Bauer sucht Frau

Ah, hier ist es also!, mindestens drei Schweißperlen drohen von meiner Stirn aus das Make-Up zu zerstören, für das ich heute fast 20 Minuten länger als sonst gebraucht habe. Aus dem Seitenfenster meines Autos sehe ich nach gefühlten zwei Stunden verzweifelter Suche endlich ein handgemaltes Straßenschild mit der richtigen Beschriftung und kurze Zeit später auch ein Fachwerkgebäude mit der passenden Hausnummer.

Nach Parkplätzen muss man hier jedenfalls nicht lange suchen; der mit Kopfstein gepflasterte Hof ist riesig und auch auf den Feldwegen ringsum ist jede Menge Platz für ein Auto. Ich stelle den Motor ab, tupfe die drei Schweißperlen vorsichtig mit dem Taschentuch weg, atme noch mal tief durch und steige aus. Im Haus brennt kein Licht, aber auf dem Weg zur Haustür sehe ich, wie eine ältere Frau schnell ihren Kopf hinter einer Fensterscheibe zurück zieht. "Na, zum Glück hat er eine Putzfrau!", denke ich und schreite forsch die Treppe hinauf.

Kaum habe ich geklingelt, steht auch schon die Putzfrau vor mir und mustert mich neugierig von Kopf bis Fuß: "Guten Abend, junge Frau. Sie wollen bestimmt zu meinem Sohn!" Während mir die Kinnlade runterklappt, lässt sie munter ihr Stimmchen erschallen: "Hans-Wähäääääääääärner!!!!!!!!!!! Da is eine FRAU für dich an der Haustür!!"

Ich überlege kurz, ob ich ihr nicht rasch erzähle, dass ich nur im Dienst der Zeugen Jehovas unterwegs bin oder einfach ganz schnell davon renne. Aber da steht auch schon Hans-Wähärner vor mir etwas außer Puste zwar, aber durchaus so, wie ich ihn mir bisher vorgestellt hatte: groß, dunkelhaarig, ein wenig schüchtern nach außen, aber mit wachem Blick und einem umwerfenden Lächeln. "Ah, hallo, Simone, wie schön, Dich endlich leibhaftig zu sehen! Eigentlich wollte ich Dir ja selbst die Tür öffnen, aber meine Mutter war mal wieder schneller!", die letzten Wörter des Satzes betont er deutlich schärfer und blickt dabei vorwurfsvoll neben sich. Aber seine Mutter ist längst schon wieder dazu übergegangen, mich weiter zu mustern. "Sagen Sie mal, Frolleinchen, is das nicht bisschen kalt mit sooooooooooo einem kurzen Rock abends im Herbst??" Augenblicklich wandert auch Hans-Werners Blick zwei Etagen tiefer und so sieht zum Glück sieht keiner, wie mir die Schamesröte ins Gesicht steigt. "Ach, eigentlich dachte ich ja nicht, dass ich den Abend vor einer Haustür verbringen würde", antworte ich betont lässig, ziehe den Rocksaum ein Stückchen nach unten und versuche mich wenig erfolgreich an einem Lächeln. Aber immerhin darf ich jetzt eintreten.

Im Hausflur riecht es lecker nach gebratenem Fleisch und ich beschließe, nicht mit leerem Magen nach Hause zu fahren komme was da wolle (immerhin hab ich seit dem Frühstück gehungert, um auch beim Autofahren prima in den Rock zu passen zumindest bei der Hinfahrt). "Hach, Simone, wie schön, dass wir uns endlich kennen lernen!" Hans-Werner ergreift nun wo seine Mutter schon einmal vorgegangen ist - doch meine Hand und tätschelt sie ein wenig. "Sag mal, Hans Werner...", beginne ich vorsichtig, aber Hans-Werner zieht mich hinter sich her: "Ich hab dir doch ein Super-Essen versprochen, Simone, wenn Du mich endlich mal besuchst. Und das sollst Du jetzt auch haben!" Der Essensduft wird immer stärker und benebelt meine Sinne, als ich Hans-Werner hinterher torkle.

Der Tisch im Wohnzimmer, das nicht so aussieht, als hätte es ein Mittvierziger eingerichtet, ist festlich gedeckt - für drei Personen. Hans-Werner zieht einen Stuhl vor und bedeutet mir, mich zu setzen. Seine Mutter ist im Nebenraum verschwunden und kommt kurze Zeit später mit zwei dampfenden Schüsseln zurück. Hans-Werner springt auf, nimmt ihr die Schüsseln ab und sie verschwindet ein zweites Mal. Hans-Werner platziert die Schüsseln gekonnt auf dem Tisch, fast direkt vor meiner Nase; ich erkenne Salzkartoffeln und Leipziger Allerlei.

