Der Marburger Tiergarten, Teil IV:

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Der Marburger Tiergarten, Teil IV:

Die Löwen und der Tierpfleger Schorsch.

Wie anfangs schon erwähnt, waren die Löwen. die Attraktion des Tiergartens Die Eis-bären waren zwar auch etwas Besonderes, aber mit den Löwen und ihrer Dressur konnten sie doch nicht konkurrieren .

Obwohl der Winterkäfig im Haus relativ eng war, kam es vor dass Löwenbabys geboren wurden. Das war dann eine kleine Sensation und die Besucher kamen in Scharen, um den Neuling, der mit der Flasche aufgezogen wurde, zu sehen. Er wurde auf einem Tisch präsentiert. Natürlich war ein Fotograf dabei und wer wollte, konnte den kleinen Löwen auf den Arm nehmen und ein Erinnerungsfoto machen lassen. Heute würde man sich wahrscheinlich über diese Art der Vermarktung aufregen. Der Gedanke des Tierschutzes war damals noch nicht so ausgeprägt und die Meisten fanden das nur toll.
Das kleine Mädchen auf den nachfolgenden Bildern hat zwei Löwenbabys erlebt. Beim ersten Mal war sie selbst fast noch ein Baby. Fünf Jahre später ist die zweite Aufnahme entstanden. Da wollte sie das Löwenbaby auf den Arm nehmen, hat es aber selbst so vorsichtig angefasst, dass der kleine Löwe Angst hatte, zu fallen und versucht hat, sich festzukrallen, so dass sie die kleinen Krallen schmerzhaft zu spüren bekam. Sie kann also behaupten schon einmal von einem Löwen gekratzt worden zu sein. – Auf dem Bild hielt sie ihn dann so, dass er sich nicht mehr festkrallen bzw. kratzen konnte. – Das war für die Kinder natürlich ein sensationelles Erlebnis und für den Tiergarten ein Besuchermagnet. (Siehe oben stehende und nochmals am Schluss stehende beiden Fotos)

(Leider besitze ich nur zwei – nicht besonders gute – Fotos vom Tiergarten, Fotos wurden aber auch von den Lesern vermisst. Ich habe deshalb als Ersatz einige Handskizzen beigefügt, die zwar eigentlich nicht druckreif sind und schon gar keinen Anspruch auf künstlerischen Wert erheben.
Aber nach dem Grundsatz, schlechte Bilder sind besser, als gar keine, füge ich sie doch bei und bitte um Nachsicht hinsichtlich der Qualität. Die Bilder sind über "Bilder auswählen" von mir am Schluss und von myheimat nochmals automastich im Text eingefügt.)

Wenn der Tierpfleger Schorsch die Dressur der Löwen vorführte, gab es auch einen starken Besucherandrang. Für uns Kinder hieß er nur „der Schorsch“; mit vollem Namen hat er sich bei uns nicht vorgestellt (Ein Leser vermutet: Georg Koob; das ist möglich, aber ich kann es nicht bestätigen). Er war ein zielstrebiger und fleißiger junger Mann, von dem das Gerücht im Umlauf war, dass er zu hause „ausgerissen“(!) sei. Nach den moralischen Vorurteilen der 30er Jahre konnte ein „Ausreißer“ nur ein schlechter Mensch sein und meine Eltern – besonders meine Mutter - sahen es nicht gern, dass ich Kontakt zu ihm hatte. Meine Mutter ist auf dem Land groß geworden, wo solche Vorurteile noch ausgeprägter, als in der Stadt herrschten. Was heute an Moralvorstellungen zu wenig vorhanden ist, gab es damals zu viel. Und dann kann Moral, besonders wenn sie vorwiegend aus Vorurteilen besteht, auch Unheil anrichten und Menschen unberechtigt in Verruf bringen.

Für uns war der Schorsch ein Held und nichts, was ihm angedichtet wurde, stimmte. Außer, dass er das Elternhaus nach damaliger Ansicht vorzeitig verlassen hatte. - Er war nicht nur für die Löwen zuständig, sondern hatte alle Tiere zu füttern und die Käfige bzw. Gehege zu reinigen. Zeitweise war noch ein zweiter Tierpfleger da; aber meistens hat er den ganzen Tiergarten alleine versorgt. Da war er voll ausgelas
tet und hatte nicht viel Zeit, sich mit uns Jungs zu befassen. Wir haben ihn aber immer ehrfurchtsvoll beobachtet und ihn bewundert, weil er vor keinem Tier Angst hatte. -
Seine Freizeit verwendete er darauf, die Löwen zu dressieren und was er ihnen beigebracht hatte, das war durchaus zirkusreif. Wenn man bedenkt, dass er keinerlei Vor-aussetzungen dafür mitgebracht hatte (m. W. hat er keine Ausbildung bei einem erfahrenen Dompteur gehabt), war das eine bewundernswerte Leistung.
Die Löwen sprangen auf seinen Befehl von einem Podest (Kiste) auf das andere, sie sprangen durch einen Reifen und legten sich auf Befehl alle nebeneinander auf den Boden. Er stellte sich dann auf den Rücken von zwei liegenden Löwen, die zwar unwillig fauchten, aber alles mit sich geschehen ließen. Dann kniete er sich neben einen Löwen und riss ihm das Maul auf, so dass man seine mächtigen Reißzähne sehen konnte. Die Krönung war, wenn er einem Löwen das Maul öffnete und seinen Kopf teilweise hinein steckte. (Hoffentlich hatte der Löwe keinen betäubenden Mundgeruch). Da musste man schon staunen, auch wenn nicht alles so bunt und glitzernd war, wie im Zirkus. Der Reifen, durch den die Löwen sprangen, war z.B. eine Fahrradfelge. An das Aussehen der Kisten kann ich mich nicht mehr erinnern, aber sie waren jedenfalls nicht so komfortabel, wie das im Zirkus üblich ist.
(Siehe die beiden Skizzen im Text, die autom. dort plaziert wurden, und nochmal unten).

