Großdemonstrationen im Spiegel der Medien

Der G20-Gipfel und die Gegenproteste beschäftigen die Medien seit Tagen. Doch was wird dort berichtet? Werden die Argumente der Kritiker wiedergeben? Werden die offiziellen Aussagen unkritisch übernommen? Wie werden die beteiligten Akteure bewertet? Das Institut für Protestforschung hat kürzlich eine Studie veröffentlicht, die sich diesen Fragen widmet. Sie wurde von den Bewegungsforschern Simon Teune, Dieter Rucht und Moritz Sommer erarbeitet.

Selektive Auswahl

Die drei Forscher haben 69 Beiträge zu sieben Demonstrationen untersucht, die zwischen 2003 und 2015 erschienen sind. Elf Medien wurden untersucht, darunter Taz, Bild, die Wochenzeitungen Spiegel, Focus und Die Zeit sowie die öffentlich-rechtlichen Sender ARD, ZDF und Deutschlandfunk.

Es fällt auf, dass linke Publikationen wie die Wochenzeitung Freitag oder Jungle World und die Tageszeitungen Junge Welt oder Neues Deutschland keine Erwähnung finden. Die Protestforscher reproduzieren hier – vermutlich ungewollt – die gesellschaftliche Ausblendung und Verdrängung linker Positionen aus dem öffentlichen Diskurs.

Zu den Protesten, die in der Studie nachbereitet werden, gehören Aktionen gegen den Irakkrieg, der Agenda 20, den G8-Gipfel 2007 in Stock, der Widerstand gegen das Projekt Stuttgart 21, die Aktionen für die AKW-Abschaltung nach der Katastrophe von Fukushima und die Anti-TTIP-Demonstration und der Pegida-Bewegung.

Zwar zieht der Protest die größte Aufmerksamkeit auf sich: alle Quellen berichten überdurchschnittlich ausführlich vom Protest. Allerdings ist die inhaltliche Auseinandersetzung bescheiden (Anteil von Protestmotiven insgesamt 16,9 Prozent).

Studie Großdemonstrationen in Medien

Laut Studie konzentriert sich die Berichterstattung vor allem auf die Konfrontation von Teilen der Demonstranten mit der Polizei. Dieses Muster ist durchgängig. Selbst wenn nur vereinzelte Rangeleien zu beobachten sind, nimmt die Berichterstattung darüber einen großen Raum ein. Das Anliegen und die Ziele der Demonstrierenden werden eher selten analysiert und bewertet.

Peter Nowak, schreibt auf Telepolis dazu: „Sehr gut wird in der Studie herausgearbeitet, wie die Berichterstattung oft subtil vorgeht, um Demonstrationen und Proteste in die Nähe der Unanständigkeit zu rücken. Da wird von den "üblichen Verdächtigen" geredet und geschrieben, die die "normalen Bürger" nicht überzeugen können.

Braver Bürger als Ideal

Die Figur des Normalbürgers oder auch des braven Bürgers, die den "Aktivisten" entgegengestellt wird, geht schon von der Grundannahme aus, dass eben die "Normalbürger" keine Aktivisten sind.

Interessant ist, dass in konservativen Zeitungen, die Proteste gegen die "Agenda 2010", die von vielen Menschen getragen wurden, die vorher noch nie eine Demonstration besucht haben, als "Akt der Selbstvergewisserung" bezeichnet und damit auch abgewertet wurden. Zumindest passt das Bild, das hier als Norm verwendet wird, eher in eine Biedermeiergesellschaft als in ein demokratisches Gemeinwesen, in dem die Menschen ihre Geschicke möglichst weitgehend in die eigene Hand nehmen sollen.

Der brave Bürger, der hier als Leitbild genutzt wird, hält sich, wenn er schon mal demonstriert, streng an alle Regeln, einschließlich der Straßenverkehrsordnung. Menschen, die sich der Aktionen des zivilen Ungehorsams bedienen, weichen da schon verdächtig von der Norm des braven Bürgers ab. Doch die braven Proteste werden in einem Großteil der Medien mit Umschreibungen wie "Volksfest" oder "Karneval" entpolitisiert.