Mein Magen knurrt unüberhörbar. Ich werde schon wieder rot. Hans-Werners Mutter trägt eine Sauciere und eine Platte mit Bratenstücken herein, stellt beides auf die noch freien Plätze in der Mitte des Tisches und setzt sich. "Guten Appetit!", wünscht sie. "Ich darf doch?", fragt Hans-Werner, ergreift aber ohne eine Antwort abzuwarten meinen Teller und befüllt ihn mit den duftenden Leckereien. Ja, er darf. Ich kann es kaum abwarten, den ersten Bissen in den Mund zu nehmen.

"Als ich so alt war wie sie, junge Frau, da war ich aber noch gertenschlank!", höre ich seine Mutter sagen, als ich die Gabel zum Mund führe und muss sie ein bisschen fester halten, damit sie mir nicht runterfällt. "Mutter, Simone ist doch ganz dünn!", entrüstet sich Hans-Werner, aber sie mustert meine Taille, als hätte sie dort gerade autoreifengroße Rettungsringe entdeckt.

Mir ist in diesem Moment fast alles egal; ich will nur endlich etwas essen. Ich kaue schweigend weiter und sie beginnt einen Monolog, den viele Minuten lang niemand unterbricht. Ich erfahre, dass schon etliche Frauen hier zum Essen zu Gast waren, die alle nicht die richtige waren für ihren Hans-Werner. Zu alt, zu dick, zu hässlich, faul oder unfreundlich, einige hatten sogar Kinder und die meisten wollten sich bestimmt nur ins gemachte Nest setzen.

Ich erkenne Hans-Werner, auf den ich wenige Wochen zuvor erst durch eine Kontaktanzeige in einer Zeitung aufmerksam geworden bin und der in seinen Briefen immer so klug, witzig und schlagfertig geklungen hat, nicht wieder. Sie erzählt von Hans-Werners geschiedener Ehefrau, die wohl vor vielen Jahren den Hof fluchtartig verlassen hat und lässt kein gutes Haar an ihr.

Je satter ich werde, umso mehr beneide ich diesen entflohenen Sträfling in der Ferne. Plötzlich aber stockt der Redeschwall der alten Frau, sie keucht ein bisschen, gibt gurgelnde Geräusche von sich und ihr Gesicht verfärbt sich dunkelrot. Sie versucht zu husten, was ihr aber nicht gelingt. Ich erkenne sofort, dass sie sich verschluckt haben muss wahrscheinlich an einem Stück des äußerst leckeren Schweinebratens, das sie nicht richtig durchkauen konnte, weil sie dann zu einer zu langen Redepause gezwungen gewesen wäre.

Zum Glück weiß ich, was in einem solchen Fall zu tun ist und mein kräftiger Schlag auf ihren Rücken, der von ganzem Herzen kommt, führt sehr rasch dazu, dass sie das verschluckte Fleischstück ausspuckt und endlich kräftig loshustet. Zwischen zwei Hustern presst sie ein gekeuchtes "Au, mein Rücken, aua!" hervor.

Mein Handy klingelt. Noch nie war ich so froh, diese Stimme am anderen Ende der Leitung, die meiner besten Freundin Heike gehört, zu vernehmen. Es muss also schon 22 Uhr sein. "Ja, ich bin in einer guten Viertelstunde da!", sage ich, stecke das Handy wieder in die Handtasche und erkläre Hans-Werner mit einem bedauernden Blick, dass ich leider zu einem Notfall in die Klinik gerufen worden bin und augenblicklich gehen muss, da ich Bereitschaftsdienst habe. "Ach, das ist aber schade!", sagt er, während er seiner Mutter vorsichtig den Rücken massiert. "Wie gut, dass Du hier warst und meiner Mutter sofort helfen konntest!" "Na, das ist ja schließlich mein Beruf!", erwidere ich, reiche seiner immer noch hustenden Mutter die Hand zum Abschied und folge Hans-Werner zur Garderobe.

Während er mir in den Mantel hilft, drückt er noch mehrmals sein tiefstes Bedauern darüber aus, dass ich schon gehen muss. "Ja, wie schade!", sage ich, wickle meinen Seidenschal um den Hals und eile zur Haustür. Ich reiche ihm die Hand: "Vielen Dank für das superleckere Essen!" "Ich werde es meiner Mutter ausrichten, Simone". "Auf Wiedersehen, Hans-Werner."

Ich bin schon halb die Treppe hinunter, als mir noch hinterher schallt: "Ja, und das machen wir noch Mal, aber dann, wenn Du keinen Bereitschaftsdienst hast! Ich rufe dich morgen an!" Ich drehe mich nicht um, nicke nur kurz mit dem Kopf und springe in mein Auto. Ich erwäge kurz, zuhause gleich das Kabel meines Telefons durchzuschneiden oder mir heute noch eine Geheimnummer geben zu lassen. Aber dann beschließe ich, Hans-Werner am nächsten Tag nur zu sagen, dass seine Mutter und ich einfach nicht zusammen passen.

Bürgerreporter:in:

Carmen Rieb aus Pohlheim

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