Fliegen in Zeiten von Corona (auf nach Banjul)

Taxi out of order

Galt nicht mal die Regel, bei Fernstreckenflügen drei Stunden vorher am Flughafen zu sein? Wie sieht das in Corona-Zeiten mit all den Hygienemaßnahmen, den zusätzlichen Formularen und dem Abstand aus? Es ist nichts los am Flughafen. Deutlich weniger Flüge als unter Vor-Corona-Bedingungen. Ungefähr vier pro Stunde, in großzügigem Abstand auf die Gates verteilt – man begegnet praktisch nur den Mitreisenden aus dem eigenen Flieger und Personal.

Kaum ein Schalter ist besetzt, man soll möglichst alles selbst machen. Wer seine Bordkarte aka sein mobiles Ticket mitgebracht hat, muss auch den Koffer selbst einchecken. Die Wartezeit am Security Point: 0 bis 3 Minuten. Der Flug von München nach Brüssel ist voller Afrikaner. Viele junge Männer, einige Frauen, einige Babys. Eine halbe Stunde vor Abflug weist die Airline auf die benötigten Dokumente hin, die von Belgien verlangt werden:
Passenger Locator Form (PLF) – online ausfüllen und die Empfangsbestätigung mit QR-Code, Name und Datum unbedingt auf dem Smartphone oder ausgedruckt parat haben.
Ehrenerklärung für Belgien ausgedruckt mitführen – zwei Seiten, von denen genau drei Dinge relevant sind: Name, Datum, Reisegrund. Ich setze das Kreuz bei „Durchreise“.
Negativen Covid-Test, PCR, durchgeführt maximal 72 Stunden vor Ankunft im Zielland.

Nicht alle Passagiere des kleinen Vogels durften an Bord kommen. Irgendein Formular fehlt dann doch. Sonderlich hilfsbereit zeigt sich das Personal nicht, eher ruppig, genervt – helfen sollen andere Passagiere. Also zeige ich dem Kerle, der die PLF nicht ausgefüllt hat – oder zumindest die Bestätigung nicht vorweisen kann – Schritt für Schritt wie einem Kleinkind, was er machen muss, was die relevanten Felder bedeuten, welche er überspringen kann (die Info „nur die mit Stern ausfüllen“ nützt wenig) und wo er (Tippfehler) korrigieren muss (beispielsweise wenn die E-Mail-Adresse nicht mit der Kontroll-E-Mail-Adresse übereinstimmt). Bürokratie ist dem 30-jährigen Gambier mit dem westafrikanischen Allerweltsnamen fremd und ein Gräuel. Englisch müsste er doch fließend können, das ist doch Amtssprache in Gambia. Aber er wirkt von Formular-Begriffen wie „Nationality“ überfordert. Zugegeben, es ist ein ekelhaftes Formular – und auch nicht ganz ausgereift (belgische Adresse als Pflichtfeld für Durchreisende?!). Geboren am 1. Januar. Wohnhaft im Asylbewerberheim. Nach einer Viertelstunde und zahlreichen Korrekturen haben wir's geschafft. Seine Deutsch-Kenntnisse sind eher spärlich – gefühlt spricht er die Sprache besser als er sie versteht – aber sein „Danke“ klingt aufrichtig und erleichtert. Der Flieger hebt verspätet ab, da man nicht alle Fluggäste, die Probleme mit den Formularitäten hatten, am Boden lassen wollte.

Einsteigen darf, wer den Papiercheck bestanden hat. Nach der Landung aussteigen erfolgt reihenweise. Eine Regelung, zu deren Einhaltung mehrfach ermahnt werden muss. Aber eine der wenigen Regeln, die ich unabhängig von Corona für sinnvoll halte. Würde man das konsequent durchsetzen, würde man sich das Gerangel und die überfüllten Gänge beim Ausstieg sparen. Auf dem Rückflug klappt das ganz gut, da ist der Flieger aber nicht mal halbvoll.

Von Brüssel nach Banjul

Das Ankunftsgate in Brüssel ist praktisch leer. Das Anschlussgate widerspricht jeglichen Covid-Schutzmaßnahmen und verhöhnt sämtliche Covid-Bürokratie, die Belgien betreibt. Vier Flüge nach Afrika finden mit einer 15-Minuten-Taktung statt. Sie verteilen sich auf vier Flugsteige, die direkt nebeneinander und gegenüber liegen. Es sind große, ausgebuchte Vögel. Schon hier wird deutlich: Schlange stehen mag der Westafrikaner nicht, er drängelt gern.

