OSTWÄRTS UM DIE GANZE WELT: TEIL 5 - TONGA

Willkommen im Paradies
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Königreich Tonga: auf Polynesisch: Pule’anga fakatu ’i ’o Tonga. Zwei Seetage benötigt das Schiff „Amadea“ für die 1116 Seemeilen, um unser nächstes Ziel Tonga, das vermeintliche Paradies im Stillen Ozean, zu erreichen. Von nun an können wir all die wunderschönen polynesischen Namen singen. Versuchen wir es doch gleich einmal gemeinsam: Tongatopu, Nuku’alofa, Vava’u, Neiafu, Ava Pulepulekai, Samoa-I-Sisifo, Upolu, Tutuila, Pago-Pago, Bora Bora, Vaitape, Raiatea, Taha’a, Faaroa…
Ist das nicht eine herrliche Melodie? Weitere Namen werden in meinen nächsten Berichten folgen. Also viel Gelegenheit zum Üben.

Malo e lelei (guten Tag). Unsere Reise durchs Paradies beginnt am 7. März 2011 morgens um zehn Uhr auf der Hauptinsel des Königreiches Tonga, dem einzigen Staat in Ozeanien, der nie von Europäern kolonialisiert wurde. Das Schiff macht an der Pier fest, und wir gehen zu Fuß die drei Kilometer Landstraße direkt am Meer entlang bis zur Hauptstadt Nuku’alofa. Bei Ankunft denkt der Tourist zunächst, er träumt. Alle Postkartenmotive und Werbefotos, die man von der Südsee im Kopf hat, gibt es hier wirklich. Sie haben sich plötzlich materialisiert und man kann sich in ihnen bewegen. Es dauert etwas, bis die Surrealität verschwindet, und wir ertappen uns bei dem Gedanken, dass diese wunderbaren Augenblicke doch bitte ewig dauern sollen.

Der Pazifische Ozean ist so groß, dass alle Kontinente plus noch einmal Afrika in ihn hinein passen. Hier hat die Entstehung unseres Planeten nie aufgehört. Die Inselwelt der Südsee ist noch geologisch jung, und das Paradies Tonga ist, wie kein anderer Staat der Welt, der Hölle am nächsten. Mit einer Expositions-Rate von über 56% ist es durch Naturgewalten wie Erdbeben, Tsunamis und Zyklone extrem gefährdet.

Uns fällt zunächst auf, dass das Meerwasser nicht bis zum grün bewachsenen Ufer kommt, sondern von diesem durch trocken gefallene Korallenbänke getrennt ist, gerade so als sei tiefste Ebbe. Auf Nachfrage erfahren wir, dass Tonga, das im Gebiet des Pazifischen Feuerrings direkt neben dem Tonga-Graben mit über 11 Kilometern Wassertiefe liegt, am 13. Februar 2010 von einem Erdbeben der Stufe 6,3 erschüttert wurde. Die gesamte Insel wurde um einen ganzen Meter angehoben, sodass der alte Küstensaum trocken fiel. Nur zwei Tage später brauste der Zyklon „René“ mit 228 Kilometer pro Stunde über die Inseln und zerstörte viele Häuser.

Doch nicht nur die Natur bedroht dieses Paradies. Bereits im Jahre 2006 brachen in der Hauptstadt Nuku’alofa Unruhen gegen das Parlament aus, das vom König und seinen Günstlingen beherrscht wird. Ziel der Brandanschläge waren in erster Linie indische und chinesische Gewerbetreibende, die der Korruption beschuldigt wurden. Deren Geschäfte wurden zunächst geplündert und dann in Brand gesteckt. Durch den herrschenden starken Wind gerieten die Feuer schnell außer Kontrolle, so dass fast die gesamte Innenstadt abbrannte. Die Regierung rief den Ausnahmezustand aus, der bis heute anhält.

Auf unserem Spaziergang in die Stadt kommen wir an einigen sehr bunt geschmückten, gar nicht traurigen Friedhöfen vorbei. Das Leben und Treiben in der Stadt selbst macht auf uns einen friedlichen, geradezu gemütlichen Eindruck. Die Tongaer sind hoch gewachsen und meist sehr korpulent, da sie sich überwiegend von Yams (eine Art Süßkartoffel) und Kokosöl ernähren und viele Familienfeste feiern. Freundlich und hilfsbereit begegnet man uns auf der Straße, in den Geschäften und auf dem Postamt. Meine Frau bekommt sogar einen Heiratsantrag von einem einsamen Hagestolz auf einer Parkbank. Wir besuchen einen Fischmarkt, dessen Verkaufsstände bis auf wenige Reste bereits leer gekauft sind. Klar, die Hausfrauen stehen etwas früher auf als Touristen. Wir finden keine Hinweise auf die politischen Unruhen der Vergangenheit, und der Königspalast ruht unversehrt zwischen Stadt und Meeressaum. Ausnahmezustand? Unvorstellbar!

