Das Lagerfeuer / Kurzgeschichte zu Weihnachten

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Ich war sieben oder acht Jahre alt und Weihnachten stand wieder vor der Tür. War immer eine aufregende Angelegenheit. Es fing mit dem Öffnen des Adventskalenders an, dann kamen die Adventsfeiertage und endlich Weihnachten. Und wenn auch noch Schnee lag, war die Sache perfekt. Mit der Vorfreude auf Silvester war diese Zeit unübertrefflich. Denn an diesem Tag durfte ich kurz vor Mitternacht aufstehen und mir das Feuerwerk ansehen, mit dem das neue Jahr begrüßt wurde. Der Monat Dezember war also überstrahlt von einem goldenen Glanz.
Dieses Jahr sollte meine Freude jedoch einen Dämpfer bekommen. Nichts wirklich Schlimmes, doch blieb es unvergessen.
Das Wichtigste an Heiligabend waren natürlich die Geschenke, obwohl die feierliche Pracht des Christbaumes auch nicht zu verachten war. Was die Geschenke betraf, erwartete ich schon Ende November einen Katalog einer Spielzeugfirma, der der Tageszeitung meiner Großeltern beigelegt war. Der wurde dann fleißig mit vor Aufregung roten Backen studiert. Viele der abgebildeten Spielzeuge markierte ich mit einem Kugelschreiber, damit die Verwandtschaft wusste, was ich mir zu Weihnachten wünschte.
In dem Alter, in dem ich mich damals befand, waren meine Favoriten Spielzeugfiguren. Insbesondere Cowboys und Indianer und im Speziellen die Figuren der Karl-May-Serie. Ich hatte die Comic-Hefte der gleichen Reihe geradezu verschlungen. Und nun war es natürlich toll, dass es diese Figuren auch als Spielzeug gab.
Winnetou, Old Shatterhand und Sam Hawkens, hatte ich schon. Es fehlten noch Intschu tschuna, Nscho-tschi und Klekih-petra.
Hauptwunsch an Weihnachten war jedoch ein Wildwest-Fort aus Holz mit den entsprechenden Standardfiguren an Indianern und Cowboys. Aber eine Karl-May-Figur musste natürlich als besonderes Bonbon auch noch sein. Ich entschied mich für Klekih-petra, den weißen Lehrer von Winnetou. Diese Figur hatte nämlich noch einen Vorzug. In der Spielzeugpackung befand sich zusätzlich zur Person ein Lagerfeuer aus Kunststoff. Dieses Lagerfeuer wurde mit einem kleinen Birnchen betrieben. Es „brannte“ also! Super. Sogar die benötigte Batterie war dabei. Wenn das nichts war!
Ich kreuzte Klekih-petra im Katalog doppelt an und umrundete ihn zusätzlich mit einem dicken Kreis. Den musste ich haben!
Ich übergab meiner Mutter den Katalog, die dessen Bedeutung kannte und die Sache auch ernst nahm. Ich wusste mittlerweile, dass es das Christkind und den Nikolaus nicht gab. Mir war klar, dass für die Geschenke meine Eltern verantwortlich waren, also sagte ich meiner Mutter klar und deutlich, dass ich diese Figur besitzen müsste. Ich durfte nun ziemlich sicher sein, dass dieses Geschenk Weihnachten unter dem Christbaum liegen würde.

Tja – und plötzlich war Heiligabend da. Es war wie immer. Meine Eltern lebten mit den Eltern und Schwestern meiner Mutter in einem Haus. Eine der Schwestern war ebenfalls verheiratet. Mit mir und meinem gleichaltrigen Cousin bestand die Großfamilie aus zehn Personen. Heute denke ich, dass es mit Sicherheit Spannungen in dieser Situation gab, doch habe ich als Kind nichts davon mitbekommen. Ich habe mich in der Großfamilie immer wohlgefühlt.
Jedenfalls kamen wir alle in der Küche meiner Großmutter zum Abendessen zusammen. An Heiligabend gab es Kartoffelsalat und Fleischwurst. Mein Leibgericht. Aus dieser Sicht war der Abend schon gerettet.
Nach dem Essen ging es dann zur Bescherung. Meine Oma verschwand im Wohnzimmer, kurze Zeit darauf hörte man den Ton eines Glöckchens und nun durften wir Anderen das Wohnzimmer betreten. Der Weihnachtsbaum stand immer in der gleichen Ecke und daneben der gefüllte obligatorische Wassereimer. Da meine Großeltern Wachskerzen benutzten, bestand Brandgefahr.
Nach dem Absingen von „Stille Nacht, Heilige Nacht“ verteilte meine Großmutter die Geschenke und diese wurden mit den entsprechenden „Ahs“ und „Ohs“ ausgepackt.