Im Flugzeug zeichnet sich ein deutliches Bild ab: Viele afrikanische Herren unterschiedlichen, tendenziell jüngeren Alters bilden die Mehrheit. Hinzu gesellen sich vereinzelt ältere weiße Europäer sowie einige weiße Frauen, meist deutlich über 40 und häufig in Begleitung eines jungen Mannes aus dem Zielland. Der Getränkewagen kommt oft genug am Platz vorbei. Das Essen schmeckt zwar wie Flugzeugfraß nun mal so schmeckt, hat aber einen Nebeneffekt, der mal wieder die präventive Covid-Maskerade ins Lächerliche zieht: Alle Menschen im Umkreis nehmen gleichzeitig ihre Maske ab, bis sie aufgegessen haben.

Ankunft in Banjul

Die Einreiseschlange kann mit den richtigen Connections, mit Drängeln, oder mit ein paar Scheinen übersprungen werden. Unglaublich viele Angestellte ohne wirkliche Funktion wuseln herum, auf der Suche nach jemandem, dem sie für ein Trinkgeld eine Abkürzung ermöglichen. Direkt nach dem Betreten der Ankunftshalle wird man gefilmt, mit einer Kamera auf Stativ. Ein Typ hüpft zwischendurch im Eingangsbereich mit einem Fieberthermometer herum – keine Ahnung, wie wenig Prozent der Leute er damit tatsächlich misst. Erster Stop: 20 Dollar Security Fee bezahlen und dafür einen Beleg erhalten. Zweiter Stop beim Einreisebeamten: Maske runter, in die Kamera gucken, das vergleichsweise datensparsame Einreiseformular abgeben und den Pass vorzeigen. Dritter Stop: Kofferband. Es sind deren zwei, beide befördern Gepäck des gleichen Flugs. Sehr viele Kofferträger drängen ihre Hilfe auf. Vierter Stop: Gepäck durchleuchten lassen. Die Damen, die den Monitor beobachten, interessieren sich nicht für den Inhalt meines Gepäcks beziehungsweise haben nichts zu beanstanden. Ein eifriger Kollege markiert mein Handgepäck mit einem Kreide-X. Vermutlich hätte ich das Handgepäck gar nicht röntgen lassen müssen. Ich soll damit ins Kämmerchen des Zolls. Ich bin mir relativ sicher, ich hätte in der ganzen Hektik hier – drängeln, drängeln, drängeln – das X wegreiben können oder einfach so zum Ausgang gehen können. Aber gehen wir halt zum Zoll. Der Zöllner fragt, was drin ist. Ich sage und zeige es ihm – nichts Spektakuläres. Er fängt gar nicht erst an zu wühlen, sondern lässt mich nach einem oberflächlichen Blick weiterziehen. Fünfter Stop: Am Ausgang stehen dann noch ein paar Jungs vom Health Ministery und wollen den negativen Covid-Test sehen. Es wirkt alles recht unkoordiniert. Sechster Stop: Geldwechslerinnen mit einem Haufen Bündel Geldscheine auf einem Tisch noch vor dem Ausgang. Hatte ich nicht irgendwo gelesen, man solle nicht auf dem Schwarzmarkt, sondern nur in Banken und legitimierten Wechselstuben Geld tauschen? Aber am ganzen Banjul International Airport gibt's keinen Bankschalter, keinen Laden, nichts. Und bei so viel Polizei- und Militärpräsenz muss das Geschäft der Ladies hier ja legal, angemeldet oder zumindest von den Autoritäten abgenickt sein. Siebter Stop: SIM-Karte am Strip kaufen. Achter Stop: Unterkunft. Das Badezimmer erweist sich direkt als Schwachpunkt: rostige Dusche, praktisch nur eine Armatur und ein Duschkopf von oben, keine Abgrenzung zum Rest des Raumes, die Toilette wird automatisch mitbewässert. Ventilator und Handtücher sind da, Toilettenpapier nicht. Die Balkontüre ist ziemlich verzogen. Die Klimaanlage funktioniert nicht, da die Fernbedienung fehlt. WLAN – ganz schlechter Empfang auf dem Zimmer, außerdem braucht's nen Code, den wir in der Nachtschicht erstmal niemand proaktiv gegeben hat. Heute kümmere ich mich nicht mehr darum, es ist spät geworden und ich hundemüde. Auf Nachfrage erhalte ich am Folgetag das WLAN-Passwort, Klopapier und die Fernbedienung für die Klimaanlage.

Wer wissen will, was es in einem kleinen, von Senegal und Wasser eingeschlossenem Land in Westafrika zu entdecken gibt, liest den Gambia-Reisebericht.

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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