Greta und ihre Wutrede

Der jungen Schwedin Greta Thunberg, 16-jährige deutsche Mittelstandsikone, ist 2019 in New York ermöglich worden, vor der UNO aufzutreten. Sie hat eine Wutrede gehalten. Man hätte ihre Kindheit zerstört. Man, das sind die Erwachsenen um sie herum und auf der ganzen Welt. Das bin dann auch ich.

Sie klingt wie ein dressiertes Kind. Aber sie ist schlecht erzogen. Was erlauben Greta – und ihre Eltern und Mitwirkenden – andere Menschen, die sie nicht kennen, zu beleidigen? Ich bin beleidigt worden, von dem jungen Mädchen Greta, dem einige dafür eine große Bühne geboten haben, und all denen, die hinter ihr stehen. Warum soll ich das akzeptieren oder gar gut finden, wie diejenigen, die ihr zugeklatscht haben? Wer ist Greta? Da ist ein junges Mädchen, von der Presse hofiert. Schlechte Politiker sonnen sich in ihrem schnellen Ruhm. Dahinter im Dunkeln ihre Eltern mit einem Stab von Leuten. Es wird viel Geld kassiert. Die gelangweilten Gutverdiener, sich gerne auch als Gutbürger darstellend, haben ihren Aufhänger, ihren Aufreger. Man braucht dies offensichtlich.

Was wissen Greta und diejenigen, die ihren gut einstudierten Sprüchen glauben und nacheifern, überhaupt von der Vergangenheit derer, von denjenigen Menschen, die angeblich ihre Kindheit zerstört haben?

Ich bin im 2. Weltkrieg geboren. Meine Eltern waren arm, wirklich arm, ihr gesamtes Leben lang. Meinen Vater habe ich niemals ein Bier trinken sehen. Kein Besuch einer Wirtschaft zum Zeitvertreib. Gearbeitet wurde von morgens bis abends im Garten, außer am Sonntag. Alles wurde angepflanzt, geerntet und eingemacht, damit man den Winter überstehen konnte. Aber wir hatten keinen eigenen Garten. Es war immer ein großer Garten der anderen Leute, der besseren Leute. Für diese bearbeiteten meine Eltern deren Garten und konnten dafür ein kleines Teilstück für den eigenen Bedarf nutzen – umsonst. Die Früchte des Gartens brachten meine Eltern den Eigentümern nach Hause – ohne jeden Abschlag. Wenn ich einmal im Garten ein paar Stachelbeeren von den Sträuchern der Eigentümer probierte, wurde mir das sofort verboten. Für meine Eltern war dies Verhalten Diebstahl. Ich weiß gar nicht, ob die in meinen Augen unerreichbar reichen Leute all die Früchte, die sie bekamen, selbst brauchten. Vielleich haben diese sie an Freunde weitergegeben. Uns haben niemals Freunde etwas weitergegeben. Wir standen in der Rangfolge der Wichtigen und Unwichtigen ganz unten. Das habe ich sehr früh gemerkt.

Greta aus Schweden wird eingeladen, wie es aussieht und dargestellt wird, in der ganzen Welt. Sie reist oft. Da kann man schon ein gewisses Gefühl des Besserseins entwickeln. Die Arroganz, die sich daraus entwickeln kann, wird deutlich. So bei Gretas vorgetragenen Reden, die wohl jeweils Aufführungen eines Schauspiels ähneln.

Mein Vater hatte den Ersten Weltkrieg von Anfang an bis zum Ende mitmachen müssen. Er hatte in Polen eine schwere Kriegsverletzung erlitten, einen Schuss in den Kopf. Die Kugel war unter der Schädeldecke hängengeblieben. Man hat sie nicht herausoperiert. Das war offenbar gut so. Sie blieb das gesamte Leben in seinem Kopf. Das konnte man sehen. Er wurde wieder kriegstauglich befunden und kämpfte weiter. Seinen Beruf als Kupferschmied übte er einige Jahre nach dem Krieg weiter aus. Aber dann ging es nicht mehr. Die Rente war gering. Sie war sehr gering. Wie gering, das konnte ich erst viel später aus den Unterlagen meiner Eltern ersehen. Als ich die Mittelschule besuchte, hatten meine Eltern Erziehungsbeihilfe für ihren Sohn beantragt - mehrere Jahre zu spät, aber sie wollten „den Staat nicht schädigen“. Lange hatte ich gebraucht, um sie von dieser falschen Einstellung abzubringen. Die vom Jugendamt bewilligte Erziehungsbeihilfe war dann höher als die Rente meines Vaters.

