Noch nicht zensiert: Die 'fünfte Gewalt' - Geschichte des Lobbyismus in Deutschland

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Guter, noch nicht zensierter Artikel im Deutschlandradio:
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/zeitreisen/...
Daraus:

Fachleute schätzen die Zahl professioneller Lobbyisten allein in Berlin auf 5000, Tendenz steigend.
In den 70er-Jahren waren es in Bonn gerade mal 600. Sie agieren in den Grauzonen der Politik und versuchen, Einfluss zu nehmen auf Gesetze und Regierungsentscheidungen.
Jazbinsek : "Was hier eigenartig ist, ist, dass sich hier so viel in diesem Viertel knubbelt an Lobbyaktivitäten, Büros, Kanzleien, Agenturen.
Einflussnahme auf Politik, das ist eine Frage, die mit Vertrauen zu tun hat.
Sie brauchen informelle Kontakte, und die müssen Sie früh aufbauen.
Und die müssen Sie auch persönlich mit Leben füllen. Darum ist das so wichtig, dass die nahe am Reichstag und nahe an den Ministerien sind. Man trifft sich vielleicht mal in der 'Ständigen Vertretung'."

Dietmar Jazbinsek ist Stadtführer in Berlin. Allerdings begleitet er Besucher nicht zu den üblichen Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt, sondern er steuert auf seinen Rundgängen durch das Regierungsviertel die Adressen von Lobbyagenturen, Interessenverbänden, Beratungsfirmen und Anwaltskanzleien an.
Denn Dietmar Jazbinsek ist im Auftrag von LobbyControl unterwegs, einer Kölner Initiative, die über die Arbeit von Lobbyisten in Deutschland aufklären möchte.

Katzemich: "Das Wort Lobbyismus kommt aus den USA und wurde dort etwa 1830 das erste Mal offiziell erwähnt."

Erklärt Nina Katzemich, Mitarbeiterin von LobbyControl in Köln:

"Damals trafen sich die Interessenvertreter und Lobbyisten allerdings noch gar nicht in der Parlamentslobby, wie immer gesagt wird, sondern in einem nahe gelegenen Hotel. Damals wurden die Eisenbahnkonzessionen vergeben, und da ging es darum, wer was bekommt."

Wenige Jahrzehnte später entstanden die ersten Verbände in Deutschland, um im Zuge der Industrialisierung und der darauf folgenden Entstehung des Nationalstaates ihre Interessen durchzusetzen. Der Centralverband Deutscher Industrieller zum Beispiel wurde als erste große industrielle Spitzenorganisation gegründet, um die Freihandelspolitik zu bekämpfen.

(...)
Die einstige FDP- und spätere SPD-Parlamentarierin Ingrid Matthäus-Meier:

"Es gibt selbstverständlich Kollegen, die sind Lobby. Ich erinnere mich, über Jahre saß zum Beispiel die offizielle Außenstelle von Flick hier im Deutschen Bundestag. Es gibt andere Vertreter, die sitzen für Verbände im Deutschen Bundestag, da scheint mir, dass die Transparenz zu wenig gewährleistet ist."

(...)

Die Grenzen zwischen "richtigem Lobbyismus", wie ihn Schenk verstand, und Korruption waren freilich fließend, wie sich spätestens mit der Flick-Affäre in den 70er-Jahren zeigte.
Nach dem Tod des Vaters verkaufte sein Sohn Friedrich Karl Flick im Jahr 1975 Daimler-Benz-Aktien für rund zwei Milliarden Mark an die Deutsche Bank. Um den Gewinn nicht versteuern zu müssen, suchte der Flickkonzern nach einem Ausweg - und fand ihn beim Bundeswirtschafts- und beim Finanzminister, - die ihm ermöglichten, seinen Milliardengewinn steuerfrei anzulegen.

Dann aber entdeckten Ermittler 1981 im Schließfach einer Düsseldorfer Bank ein schwarzes Kassenbuch des Flickkonzerns.
Penibel hatte darin der Oberbuchhalter Geldzahlungen von 30.000, 50.000 oder auch mal 250.000 Mark an "Freunde des Hauses" notiert, u.a. an Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs von der FDP, Hans Matthöfer und Manfred Lahnstein von der SPD, Helmut Kohl, Alfred Dregger und Franz Josef Strauß von der Union.
Der Flick-Bevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch, gewissermaßen der Cheflobbyist des Konzerns, Bundeswirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff und sein Vorgänger Hans Friderichs mussten sich später vor Gericht verantworten.

(...)
Seit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin hat sich die Zahl der Lobbyisten rapide erhöht.
5000 Personen, so wird geschätzt, versuchen hauptberuflich Einfluss auf die Politik zu nehmen. Außerdem sind rund 2000 Verbände beim Bundestag registriert und haben damit das Recht, offiziell im Gesetzgebungsverfahren angehört zu werden.
Die Palette reicht von der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin und der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände über den Bundesverband der Deutschen Banken, den Chaos Computer Club und den Runden Tisch Amateurfunker bis zum Zentralverband Naturdarm. Der Bonner Politikwissenschaftler Gerd Langguth:

"Es gibt inzwischen neue Formen des Lobbyismus, die neuen sozialen Bewegungen, die Tatsache, dass Nichtregierungsorganisationen, NGOs, einen relativ großen Einfluss haben.
Seitdem in Berlin die Lobbyarbeit geschieht, ist sie viel gigantischer, viel größer, übrigens mit einem Aspekt, der sehr wichtig ist, dass immer mehr große Firmen ihre eigenen Repräsentanzen haben, was aber auch mit einem Problem zusammenhängt, dass die großen Verbände eigentlich eher unwichtiger werden."

