OSTWÄRTS UM DIE GANZE WELT: TEIL 10 - TAHITI UND DIE ATOMBOMBE

Bienvenue a Tahiti
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Es ist unser zweiter Besuch auf der kontrastreichen Insel Tahiti, der größten in Französisch Polynesien, doch der Verkehrstrubel der Hauptstadt Papeete, mit ihren 80.000 Einwohnern trifft uns wie ein Erdbeben, wie ein Donnerschlag. Seit Aukland/Neuseeland haben wir nur kleine Inseln besucht, auf denen das Auto noch nicht den Alltag bestimmt und Ruhe und Idylle vorherrschen. Also treiben wir den Teufel mit dem Belzebub aus, besorgen uns so schnell wie möglich ein Mietauto und verlassen diese hektische Stadt mit ihrem ewigen Autostau, in dem man schon schnell einmal eine Stunde verbringen kann.

Tahiti hat die Form einer Schildkröte mit Tahiti-Nui (Groß-Tahiti) als Körper und der Halbinsel Tahiti-Iti (Klein-Tahiti) als Kopf des Tieres. So stark wie die schmalen Küstenstreifen besiedelt sind, so unerschlossen, geradezu sperrig, ist das Inselinnere mit seinen malerischen, grünen Bergrücken, die am Kraterrand des Mount Orohena bis zu einer Höhe von 2.241 Meter reichen. Mehr als hundert Flüsse und unzählige Wasserfälle durchziehen die regenreiche Tropenlandschaft. Unser heutiges Ziel ist zunächst die Halbinsel Tahit-Iti im Süden, die wir bei unserem ersten Besuch aus Zeitmangel nicht sehen konnten.

Unsere Fahrt an der Westküste in Richtung Süden führt uns vorbei an der seit Jahren geschlossenen Grotte Maraa und dem unattraktiven Gaugin-Museum, das nur Reproduktionen ausstellt. Im Ort Taravao biegen wir rechts ab auf die Halbinsel Tahiti-Iti. Schlagartig befinden wir uns wieder auf einer traumhaften Südseeinsel. Da es keine Ringstraße um die Halbinsel gibt, nimmt der Verkehr immer mehr ab. Links über uns die drei mit Wolken verhüllten über tausend Meter hohen Gipfel der Halbinsel und rechts wunderschöne Ausblicke auf die hellblaue Lagune und das tiefblaue Meer jenseits des Riffes. Wir fahren durch eine tropische Parklandschaft mit idyllischen Siedlungen bis zu einem riesigen Parkplatz am Ende der Landstraße in Teahupoo.

Teahupoo ist bei Wellenreitern (Surfer) für seine kraftvollen, hohl brechenden Wellen (Pipeline) weltberühmt. Diese gefährlichste Welle der Welt entsteht durch ein Korallenriff welches bis zu 50 cm unter die Wasseroberfläche reicht und mit seinen gefährlichen Spitzen wie ein Nagelbrett unter Wasser lauert. Während die durchschnittliche Wellenhöhe im Sommer zwischen ein und zwei Metern beträgt, kann die Welle im Winter deutlich über drei Meter Höhe erreichen. Wehe dem Surfer, der hier vom Brett fällt. Die jährlich um die Welt ziehenden Wettbewerbe zur Weltmeisterschaft im Wellenreiten finden hier einen ihrer absoluten Höhepunkte. Ein kleines Denkmal erinnert an die vergangenen Champions.

Auch die Landstraße auf der anderen Seite der Halbinsel befahren wir, bis sie an einer Flussmündung in Taurita endet. Ein kurzer aber heftiger Regenguss nimmt uns jedoch die Sicht auf Berge und Meer, sodass wir umkehren und über die Küstenstraße im Osten Tahitis nach Papeete zurück fahren. Es ist bemerkenswert, dass wir auf dieser gesamten Strecke zwischen Taravao und Papeete kein einziges Restaurant zum Einkehren finden. Diese ruhige, fast ärmliche Seite der Insel steht in starkem Kontrast zur hektischen, von Touristen überlaufenen, Westseite. Zurück in der Hauptstadt versuchen wir vergeblich, eine auf der Landkarte eingezeichnete Stichstraße in die Berge zu finden. Doch es gibt keine entsprechende Beschilderung und wir landen am Trinkwasserreservoir oberhalb der Stadt. Hier befinden sich Elendsviertel, die wohl kaum ein Tourist zu sehen bekommt. Mürrische und aggressive Blicke und Gesten fliegen in unsere Richtung. Wir wagen es nicht, aus dem Auto auszusteigen.

Sicherlich wohnen hier auch die „15.000 Vergessenen“ vom Moruroa-Atoll ohne Job und Perspektive. Polynesier, denen die französische Regierung ihre Heimat raubte, um zwischen 1966 und 1996 auf Moruroa insgesamt 188 Atombomben zu zünden. Der erste oberirdische Kernwaffentest fand am 2. Juli 1966 statt. Am 7. September 1995 führte eine weitere Testserie Frankreichs zu schweren Unruhen in Papeete. Zuerst hatte die evangelische Kirche zum Anti-Atom-Marsch aufgerufen, und rund 4000 Demonstranten sammelten sich in Papeete. Viele friedliche aber auch gewalttätige Demonstrationen folgten seitdem. Nach weltweiten Protesten wurden die Atomtests der „Grande Nation“ eingestellt. Im Jahr 2000 zogen die Franzosen von dem Atoll ab. Bis heute ist Moruroa ein Sperrgebiet. In rund 140 Bohrschächten lagern dort immer noch große Mengen Atommülls.

An dieser Stelle zitiere ich aus einer Veröffentlichung des Wolfgang Kleiner: „Die Atomversuche im Südpazifik haben nicht nur 15.000 polynesischen Mitarbeitern zum Teil erhebliche Strahlenschäden zugefügt. Die Langzeitschäden durch austretende Radioaktivität und die damit verbundene Verseuchung einer ganzen Region sind noch gar nicht absehbar. Systematische Untersuchungen von unabhängigen Wissenschaftlern wurden von den Franzosen immer wieder blockiert, eigene offenbar nicht durchgeführt oder der Öffentlichkeit vorenthalten.
Vor den Atomversuchen war Tahiti ein verschlafenes Paradies, die Menschen lebten noch zum großen Teil im Einklang mit der Natur nach den Regeln ihrer Jahrtausende alten Kultur. Innerhalb von 40 Jahren wurde Tahiti durch die Strukturen, die im Umfeld der Versuche aufgebaut wurden, in die Neuzeit katapultiert. Die kulturelle Identität ist untergegangen, die Jugend spricht heute nicht einmal mehr die Sprache ihrer Väter und Großväter und versteht die alte Kultur nicht mehr, hat aber auch in der Neuzeit keine Zukunft, weil nach dem Ende des Atomprogramms der größte Arbeitgeber fehlt und Frankreich die massive finanzielle Unterstützung seiner Kolonie 2006 einstellte. Die künftigen sozialen Konflikte lassen sich heute schon in den Slums von Tahitis Hauptstadt Papeete und der Nachbarstadt Faa'a erahnen.“ (Ende des Zitats).

Unser Resümee dieses Tages: „Die Menschheit wiederholt ständig und freiwillig ihre Vertreibung aus dem Paradies indem sie es rücksichtslos zerstört und sich selbst die eigene Lebensgrundlage entzieht.“

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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