"Die Kassiererin" - nur eine Geschichte

Sie hat ihren Kollegen abgelöst und wieder dort Platz genommen, wo man sie dreimal wöchentlich von 18 - 22 Uhr antrifft, seit zwei Jahren neben ihrer Discountermontur auch mit Maske ausgestattet. Einerseits lästig, andererseits wie ein Schutzwall. Damals bekam man von manchem Kunden noch ein Blümchen. Die Zeiten sind vorbei. Den Stuhl noch etwas nach oben verstellt. Und schon geht's los. Waren über den Scanner ziehen, aufs Piepen bestens konditioniert. Manche Waren sind widerspenstig, aber geben letztendlich doch immer - nein, fast immer - nach. 43,65 Euro. Ah, mit Karte. Kann ich Ihnen helfen? Wollen Sie die Treuepunkte? Den Bon? Nein, er verschwindet im Müll unter der Kasse.

Es sind vier geregelte Arbeitsstunden, die sie als Wertschätzung empfindet. Keine besonderen Überraschungen, ein Job, der längst Routinestatus hat. Der Umgang mit den Kunden gefällt ihr, so verschieden diese auch sind. Manche sind muffig, machen den Eindruck, nicht sprechen zu können, andere sind sehr redselig, zumeist auch sehr freundlich. Netter Smalltalk. Gelegentlich kommt auch ein Bekannter oder eine Bekannte. Man duzt sich.
Heute Abend ist viel los, die Schlange wird länger. Eine Kollegin eilt zu Hilfe, besetzt die Nachbarkasse.

Ihre Arbeit hat schon etwas Automatisches, so dass sie ihren Gedanken nachhängen kann. Alleinerziehende Mutter zweier Kinder, eins im schulpflichtigen Alter, eins Kindergartenkind. Deshalb ist ein Vollzeitjob nicht möglich. Hartz IV, sie redet nicht gern drüber, aber was soll sie machen. Sie ist drauf angewiesen. Und aufstocken durch einen Minijob war auch lange nicht möglich, bis sie vor drei Jahren jemanden kennen gelernt hat, der sie so akzeptierte, wie sie mit ihren Umständen war. Auch wenn's nicht zum Heiraten reichte, so taten sie sich doch zusammen. Jetzt konnte sie aufstocken, war Leon doch bereit, sich auch um die Kinder zu kümmern. Das Leben hielt doch noch etwas Glück für sie bereit. Vor kurzem mieteten sie sogar ein kleines altes, aber schnuckeliges Zechenhaus mit kleinem Garten.

Wo bist du denn gerade mit deinen Gedanken, dringt es in ihr Bewusstsein. Erst dann erkennt sie eine alte Freundin, die gerade einen Fünfziger ihr entgegenreicht. Sie entschuldigt sich und plaudert kurz mit ihr, bevor die nächste Kundin, eine Frau mit Rollator, an der Reihe ist. Die ist aber noch spät unterwegs, denkt sie. In einer Stunde ist Feierabend. Schöner erholsamer Arbeitstag, findet sie.

Der Filialleiter schließt die Eingangstür, die letzten Kunden kassiert sie ab, bevor auch die Ausgangstür verschlossen wird. Jetzt noch kurz abrechnen und raus aus dem Hintereingang. Umziehen wird sie sich zu Hause. Sie schnappt sich ihr Fahrrad und fährt. Ja, sie ist müde. Eine rechtschaffene Müdigkeit. Zufriedenheit. Die Kinder werden schon schlafen. Gleich schnell umziehen, ins Bad und dann ins Bett. Leon wird sich noch an sie kuscheln mit Wünschen im Gesicht. Sie wird ihm trotz Müdigkeit entgegenkommen. Ist ja auch schön. 

Morgen früh wird sie um 6:30 Uhr aufstehen, Leon wird ihr noch einen Kuss geben und sich auf den Weg zu seiner Arbeit machen. Sie wird die Kinder fertig machen und sich, sobald auch die Kleine aus dem Haus ist, die sie wie jeden Tag zum nahe gelegenen Kindergarten bringt, um den Haushalt kümmern. Discounterfreier Arbeitstag. Es ist schönes Wetter angekündigt. Womöglich werden sie am späten Nachmittag etwas zusammen unternehmen.

Erst übermorgen muss sie wieder zur Arbeit. Und sie empfindet jetzt schon Freude.

Bürgerreporter:in:

Helmut Feldhaus aus Rheinberg

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