Die Dressur und ihre Vorführung fand im Freigehege auf dem ehemaligen Gutshof statt. Da gab es kein Sägemehl, sondern nur das Pflaster aus der Gutshofzeit. Aber das Freigehege war geräumig genug. – Ich weiß nicht, ob Herr Löchel (der Tiergarten-besitzer) von Schorsch verlangt hat, die Löwen zu dressieren. Ich glaube eher, dass das aus eigenem Antrieb getan hat. Aber ich weiß, dass Herr Löchel ihm untersagt hatte, die Löwen in dem engen Winterkäfig im Haus zu dressieren, weil ihm das zu gefährlich erschien. Aber Schorsch befürchtete, dass die Löwen über Winter alles vergessen würden, was er ihnen im Sommer mühsam beigebracht hatte. Als er sie wieder im Winterkäfig dressierte, rutschte er aus und fiel zu Boden. Die Löwen erschraken über diese ungewohnte ruckartige Bewegung und sahen ihren Beherrscher plötzlich klein an Boden liegend. Es entstand große Unruhe und die Löwen fielen über ihn her. Seine Hilferufe und das Gebrüll der Löwen hörte Herr Löchel. Mit dem Wasserstrahl trieb er die Löwen zurück und zog Schorsch aus dem Käfig. Die Wunden (besonders an der Schulter) und der Blutverlust waren aber so groß, dass er in der Klinik nicht mehr gerettet werden konnte. So kam es zu dem traurigen Ende eines fleißigen und ehrgeizigen Mannes, der ein ehrbares Andenken verdient hat.
Nun muss ich noch eine unglaubliche, aber wahre Geschichte von einer Löwin erzählen. An einem sonnigen Sonntag stand ein Mann vor dem Löwengehege und rauchte eine Zigarette. Er legte offenbar großen Wert auf sein Image und war sehr gepflegt gekleidet aus seiner linken Brusttasche des Anzugs ragten zwei Spitzen eines besonders guten Taschentuchs hervor, das damals nur zur Zierde so getragen wurde, während das zu benutzende Taschentuch in der Hosentasche steckte. Die Besucher gafften die Löwen an und die Löwen betrachteten gelangweilt die Besucher. Einer Löwin behagte das scheinbar nicht. Sie ging in Position, drehte sich mit dem Schwanz in die Richtung des erwähnten Herren. Dann geschah das Unglaubliche; die Löwin hob den Schwanz und schoss einen Urinstrahl auf den etwa 2m entfernten Herren. Sie traf dabei die Zigarette, die gelöscht zu Boden fiel und dann landete der Strahl - wie gezielt - auf der Krawatte und ergoss sich über den Anzug. Da blieb von dem vornehmen Eindruck des Herrn nicht mehr viel übrig. Er schimpfte wie ein Rohrspatz und „Du gottverdammtes Mistvieh“ war da noch eine „gesittete“(!) Anrede. Er zückte sein Sonntagstaschentuch und wischte und wischte. Seine Frau öffnete ihre Handtasche und wischte auch mit ihrem Taschentuch.
Die umstehenden Besucher verzogen ihre Gesichter, denn sie wollten höflichkeitshalber nicht laut lachen, konnten das aber nur sehr schwer unterdrücken.
Zu gern hätte ich die Löwin nach ihren Motiven befragt. Ob das eine radikale Raucherentwöhnungskur sein sollte oder ob ihr die Krawatte nicht gefallen hat. Sicher waren die getroffenen Ziele (Zigarette und Krawatte) Zufallsergebnisse. Aber ich kann mich auch heute noch des Eindrucks nicht erwehren, dass sie den Herrn bewusst treffen wollte, aus welchen Gründen auch immer. Jedenfalls hat sie sich vorher erst in die richtige Position gebracht, anstatt sich einfach dort zu entleeren, wo sie gerade stand.
So etwas habe ich in meinem ganzen Leben nicht wieder erlebt und ich würde es nicht glauben, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre. (Siehe nachstehende Skizze).

Bürgerreporter:in:

Walter Wormsbächer aus Marburg

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