Blick auf Polizei völlig unkritisch

Die Polizei wird hingegen nicht als ein Akteur in diesen Auseinandersetzungen gesehen, der selber auch Gewalt anwendet. Vielmehr wird sie oft als legitime staatliche Stimme in Artikel eingeführt. Selten wird ihre Rolle auch und gerade im Vorfeld von militanten Auseinandersetzungen kritisch unter die Lupe genommen.

Martin Jänichen, der für eine konservative Zeitung arbeitet, wird in der Studie mit dem bezeichnenden Statement zitiert: "Das Gewaltthema (…), da gehe ich am nächsten Tag zur Pressekonferenz des Innensenators, der gemeinsam mit dem Polizeipräsidenten vorträgt, wie viele Polizisten verletzt wurden und wie viele Gewalttäter festgenommen wurden."

Das ist die Sichtweise eines völlig in den staatlichen Gewaltapparat eingebetteten Journalisten. Dabei braucht es keinen Druck. Er schaltet sich selber gleich und fragt sich gar nicht, wie er sich bei der Pressekonferenz der Polizei über mögliche Gesetzesbrüche der staatlichen Gesetzeshüter informieren kann. Der Topos kommt ihm gar nicht in den Sinn, weil für ihn selbstverständlich das Handeln der Polizei im Grunde immer berechtigt ist und nicht kritisch hinterfragt werden muss.“

Aktuell Proteste gegen G20 in Hamburg

In Hamburg gingen die Krawalle nach offizieller Lesart von den vermummten Autonomen aus. Ein etwas anderes Licht auf die Ereignisse wirft dieser Artikel auf DLF24, dem Online-Portal des Deutschlandfunkes. Axel Schröder, der Korrespondent des Deutschlandfunkes sieht das anders. Er sagt, er habe vorne gestanden, und die Demonstrationsleitung habe mit dem Schwarzen Block darüber verhandelt, dass die Teilnehmer sich wieder "entmummen". Das sei auch geschehen.

Allerdings hätten ihm Kollegen von Deutschlandfunk Kultur berichtet, dass es hinten im Zug zu dem Zeitpunkt noch Vermummte gab. Offenbar ging der Polizei dort das Entmummen nicht schnell genug, und die Beamten seien - so Schröder - dann mit Pfefferspray in die Menge hineingegangen, ohne dass von Seiten der Demonstranten vorher irgendwas passiert sei.

Schröder fasst zusammen: "Nach den Schilderungen, die ich habe, ging die Gewalt von der Polizei aus. Und der Einsatz war unverhältnismäßig." Schröder berichtet, er habe am eigenen Leibe erfahren, wie die Polizei mit einem "irren Tempo" auch Unbeteiligte zur Seite geschoben habe. Er habe sich gerade in der Hafenstraße mit den Mauern an die Loveparade und die Katastrophe von Duisburg im Jahr 2010 erinnert gefühlt.

Schröder betonte, man möge den Linken unterstellen, dass sie immer nach einem Anlass suchten, um sich mit der Polizei anzulegen. Diesen Anlass hätten sie heute aber "nicht wirklich" geliefert.

Im aufgezeichneten Live-Stream kann jeder bei Minute 58 selbst verfolgen, wie die Situation eskalierte. Die Aufnahmen stützen die Version von Axel Schröder, von zahlreichen weiteren Journalisten und Demonstrationsteilnehmern. Dieses Vorgehen muss Folgen haben. Wer das Vorgehen der Polizei bei den Anti-G20-Protesten in Hamburg nicht kritisieren will, der sollte künftig auch zu Erdogan und Co. schweigen.

Weitere interessante Artikel zum Thema finden Sie hier auf den NachDenkSeiten

„Mit dem Wissen wächst der Zweifel“
(J.W.v.Goethe)
www.NachDenkSeiten.de

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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