Als der nachmittägliche Regenschauer einsetzt, flüchten wir in ein Café. Kaum sitze ich im Trockenen, fällt mir ein grünes Auto auf, das direkt vor dem Café geparkt ist. Ich schaue hin, wische mir die Augen, schaue wieder hin und denke schon wieder, dass ich träume. Dort steht ein deutscher DKW aus den 50-er Jahren mit tongaischer Zulassung. Ich betrachte die Gäste im Café, das Auto davor, noch einmal die Gäste und noch einmal den Oldie. Schließlich lächelt mich ein junger Mann europäischen Aussehens an. Ich gehe an seinen Tisch und frage, ob der DKW ihm gehöre, was er bejaht. Er selbst sei Südafrikaner und habe nach Nuku’alofa geheiratet. Das Auto habe er aus Südafrika als Umzugsgut mitgenommen, denn von einem solchen Schatz könne er sich nicht trennen. Sagt es, geht mit mir zum Wagen, lässt mich noch einmal staunen und tuckert winkend davon. Ich stehe im warmen Regen und denke und träume immer noch.

Bei Sonnenuntergang sehen wir vom Schiff aus, riesige fliegende Wolken, die aus Flughunden bestehen. Diese Tiere verlassen abends ihre Schlafbäume zur vegetarischen Nahrungssuche auf den Nachbarinseln. Fasziniert beobachten wir dieses Naturschauspiel bevor wir „südseemäßig“ verkleidet zur Rosenmontagsparty auf dem Schiff aufbrechen. Es wird eine kurze Nacht unter südlichem Sternenhimmel .

8. März: Am nächsten Morgen fällt das Aufstehen etwas schwer. Das Schiff hat bereits auf der Reede in der Lagune von Ava Pulepulekai der Insel Vava’u festgemacht. Wir werden „getendert“, d.h. mit unseren Rettungsbooten ans Ufer des Ortes Neiafu gebracht. Zu viert mieten wir uns ein Taxi, um die Schönheiten der Insel zu sehen. Das Innere des Taxis gleicht eher einer bayerischen Wallfahrtskirche als einem Gebrauchsauto, denn es ist mit unglaublichem Kitsch dekoriert. Der Fahrer ist stolz auf sein Taxi und seine Insel. Er bringt uns sogar zu seiner Familie nach Hause. Allerdings besteht dieses Haus z. Zt. nur aus Wellblech und Pappwänden, weil der Zyklon „René“ auch hier heftig zuschlug. Bisher ist nicht genügend Geld vorhanden, um ein neues Haus zu bauen. Trotzdem gibt man sich sehr gastfreundlich und offeriert die wenigen Dinge, die man besitzt.

Die Insel bietet wunderschöne Ausblicke auf grüne Wälder, herrliche Strände und blaue Lagunen. Immer wieder sehen wir Familiengräber direkt neben den Wohnhäusern, denn die Vorfahren sollen nahe bei der Familie bleiben. Wir besichtigen die Reste einer von einem Zyklon zerstörten Straßenbrücke aus Eisen, die einmal von Deutschen gebaut worden war, denn Kaiser Wilhelm hatte einen Freundschaftsvertrag mit dem König von Tonga. Eine katholische Kirche und einen Wochenmarkt mit den Produkten der Insel sind die nächsten Sehenswürdigkeiten: viele Bananensorten, Yams, Süßkartoffeln, Fisch, Kokosnüsse und Blumenkränze. Hier trinken wir eisgekühltes Kokosnusswasser (Kokosmilch) und eine Marktfrau schenkt meiner Frau einen frisch geflochtenen Blütenkranz, was bedeutet, dass sie eines Tages auf die Insel zurück kehren wird, wenn sie bei Abfahrt des Schiffes den Blumenkranz über Bord wirft, was sie dann auch tut.

Früh am Nachmittag gehen wir wieder an Bord. Das Schiff legt ab in Richtung Ost, dem Tiefseegraben und der Datumsgrenze entgegen. Wir bleiben an Deck bis Mitternacht, um zu spüren, wie das Schiff einen ganzen Tag im Kalender zurück springt. Wer hat schon Gelegenheit, einen Tag seines Lebens zwei Mal zu erleben? Der 8. März war so schön, den werden wir sofort wiederholen.

Zur einzigartigen Blechbüchsenpost der Tonga-Insel Niuafo'ou siehe: http://www.myheimat.de/marburg/kultur/wenn-briefma...

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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