Hartz-IV: Ohrfeige für Krisenpolitik der Bundesregierung

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Sozialgericht Karlsruhe: 150 Euro Hartz IV-Corona-Zuschuss sind zu wenig

150 Euro pro Person will die Bundesregierung an Hartz IV Bezieher auszahlen, um die Mehraufwendungen im Zuge der Pandemie aufzufangen. Von Erwerbsloseninitiativen und Sozialverbänden wurde dieser Zuschlag als deutlich zu gering bewertet. Das Sozialgericht Karlsruhe entschied in einem Eilverfahren nunmehr, dass der geplante Zuschlag im Mai verfassungswidrig sei (AZ: S 12 AS 711/21 ER).

Aus Sicht des Sozialgerichts Karlsruhe ist der geplante Corona-Zuschuss für Sozialhilfe- und Hartz IV Beziehende verfassungswidrig. Der Mehraufwendungsbedarf in Höhe von 150 Euro soll im Mai 2021 an alle Erwachsenen, die einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben, ausgezahlt werden. Das Sozialgericht entschied jedoch, dass der Bedarf von Januar bis April nicht erst im Mai gedeckt werden könne.

Ermittlung des Bedarfs verfassungswidrig

Zudem seien die Anforderungen zur Ermittlung des Bedarfs und zur Ermittlung existenzsichernder Leistungen nicht erfüllt, entschied das Gericht. Das Gericht sprach sich demnach für eine Regelsatzerhöhung von rund 100 Euro pro Monat und Person aus. Demnach müssten Hartz IV Beziehende für jeden Pandemiemonat 100 Euro, im Jahr 2021 bisher also insgesamt 400 statt 150 Euro erhalten.

Geklagt hatte eine alleinerziende Mutter aus dem Kreis Rastatt. Die Hartz IV Betroffene reichte einen Eilantrag ein. Beim Jobcenter hatte die Klägerin einen Zuschuss für FFP2-Masken beantragt.

Alleinerziehende Mutter muss schwerkrankes Kind zu Therapien fahren

Die Mutter begründete ihren Antrag damit, dass sie ihre herzkranke zweijährige Tochter zu den wöchentlichen Therapien ins Krankenhaus begleiten müsse. Hierfür müsse sie die Öffentlichen Verkehrsmittel benutzen. Aufgrund der Maskenpflicht im Nahverkehr und in der Klinik habe sie erhebliche Mehraufwendungen zu leisten. Doch das Jobcenter lehnte den Antrag ab.

Allerdings hatte der Eilantrag beim Sozialgericht Erfolg. “Nun kann die Klägerin ihre herzkranke Tochter sicher im ÖPNV zu den wöchentlichen Behandlungen ins Krankenhaus und zum Physiotherapeuten bringen”, so das Gericht. Für die im Eilverfahren unmittelbar Beteiligten ist der rechtskräftige Beschluss bindend, betonte das Gericht in dem Beschluss.

Gilt der Beschluss für alle Hartz IV Bezieher?

“Der Fall ist leider nur Sozialgericht und somit Fallbezogen und nicht allgemein gültig”, kommentierte die Hartz IV-Kritikerin und Ex-Jobcentermitarbeiterin Inge Hannemann den Beschluss auf Twitter. “Das macht es nicht besser, da natürlich alle von Armut Betroffene davon betroffen sind. Nur wer erklärt es dem Bundesarbeitsministerium?” Aber: Das Sozialgericht Karlsruhe teilte erneut gegen die „Geiz-ist-geil-Mentalität” der Bundesregierung aus, so Hannemann weiter.

Eilantrag hat Signalwirkung

Allerdings hat der erfolgreiche Eilantrag Signalwirkung. Das gleiche Gericht hatte bereits im Februar entschieden, dass die Jobcenter Hartz IV Beziehenden kostenfrei FFP2-Masken zur Verfügung stellen müssen. Entweder als Geldleistung in Höhe von 129 Euro im Monat oder als Sachleistung (AZ: S 12 AS 213/21 ER).

Hartz IV Beziehende sollten es gleich tun und ebenfalls zusätzliche Leistungen aufgrund der Pandemie beantragen und dann einen Eilantrag stellen. Allerdings urteilen die Sozialgerichte bezogen auf Zusatzleistungen in der Corona-Zeit derzeit recht unterschiedlich.

Katja Kipping (MdB DIE LINKE) kommentiert:

"Die Bundesregierung hätte auch in dieser Frage auf die soziale Opposition und das Bündnis aus 41 Sozialverbänden und Gewerkschaften hören sollen. Seit Anbeginn der Krise fordern wir einen Pandemie-Zuschlag von mindestens 100 € pro Corona-Monat. Die Hartz-IV-Sätze waren schon vor Corona zu niedrig bemessen.

Monatelang ignorierte die Bundesregierung die Frage, wie man von den zu niedrigen Sozialleistungen auch noch die coronabedingten Mehrausgaben wie Masken, Desinfektionsmittel, Schnelltests, höhere Ausgaben für wegfallendes bisher gestütztes Essen in Kitas und Schulen usw. bezahlen soll“, kommentiert Katja Kipping, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, den Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe, dass der von der Bundesregierung verabschiedete Corona-Zuschuss von 150 € zu gering und verfassungswidrig ist. Kipping weiter:

„Dass die Betroffenen ihre Rechte erst einklagen müssen, ist beschämend für die Bundesregierung. Wenn die Union auch nur einen Funken sozialpolitisches Gewissen hat, sollte sie jetzt umgehend reagieren und endlich einen monatlichen Pandemiezuschlag für alle einführen, die auf Sozialleistungen und sozial Renten angewiesen sind."

Stellungnahme des Paritätischen Gesamtverbandes zum Urteil hier nachlesen

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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