ERLEBNISSE MIT DEUTSCHEN TOURISTEN AUF TENERIFFA: EPISODE 2, DER HESSEBUB UND DIE OSSIS

Maracuya - Passionsblüte

Teneriffa. Durch leichte Überzeichnung möchte ich Euch hier in lockerer Folge wahre Erlebnisse mit touristischen Vertretern der deutschen „Stämme“ schildern.

Vorausschicken möchte ich wie immer die Feststellung, dass das Wort „Klischee“ häufig als Synonym zu „Vorurteil“ und „Stereotyp“ verwendet wird. Es beschreibt festgeprägte Eindrücke, die man zum Beispiel einer Nation oder Landsmannschaft zuschreibt. Klischees sagen nur bedingt etwas über die Realität aus und sind deshalb mit Vorsicht zu genießen. Ich betone: es gibt nicht „die Engländer“, „die Russen“ oder „die Schwaben“, „die Westfalen“, „die Hessen“ usw. Man findet immer und überall „Solche“ und „Solche“.

DER HESSEBUB UND DIE OSSIS:

Als der „Residenten-Hund“ ohne Leine die Treppe zur Restaurant-Terrasse heraufstürmte, wusste ich, dass es Ärger geben würde. Mit einem kurzen Befehl “raus” jagte ich ihn wieder die Treppe hinunter. Ganz klar: kurz darauf erschien der Hund wieder, allerdings etwas vorsichtiger, gefolgt von seinem “Herrchen” und drei Damen. Der Hundebesitzer, ganz in weißem modischen Outfit und einer “Porsche-Sonnenbrille“, die drei nachfolgenden Touristinnen in einem bizarren “Möchtegern-aber-kann-nicht-chic” vom Woolworth-Grabbeltisch irgendwo in Deutschland. Mit einem jovialen Schulterklopfen und verbrüderndem Stammtischgrinsen, bei dem nur noch das Solidarität heischende Augenzwinkern fehlte, begrüßte er mich etwas zu laut in bestem südhessischem Heinz-Schenk-Gedächtnis-Dialekt:
“Hola hombre, na Altär, wie geht’s doa? Da bin ich mal widder und bring' dir frisch eingeflogene Kundschaft aus good Old Germany!” Und mit stolzem Blick den Damen zugewandt: “Der Kerl hier ist aach 'n Hessebub, so wie ich, der aber rechtzeitisch abgehaue' ist, bevor die Sozis unser Land ruiniert habbe. Er hat den Absprung allerdings viel früjä als ich geschafft – ein echtä Aussteiger, unser Hänsje!”
Währenddessen beobachtete ich, wie der Hund schnüffelnd über die Terrasse des Restaurants lief, bis er schließlich an einem Gummibaumstamm versuchte, das Bein zu heben. Doch mein protestierender Zischlaut ließ ihn zusammenschrecken und die Nähe seines Besitzers suchen.
“Hallo! Ich möchte Sie bitten, den Hund an die Leine zu nehmen, damit unsere anderen Gäste nicht belästigt werden. Außerdem habe ich eine beherzte Katze, die gern für dicke Hundenasen sorgt.” Ziemlich unterkühlt fiel meine Begrüßung des “Residenten” und seiner mehr oder weniger charmanten Teenager-Spätlese aus.

“Residentes” sind Ausländer, die auf den Kanarischen Inseln mit eingetragenem Wohnsitz “Residencia” leben. Die meisten kommen aus den Ländern der Europäischen Union, wovon Briten und Deutsche wiederum die Mehrheit stellen. Handelt es sich bei den britischen Staatsbürgern zumeist um Rentner, die sich durch Understatement, Höflichkeit und Klasse auszeichnen, findet man unter den deutschen “Residenten” ein sehr breites Spektrum aller Bevölkerungsschichten. Berühmte deutsche Charaktereigenschaften wie Besserwisserei, Rechthaberei und Sendungsbewusstsein im Sinne von “am deutschen Wesen soll die Welt genesen” haben im Laufe der Jahrzehnte zu dem kanarischen Spitznamen “Cabeza cuadrada” (Quadratkopf) geführt, während die Briten von den Canarios “Guiri-guiri” (Lautmalerei der englischen Sprache) genannt werden.

“Ei horschemo! Ich glaab, du wirst alt, Altär! Kennste mich dann nit mehr? Ich bin doch dä Wärnär aus Dreieich. Vor fünf, nee, wartemo, sechs Jahre sind’s schon her, da war ich doch aach hier bei dir in deiner Kneipe, mit Freunden aus Frankfurt, ja, da drüben habe' mer gehockt! Damals war ich ja noch Tourist, aber inzwischen habe ich mir da oben bei Vilaflor eine Finca gekauft und bin “Residente”. Jetzt fahr' ich mit mei'm Benz auf der Insel spaziere' un' wenn ich so charmante Damen kenne' lerne, dann mach' ich den Cicerone – kostenlos, versteht sich! Na ja, vielleicht nicht ganz...” Und nun folgte endlich das dumm-vertrauliche “... Du – verstehst - schon ..“ – Augenzwinkern.
“Gib mir ´mal ein Seil, dann mach’ ich den Köter fest, damit Deine Katze eine Überlebenschance hat! Aber eins lass dir gesagt sein: das ist ein deutscher Hund! Nicht so ein erbärmlicher Inselköter, der überall hinpisst!“

Und mit Blick auf die anderen Gäste auf der Terrasse: “Da die Touris, die können mich mal kreuzweise. Schließlich sind wir hier auf den Kanaren, West of Africa und nicht in Deutschland.” Sagte es und setzte sich mit den drei Damen an einen Tisch.
"Hänsje, horschemo, sach doch mal 'nen Satz mit drei "ö". Weeste nit? Ei, du musst dein Kaktus gieße' sonst verdördördör!"