(...)
Es ist durchaus gängige Praxis, dass Interessenverbände nicht nur Argumentations- und Formulierungshilfen für Ministerialbeamte schreiben, sondern auch gleich die Gesetzentwürfe selbst.
Einer der jüngsten Fälle spielte sich im Hause des damaligen Wirtschaftsministers Karl- Theodor zu Guttenberg ab. Einen Gesetzentwurf zur Zwangsverwaltung maroder Banken ließ er von einer der weltweit größten Wirtschaftskanzleien ausarbeiten. Nur versäumten es seine Beamten, das Logo der Kanzlei auf dem Entwurf zu entfernen. Der Essener Politikwissenschaftler Claus Leggewie:

"Wenn dann beispielsweise Papiere gemacht werden, die in eine Gesetzgebung eingehen von einer Anwaltskanzlei, dann würde ich als Bürger erwarten, dass mir das beispielsweise über das Internet zur Verfügung gestellt wird, und ich nachvollziehen kann, wie ist in einer bestimmten Gesetzgebungsmaterie eigentlich beraten worden. Wie ist mit am Gesetz geschrieben worden.
Denn wir sind uns alle klar, dass heute viele, viele Gesetze bereits von Anwaltskanzleien mitgeschrieben werden."

Jazbinsek: "Während der Zeit der rot-grünen Koalition gab es ein Programm, das hieß Seitenwechsel.
Da sollten Vertreter der Wirtschaft und der Ministerien die Seiten wechseln. Faktisch sind über Hundert Vertreter der Wirtschaft und von Unternehmen in die Ministerien eingezogen und haben da u.a. an Gesetzen mitgearbeitet.
Die Vertreter der Deutschen Börse AG und des Bundesverbandes der Deutschen Investmentgesellschaft - die sitzen hier um die Ecke die Friedrichstraße runter -, die haben das Investmentmodernisierungsgesetz mitgeschrieben.
Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass in Deutschland Hedgefonds legalisiert wurden."

(...)
Vor einiger Zeit behandelte das Bundesverfassungsgericht die Ländergesetze zum Rauchverbot in Gaststätten und hörte dazu Sachverständige an; u.a. auch den Leiter eines Münchner Forschungslabors, das Studien zu den gesundheitlichen Folgen des Rauchens durchführt.
Passivrauchen in Kneipen sei im Grunde unschädlich, erklärte der Experte in Karlsruhe zur Überraschung der Zuhörer.
Mit dieser Ansicht vertrat der Toxikologe eine ziemlich exklusive Minderheitsmeinung.

Was der Wissenschaftler allerdings verschwieg und was erst durch Recherchen von Journalisten publik wurde: Die Forschungen, die sein Labor seit vielen Jahren betreibt, finanziert die Tabakindustrie, um die - wie es heißt - "soziale Akzeptanz des Rauchens zu erhalten". Dennoch behauptete der Laborchef, sein Institut sei unabhängig, da es verpflichtet sei, nach wissenschaftlichen Standards zu arbeiten.

(...)
Grundlage des Lobbyismus ist die Diskretion.
Demokratie aber brauche Öffentlichkeit, Klarheit, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle, sagt der Journalist Thomas Leif, Autor des Buches "Die fünfte Gewalt" über Lobbyismus in Deutschland:

"Bei den Akteuren, Lobbyisten, da müsste es einen 'Code of conduct' geben, einen Verhaltenscodex, was dürfen sie nicht, wo sollen sie die Finger von lassen, was ist sozusagen verboten.
Das Zweite ist, für die Ministerialbürokratie, die immer wieder im Schatten der Beobachtung sitzt, muss es klare Regeln geben, was dürfen die auf Länder- und Bundesebene, wo müssen sie aber auch Distanz halten zu Lobbyisten, das muss verbindlich geklärt werden.
Der letzte Punkt, ganz wichtig: Politiker, die in den Lobbyismus wechseln aus der aktiven Politik, brauchen eine Abkühlungsphase."
(...)

Die Liste der Politiker, die in die Wirtschaft wechselten oder als Berater tätig wurden, ist lang und enthält prominente Namen:
darunter sind SPD-Wirtschaftsminister und -staatssekretäre, die heute für Energieunternehmen arbeiten;
ein CDU-Verkehrsminister, der die Autoindustrie vertritt;
ein grüner Staatssekretär für Ernährung und Verbraucherschutz, der in Diensten eines Süßwarenkonzerns steht;
CDU-Staatssekretärinnen, die den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft bzw. der Forschenden Arzneimittelhersteller leiten; und nicht zuletzt ein Bundeskanzler, der heute sein Geld als Lobbyist eines russischen Gaskonzerns verdient.
Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie:

"Ich habe ein bisschen, wenn wir mal über den problematischsten Fall, nämlich unseren ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder reden, den Verdacht, dass die Schamfrist nicht lang genug war und der Verdacht entstehen kann, dass bestimmte Dinge, die mit der Gasversorgung und dem Pipelinebau verbunden waren, ihm auch durchaus sehr persönlich jetzt zunutze kommen.
Das finde ich unwürdig für einen Bundeskanzler."

Ich auch. Und das gilt auch für BundeskanzlerIN Angela Merkels 'Kaffeekränzchen' mit Frieda Springer und Liz Mohn (Bertelsmann).
Grüß Euch
Jochen

Bürgerreporter:in:

Joachim Elz-Fianda aus Nördlingen

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