Arbeitszeit verkürzen, statt verlängern!

Berlin, 27. Juli 2017

Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages denken gerade laut über eine Ausdehnung der Arbeitszeit auf 10 Stunden nach. Zur Begründung führen sie die Digitalisierung der Arbeitswelt an. Merkels Vizekanzler Gabriel zeigt sich offen. Dietmar Bartsch, stellvertretender Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Bundestag, nicht. Er kritisiert: "Da scheint jemand schnurstracks in die Vergangenheit zu wollen." Natürlich verändere die Digitalisierung die Arbeitswelt, die Antwort darauf sei aber eine "Verringerung der täglichen Arbeitszeit", so Bartsch.

Der 6-Stunden-Tag passt in die digitale Arbeitswelt

Dietmar Bartsch wörtlich: "Die Digitalisierung ist die Zukunft. Sie ist nicht mehr aus unserer Gesellschaft wegzudenken, bietet viele Chancen und birgt doch einige Risiken in sich. Selbstverständlich wird die Digitalisierung auch die Erwerbsarbeitswelt verändern. Sie tut es bereits. Wir LINKEN betonen gern die Chancen von gesellschaftlichem Fortschritt. Digitalisierung richtig gemacht bietet viele Vorteile: Die Produktion könnte ökologisch und dezentralisiert gestaltet werden, Erwerbsarbeit weniger entfremdet sein. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wäre zu verbessern, Wissen und Information viel mehr Menschen unzensiert zur Verfügung zu stellen. Besitzen könnte weniger wichtig werden als Teilen.

Doch derzeit geht die Entwicklung zunehmend in eine andere Richtung. Der Kapitalismus nutzt die Digitalisierung für seine Interessen. Fast alles wird unter dem Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung von Unternehmen und Profit betrachtet. Daten werden gesammelt, um möglichst großen Profit daraus zu ziehen. Algorithmen bestimmen zunehmend unser Leben, ohne dass wir nachvollziehen können, wie sie konkret funktionieren. Für viele Menschen verschwindet die Grenze zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit, weil sie ständig online sind und auch am Wochenende und am Abend Mails beantworten. Sie haben keinen 8-Stunden-Tag.

Die Forderung nach einem 8-Stunden-Tag ist eine der ältesten Forderungen der Arbeiterbewegung. Robert Owen stand für die 3 in 1 Perspektive: 8 Stunden arbeiten, 8 Stunden schlafen und 8 Stunden Freizeit und Erholung. Die Forderung nach einem 8-Stunden-Tag stand im Eisenacher Programm der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Gesetzlich festgeschrieben wurde der 8-Stunden-Tag in Deutschland 1918. Und im Jahr 2015 kommen die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Eric Schweitzer, daher und denken laut über eine Ausdehnung der Arbeitszeit auf 10 Stunden nach. Zur Begründung führt Schweitzer die Digitalisierung der Arbeitswelt an.

Wie absurd ist das denn? Da scheint jemand schnurstracks in die Vergangenheit zu wollen. Die Digitalisierung verlangt nicht nach einer Ausweitung der Erwerbsarbeitszeit, sie verlangt das Gegenteil. DIE LINKE versperrt sich nicht einer flexibleren Gestaltung der Erwerbsarbeitszeit zum Beispiel über Konten zur Lebensarbeitszeit, zur Monats- oder Wochenarbeitszeit. Während Bundesarbeitsministerin Nahles einen Diskussionsprozess „Arbeiten 4.0“ anschiebt, versucht der Präsident des DIHK, anachronistische Forderungen hoffähig zu machen. Es sind dies Forderungen zu Gunsten der Unternehmen und zu Lasten der Erwerbsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer. Es sind Klassenkampfforderungen.

Natürlich verändert die Digitalisierung die Arbeitswelt. Auf eine Kleine Anfrage der Grünen hat die Bundesregierung mitgeteilt, dass in den 91.000 Unternehmen der digitalen Wirtschaft mehr als 1 Millionen Beschäftigte arbeiten. Der Anteil der digitalen Wirtschaft an der gewerblichen Wertschöpfung beträgt 4,7 Prozent – das liegt gleichauf mit dem Automobilbau. In der Antwort der Bundesregierung heißt es weiter, dass die digitalen Technologien neue Arbeitsplätze schaffen, auf der anderen Seite aber durch Rationalisierung und Automatisierung eben solche wegfallen. Die Bundesregierung meint: „Der Saldo aus neu entstehenden und wegfallenden Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung ist wegen der Vielzahl von Einflussfaktoren und aufgrund der Schwierigkeiten der Konstruktion einer kontrafaktischen Entwicklung nur unter bestimmten Bedingungen abschätzbar.“ In der Wissenschaft ist ein Streit entbrannt, in welchem Umfang Erwerbsarbeitsplätze wegfallen werden. Auf der einen Seite stehen Osborne/Frey mit ihrer Studie, nach der bis zu 47 Prozent der derzeitigen Erwerbsarbeitsplätze wegfallen könnten1). Auch Brynjolfsson/McAffee teilen weitgehend diese These2). Andere sehen eher die Option, dass Erwerbsarbeitsplätze geschaffen werden3). Politik muss auf die neuen Entwicklungen antworten, aber die Antwort kann eben nicht ein 10-Stunden-Arbeitstag sein, sondern muss eher in Richtung 6-Stunden-Arbeitstag gehen.

DIE LINKE streitet aber nicht nur für eine Verringerung der täglichen Arbeitszeit. Natürlich würde es uns freuen, wenn im Jahr 2018 der 8-Stunden-Arbeitstag keinen hundertsten Geburtstag feiert, aber der 6-Stunden-Arbeitstag eingeführt wird. DIE LINKE setzt sich für Erwerbsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ein, hat aber auch die so genannten Crowdworker, die sich auf diversen Plattformen um meist schlecht bezahlte Aufträge “prügeln”, im Blick. Für sie gibt es keinen 8-Stunden-Tag, und sie fallen nicht unter den schon zu gering ausfallenden Mindestlohn. Aber auch sie sollen Mindeststandards für ihre Erwerbstätigkeit haben. Warum denken wir nicht mal über ein Mindesthonorar nach?"

1) http://www.oxfordmartin.ox.ac.uk/downloads/academi...
2) http://blogs.faz.net/fazit/2014/02/10/nimmt-die-un...
3) http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/industrie-4-...

Bürgerreporter:in:

Hajo Zeller aus Marburg

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