Anzahl an Kommentaren sehen. Auf unserer Webseite sehen Sie alle Kommentare und Ihnen stehen alle Funktionen zur Verfügung.

Zur Webseite

Themen der Woche

SaisonstartTVB

Meistgelesene Beiträge