Eingekauft haben meine Eltern Milch und Butter. Meine Mutter konnte manchmal als Putzfrau aushilfsweise arbeiten. Dafür gab es Geld, sehr wenig Geld. Taschengeld habe ich niemals bekommen. Ich habe auch niemals danach gefragt. Denn ich wusste, meine Eltern hatten kein Geld. Bei uns wurde alles verwertet, alle Nahrung gegessen, alles Holz im Ofen verbrannt. Abfall gab es keinen. Selbst das Zeitungspapier wurde zerrissen und als Toilettenpapier benutzt. Heute nennt man das „nachhaltig“ leben.

Vielleicht wollen Greta und ihr junger Anhang auch nachhaltig leben, vielleicht später mal. Derzeit lebt Greta im Luxus, für mich damals unvorstellbar. Aber wie kann jemand so unverfroren dumm sein – oder von den Eltern so programmiert werden -, den Vorwurf auszusprechen, die Älteren hätten ihre Kindheit zerstört? Und – Greta wird beklatscht, bejubelt.

Auf das Gymnasium konnten mich meine Eltern nicht schicken. Der Lehrer hatte gesagt, dass dies keinen Zweck hätte. Wer sollte Nachhilfe bezahlen? Nachhilfe wäre wohl nicht notwendig gewesen. Ich hatte schon in der Grundschule den anderen aus meiner Klasse bei den Aufgaben geholfen und ihnen vieles erklären können. Diese Klassenkameraden mit gut aufgestellten Eltern haben dann das Gymnasium besucht. Später habe ich mit Nachhilfe etwas Geld verdient. Mich hat sehr viel von dem interessiert, was in der Schule gelehrt wurde – und ich habe aufgepasst. Das Gymnasium war unerreichbar gewesen. Meine Eltern mussten dem Grundschullehrer glauben. Mit 16 Jahren hatte ich den Traum, einmal an die Alpen zu kommen und in den Schnee, vom dem die anderen erzählten und wie sie Ski gefahren sind. Aber richtig geglaubt hatte ich nicht daran, dass ich die Welt einmal bereisen könnte. Das war außerhalb meiner Vorstellung. Es hat sich zum Glück anders entwickelt.

Greta, die die Schule schwänzte und die Schule verlassen hat, wird angehimmelt. Man folgt ihr, ahmt ihr nach. Schulschwänzen ist „in“. Die Kinder des gut situierten Mittelstandes können es sich leisten, am Freitag nicht in die Schule zu gehen. Ist es nicht so, dass sie wie die Kinder damals in Hameln einem Rattenfänger, einer Rattenfängerin nachlaufen? Und wann endlich schafft es jemand, dem Kaiser, der Kaiserin ohne Kleider zu sagen, dass die Kleider fehlen, dass keine Substanz vorhanden ist? Die Eltern werden es schon richten. Das gehe alles in Ordnung. Welch eine Einbildung und Anmaßung!

Zum Glück konnte ich später einige Teile der Welt mit eigenen Augen sehen. Und ich habe gemerkt, dass ich eine gut behütete Kindheit hatte. Meinen Eltern war es mit harter Arbeit gelungen, mir das Notwendige zu beschaffen, dass ich keinen Hunger leiden musste. Vielleicht haben sie selbst manchmal gehungert, ich weiß es nicht genau. Für ihr Kind haben sie immer gesorgt und sorgen können. Ich musste in vielen Länder sehen, dass es dort Millionen von Kindern gibt, die in großer Armut leben, kein Schulbesuch, sondern Arbeit, Kinderarbeit. Und ich habe viele sehr arme Kinder lächeln sehen – für Kleinigkeiten. Sehr oft hört man auf die Frage, was sich die Kinder denn wünschen, die Antwort: „Ich möchte gerne in die Schule gehen!“

Weiter von der Realität entfernt als Greta und ihre Gefolgsgenossinnen samt Mittelstandseltern kann man nicht sein. Aber sie merken es nicht. Man ist unter sich. Arroganz führt zu einem Brett vor dem Kopf. Hauptsache, man kann sich darstellen, demonstrieren, Schule schwänzen, in unbegrenzter Freiheit leben. Die Beifallklatscher bekommt man umsonst – auf der Straße, in den Medien, in der UNO.
Soll ich hoffen, dass die heutigen jungen Schulschwänzer später mal mit ihren Kindern so nachhaltig leben werden wie ich in meiner Jugend? Oder soll ich hoffen, dass der Spuk bald verschwindet?

Und dass die Kinder in den Ländern, in denen es an Wohlstandsbürgern und Eltern mit Wohlstandsallüren mangelt, fröhlich zur Schule gehen können – in ihrer Heimat!

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Gimbel aus Marburg

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