myheimat Neusäß: SUPERMARKT IST FÜR WEICHEIER

Der Neusässer Wochenmarkt auf dem Volksfestplatz beim Schmutterpark
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Einkaufen auf dem Neusässer Wochenmarkt - fast eine Liebeserklärung

Jeden Samstag ist Wochenmarkt auf dem Volksfestplatz Neusäß, außer wenn dort einmal im Jahr das große Bierzelt und die Karussells stehen. Ich bin Woche für Woche dort, aber fragen Sie mich nicht nach den Öffnungszeiten. Ein echter Marktgänger braucht keinen Stundenplan, denn er kommt stets früh, sehr früh sogar, quasi zusammen mit den ersten Händlern. Einem passionierten Wochenmärktler würde es nicht im Traum einfallen, erst am späten Vormittag oder gar nach dem Zwölfuhrläuten auf den Platz zu erscheinen. Früher Vogel fängt den frischesten Kohlrabi, lautet die Devise und sobald die Fieranten ihr wohlsortiertes Buffet aus buntem Gemüse, Obst, allerlei Käse und deftigen Wurstwaren ausgebreitet haben, steht man auch schon auf der Matte, ab und zu noch unrasiert, leicht derangiert, aber stets diszipliniert.

Und wie die „Händler der 4 Jahreszeiten“ kommt der leidenschaftliche Fan sommers wie winters, im ersten warmen Licht der aufgehenden Sonne oder sogar unerschrocken in noch stockfinstrer Nacht während der Wintermonate. Schlechtes Wetter erträgt man eisern und solidarisch mit den Standbetreibern. Mit klammen Fingern an Frosttagen das Kleingeld abzuzählen ist noch eine leichte Übung, bei Schnürlregen gleichzeitig den tropfenden Schirm zu halten, den Hokkaidokürbis und die vorwiegend festkochenden Kartoffeln in den Einkaufskorb zu jonglieren, ohne die darin schon befindlichen Landeier der Größe XL zu zerdöppern, ist da schon eine größere Herausforderung, vor allem wenn man alles nur schemenhaft erahnen kann, weil die Augengläser wegen der FFP-Maske wieder mal blickdicht beschlagen sind.

Aber es gibt auch diese sonnengefluteten Tage, an denen der Morgen sprichwörtlich Gold im Mund hat oder noch besser weißen Spargel, die Königin der Gemüse, diese sündhaften Stängel mit dem leicht erotischen Touch, die ihre Spitzen nur allzu gerne in Sauce Hollandaise eintauchen möchten. Morgens um 7 Uhr sieht er einfach besonders taufrisch aus! Am Gemüsestand könnte man noch frischen Bärlauch der Saison mitnehmen und ganz hinten beim Landmetzger ein zartrosa Kalbsschnitzel dazu erstehen. Innovative TV-Kochshowgucker werden sich vielleicht sogar an ein exotisches Straußensteak vom Wagen nebenan wagen. Nicht zu vergessen: Der obligatorische Bund Karotten! Der Kauf ist ein festgeschriebenes Ritual: Gelbe Rüben nimmt der Profi nicht lose, sondern stets als Bund, welcher als natürliches Frischesiegel noch sein fedriges Grün trägt, worauf der Verkäufer unweigerlich fragt „Das Grün abmachen?“, was dann vom Kunden stets bejaht wird, denn es hat ja seinen Zweck erfüllt.

Spontanität ist eines der Merkmale jeden Einkaufs auf dem Wochenmarkt. Immer wieder kannst Du die Seiten wechseln, dort drüben scheint Dir der Spitzkohl knackiger frisch, an jenem Stand sehen die tiefroten Erdbeeren heute besonders gut gereift aus, bei den ersten teuren Kirschen lohnt allemal der urschwäbische Preisvergleich! Wieder einmal die Petersilie vergessen? … kein Problem, denn kein Einkaufswagen und kein unerbittlich fließendes Fließband behindern Deine Aktivitäten. Das frustrierende „Wir schließen Kasse 5“ ist noch nie über den Markplatz getönt. Kein piepsender Barcodescanner nervt Deine noch nicht ganz ausgeschlafenen Ohren, keine ungelenken Finger tippen vor Dir zum dritten Mal die falsche PIN ins Kartenlesegerät und bis jetzt hat mich auf dem Wochenmarkt noch kein einziger Verkäufer gefragt (und ich schrecke mich vor dem Tag, an dem dies zum ersten Mal passieren wird): „Hammse eine Payback-Karte?“

Der Einkauf auf dem Markt ist familiär, man kennt sich, man sieht sich Woche für Woche, man vermißt seine „Eierfrau“, wenn sie mal krank ist, aber auch der Händler fragt nach dem abwesenden Stammkunden, also meldet sich der eine wie der andere ab, falls er mal längere Zeit in Urlaub geht. Am meisten Zufriedenheit empfindet man beim Kauf regionaler Erzeugnisse von Anbietern aus der Gegend. Das Gesicht hinter dem frischen Produkt zu kennen, ist quasi das menschliche Gegenstück zum sterilen „Beipackzettel“ auf dem Tiefkühlgemüse des Discounters.

So gesehen könnte mein samstäglicher Rundgang auf dem Neusässer Marktplatz ein ungetrübtes Vergnügen sein, wäre da nicht diese schmerzliche Lücke, die das Schicksal an Silvester 2020 unerwartet in die Marktgemeinde gerissen hat: der Wagen mit den fangfrischen Forellen und all den anderen Fischköstlichkeiten stand damals zum letzten Mal an seinem angestammten Platz neben dem Neusässer Vollwertbäcker am Eingang und hat bis heute keinen Ersatz gefunden. Doch ich gebe die Hoffnung auf zarte Matjes und einen Nachfolger niemals auf. Dann würde sich der Kreis wieder schließen und mein Rundgang würde wieder eine richtig „runde Sache“ sein.

Bürgerreporter:in:

Helmut Weinl aus Neusäß

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