Der immer noch leinenlose Hund schnüffelte inzwischen an den Schuhen der anderen Gäste. “Chico, komm' her! Platz! Hier herrscht deutsche Ordnung!” Und grinsend zu mir gewandt: „Also, mein Lieber, dann bring uns mal einen Bembel Sangria, damit die Girls in Stimmung kommen!”

Ich eilte in die Küche und suchte die “Residenten-Kordel“, denn immer wieder kamen Gäste mit Hunden ohne Leine. Noch einmal bat ich nun darum, den Hund anzubinden, was dann auch unter weiteren abfälligen Kommentaren geschah. Die den Aufschneider begleitenden “Girls” zeigten sich jedenfalls tief beeindruckt von dessen anspruchsvollem Monolog. Sie steckten die Köpfe zusammen und kicherten wie Teenager in der italienischen Eisdiele der sechziger Jahre, als Peppino di Capri den Eisbecher mit brennender Wunderkerze und japanischem Papierschirmchen servierte.

Eine viertel Stunde später: “Naa, essen wollemer net, mer habe' ja gut gebruncht, aber so ’nen Bembel Sangria kannste uns noch bringe’, damit die Girls gut abgeschmiert sind! Und sach doch mal den Ossis da drübbe am Tisch, dass sie gefälligst Deutsch spreche' solle! Das polnische Platt mit Zungenschlag nervt nämlich ganz schön. Die habbe ja jetzt gut reise' mit unserm Geld, das wir denen milliardenfach in den A….schieben. Es ist noch kein Jahr seit dem Fall der Mauer vergange', und schon sitzt die HO-Kundschaft mit unserm Geld unter südlichen Palmen statt am Plattensee.“

Des “Residenten” Kopf nickte angewidert in Richtung “Tisch Ost”, und ich verdrückte mich ohne Kommentar in die Küche, um noch einen Liter Sangria zu holen. Wieder einmal hatte ich, wie schon so oft in den letzten fünf Jahren, das ohnmächtige Gefühl, dass ich nicht nur Gastwirt, sondern auch willkommener Müllabladeplatz für die philosophischen Ergüsse meiner deutschen Kundschaft bin. Jetzt ertappte ich mich bei dem Gedanken, den zweiten Liter Sangria über den Hohlkopf des südhessischen Frustheinis auszukippen. In Gedanken sah ich den dunkelrot gefärbten “Porsche-Sonnenbrillen-Träger“, garniert mit leckeren, gut durchgezogenen Orangen-, Zitronen-, Guaven- und Bananen-Stückchen ....

Mit einem Lächeln auf den Lippen wagte ich mich wieder hinaus auf die Terrasse. Nur einen Augenblick zögerte meine Rechte, aber dann setzte ich die Karaffe auf den Tisch des Südhessen. Da tönte es mir auch schon wieder allzu laut und allzu wohlwollend entgegen: “Na Alter, heute bist du aber gut drauf! Ich glaab, dei’ Alte ist wohl in Urlaub und dei’ rassige Köchin hat dich mal wieder getröstet!” Und wieder dieses anzügliche Grinsen.

Die vier Gäste aus Jena bewunderten inzwischen die von violetter Bougainvillae, weißem Jasmin und rosa Oleander überwucherte Terrasse und staunten über den atemberaubenden Ausblick auf eine vierhundert Meter hohe Felswand auf der gegenüber liegenden Seite des Tales. In Richtung Meer bildet sie einen V-förmigen Ausschnitt, in dem sich das blaue Meer spiegelt, das die mit Dunst verschleierte Insel La Gomera trägt. Mit glänzenden Kinderaugen und dankbaren Blicken lauschten sie meinen gezwungenermaßen kurzen Antworten auf ihre wissenshungrigen Fragen. Immer wieder sprudelten Sätze wie “...dass wir das noch erleben dürfen...” oder “…ich glaube, ich träume...” oder “... das hat man uns alles jahrzehntelang vorenthalten ...” aus ihnen heraus.

Genau mit diesen Sätzen, so erklärte ich den Jenaern, kommentierten noch vor einem Jahr, als die Mauer gefallen war, viele westdeutsche Gäste mit Tränen in den Augen die Wiedervereinigung Deutschlands. Mangels eines Fernsehapparates in unserem Haus versäumten meine Frau und ich - allerdings nicht ganz ungewollt - sämtliche Nachrichten aus der Welt und somit auch die Meldungen von den Umwälzungen in Deutschland. Doch schon am Tage nach dem Mauerfall lauschten auch wir ungläubig den Schilderungen der deutschen Kundschaft, die euphorisch von den Ereignissen der letzten Tage in der DDR und in Berlin berichteten. Dies war wohl das erste und letzte Mal, dass ich bereute, nicht mehr in Deutschland zu sein. Obwohl ich nun schon einige Zeit weit weg der Heimat lebte, hatte ich als Teil der Nachkriegsgeneration den Status Quo so stark verinnerlicht, dass mir dieser friedliche Fall der Mauer total unlogisch und unvorstellbar erschien. Erst zehn Jahre später hatte ich dann Gelegenheit, die Bilder aus Berlin mit immer noch ungläubigen Augen zu sehen.

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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