Mein Wildwest-Fort war da, auch Indianer und Cowboys waren vertreten. Doch widmete ich mich ihnen nicht lange, gab es doch noch das kleinere Geschenkpäckchen, das ich mit zitternden Händen öffnete. Tatsächlich … Klekih-petra mit den grauen langen Haaren, wie ich ihn aus den Heftchen kannte. Und da das Lagerfeuer mit den weißen, gelben und roten Plastikflammen. Von dem Birnchen des Feuers gingen zwei dünne grüne Kabel ab. Ich schloss gleich die dazugehörige Batterie mit den zwei Klemmen der Kabel an und siehe: das Feuer „brannte“.
Ich war begeistert!
Mit Spielen war jetzt aber erst mal nichts. Es mussten noch einige Weihnachtslieder gesungen werden und mein Großvater las die Weihnachtsgeschichte vor. Immerhin konnte während dieser Prozedur das Lagerfeuer brennen.
Nach dem Verlesen der Geschichte verabschiedete ich mich in den Wohnraum, den meine Eltern bewohnten, baute dort das Fort auf und spielte mit den Figuren. Natürlich löschte ich auch die Deckenbeleuchtung, um das Lagerfeuer im Dunkeln in Aktion zu sehen. Das machte es aber leider nicht mehr lange. Es begann zu flackern, um dann zu erlöschen. Tja, das war‘s. Die Batterie war leer.
Da saß ich nun. Die ganze Freude über die Geschenke und Weihnachten war weg. Was nun? Da hatte ich, wie ich meinte, eine gute Idee. Dass aus den Steckdosen in der Wand der Strom für Bügeleisen, Radio und auch für die Stehlampe kam, wusste ich. Wenn diese Riesenlampe also brannte, dann doch sicher auch mein Lagerfeuer? Man hatte mich vor den Steckdosen schon gewarnt. Ich solle die Finger davon lassen, es sei zu gefährlich. Mein Wunsch das Feuer brennen zu sehen, war größer. Ich löste die beiden Klemmen von der Batterie, zog den Stecker der Stehlampe aus der Steckdose und steckte beide Klemmen des Lagerfeuerkabels in die Löcher der Steckdose. Es machte „Pfffitt“, ein großer Funken stob vor mir hoch … und alles war dunkel.
Von nebenan hörte ich verschiedene Stimmen und dann Schritte, die in den Hausflur marschierten. Danach wieder Stille.
Plötzlich ging das Licht an. Mein Patenonkel, der zur Tür hereinkam, stürzte auf mich zu und mit den Worten „Bist du denn verrückt geworden“, schlug er mir so kräftig auf die Wange, dass es laut klatschte.
Mir meiner Schuld bewusst weinte ich nicht und sagte keinen Ton. Ich blieb im Wohnraum meiner Eltern. Als sie später kamen und mich ins Bett schickten, sagten sie nichts zu dem Ereignis.

Wie sich am nächsten Tag zeigte, hatte mein Onkel von der Ohrfeige den Anderen nichts erzählt. Was er über die Ursache des Kurzschlusses gesagt hatte, weiß ich nicht. Lange Zeit später erst hat mein Patenonkel über dieses Ereignis an Weihnachten berichtet.
Ich habe nie mehr was dazu gesagt.
Ich habe aber seit dieser Geschichte gebührlichen Respekt vor elektrischem Strom.
Als ich später verheiratet war durfte meine Frau im Haus alle elektrischen Installationen erledigen! Sie war von Beruf Elektrofachverkäuferin.

Elastolin-Figur: Klekih-petra
Bürgerreporter:in:

Rainer Güllich aus Marburg

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