IN 160 TAGEN UM DIE WELT (INTERMEZZO NR.3)

Ab Havanna fiel mir eine unscheinbar grau gewandete männliche Gestalt auf, die ich zuvor noch nicht unter den Passagieren des Schiffes gesehen hatte. Kaum hatte ich den schlanken grauen Schatten wahrgenommen, war er auch schon wieder zielstrebig um die nächste Ecke verschwunden. Im Bordprogramm las ich dann eine Ankündigung für den nächsten Seetag:
Vormittag 11.00 Uhr Gesprächsrunde mit unserem Bordgeistlichen Ezzelino von Wedel: „Glaube ja – Kirche nein.“

Aha, das könnte er doch sein! Und er war es auch, wie ich dann in der Gesprächsrunde selbst feststellen konnte: Ein Mann von hoher Gestalt, hager, schlank bis asketisch, protestantisch, hanseatisch, sicher auftretend, redegewandt und in sich gefestigt wirkend. Eine hohe Stirn, kleine, lustig/listige Augen, ein Genießermund und ein starkes Kinn prägen sein schlankes Gesicht. Ironie und Schalk lauern „im Nacken“. In den Gesprächsrunden (es sollten noch viele Themen im Verlauf der Reise folgen) erlebte ich dann einen faszinierend tiefgründigen Menschen, der mehr und mehr unerwartete Facetten zeigte. Einerseits polarisierte er Standpunkte. Andererseits provozierte er butterweich und unbemerkt, um in die Herzen seiner Schäflein zu schauen. Obwohl kein Kirchgänger, wurde ich immer neugieriger auf diese nicht alltägliche Person.

Schließlich bat ich um ein persönliches Gespräch und erfuhr zunächst, dass sein italophiler Vater seinen Söhnen italienische Namen gab. Ezzelino bedeutet „der kleine Etzel“.
Im Italien des 13. Jahrhunderts gab es den legendär grausamen Despoten Ezzelino da Romano, Führer der kaisertreuen Ghibellinen, Herr über Verona und Vicenza.
Nomen est omen? In diesem Falle wohl kaum.
Vielleicht war es die Erziehung in einem englischen Internat in Holland und das in London abgelegte englische Abitur, die gerade noch Schlimmes verhinderten?
Mit Pop und Rock der 60-er Jahre am Keyboard in Hamburg und als Übersetzer kunstgeschichtlicher Arbeiten in Florenz und Mailand finanzierte er seine Autonomie vom Elternhaus und dachte in Klöstern zwei Jahren darüber nach, ob er katholischer Mönch oder evangelischer Pfarrer werden wollte.
Er entschied sich für sechs Jahre Theologiestudium in Hamburg und diente dort als Vikar, der schnell journalistische Ambitionen entwickelte.
Dann von 1980 bis 1982 Pfarrer in Hamburg. Neben der Pfarrtätigkeit moderierte er Hörfunksendungen und Features für den NDR und den DLF. Er schrieb regelmäßige Beiträge für das „ZEIT-Magazin“. Daher entstand für ihn sehr schnell die neue Frage, ob er Pfarrer bleiben oder Journalist werden sollte.
1982 bis 2004 war Ezzelino Leiter der Redaktion „Religion und Gesellschaft“ von Radio Bremen. Diese 22 Jahre waren ausgefüllt mit Reisen durch die ganze Welt, zweimal sogar an der Seite von Papst Johannes Paul II., 20 Kirchen- und Katholikentagen, Hunderten von Sendungen, Interviews, Moderationen, Zeitungsartikeln und drei Büchern, die er nebenher schrieb, u.a. eine Jesusbiographie „Als Jesus sich Gott ausdachte“, (Kreuz-Verlag 1990). Und nun befand er sich plötzlich völlig unerwartet als ehrenamtlicher Bordgeistlicher auf einer Schiffsreise um die Welt. Ja, ja, die Wege des HERREN…

Warum ich das Alles schreibe? Keine Ahnung! Oder doch? Jedenfalls habe ich mir seit dem Ende jener Weltreise und dem damit verbundenen Abschied von Ezzelino über keinen Menschen so viele Gedanken gemacht, wie über diesen „Understatement-Geistlichen“.
Er hat mich nicht als Kirchenmitglied gewinnen können (er hat es noch nicht einmal versucht!), aber als Mensch. Er hat angenehm schmerzlos meine grauen Zellen durcheinander gewirbelt und seit unseren Gesprächen heimlich, still und leise meine Perspektiven vermehrt und farbig ausgestaltet.
Richtig - er erschien mir äußerlich sehr grau. Meine Erkenntnis - das ist reine Tarnung.
Danke Ezzelino.
Quellenangabe: Alle Thumb Fotos und Teile der Biografie von Ezzelino von Wedel.
Siehe auch: http://www.radiobremen.de/nordwestradio/religion/s...

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

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