Neue grüne Bürgerlichkeit?

Foto: Hanser Verlag

Autor Andreas Möller über die Sehnsüchte der Deutschen und die Natur als Ersatzreligion

djv Berlin - Von der Romantik über die Atomkraft-Gegner bis zu den Bionade-Jüngern von heute: Andreas Möller ergründet in seinem Buch „Das grüne Gewissen“ die Hintergründe der neuen „grünen Bürgerlichkeit“. So fragt er sich, warum ein Spartenmagazin wie „Landlust“ gerade jetzt eine Millionenauflage erreicht – und stößt auf der Suche nach einer Antwort auf die Sehnsucht der Deutschen nach ursprünglicher Natur.

Doch wie grün ist das Gewissen der Deutschen tatsächlich? Für die Antwort betrachtet Möller Kunst, Literatur und Wissenschaft beginnend vom 18. Jahrhundert bis zur gegenwärtigen Bio-Generation. Anhand von Beispielen belegt er die traditionelle Naturverehrung der Deutschen: Gemälde wie „Das Schweigen des Waldes“ (1885) von Arnold Boecklin, Gedichte wie Bertold Brechts „Über das Frühjahr“ (1928) oder Lieder wie „Mein Freund, der Baum“ (1968) von Alexandra. Harte Fakten zitiert er in Form von wissenschaftlichen Texten oder Zeitungsbeiträgen wie etwa von ZEIT-Journalist Henning Sußebach, Ökologe Josef H. Reichholf oder dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Immer auf der Suche nach dem „Grün“ in der bunten Alltagswelt, entdeckt Möller: Es grünt schon lange in deutschen Landen. Er verknüpft dies mit persönlichen Reisen, etwa zum stillgelegten Kernkraftwerk in Rheinsberg oder zu Bauer Götz im ländlichen Ehingen, der auf das Label „Bio“ gern verzichtet. Hinter den grünen Ansichten der neuen Bürgerlichkeit findet der Autor und Politikberater damals wie heute den Wunsch nach Entschleunigung und Sicherheit. Ihm ist damit ein tiefer Blick in die deutsche Seele gelungen.

Wie grün sind die Deutschen?
Der DJV im Interview mit dem Autor und Politikberater, Andreas Möller, zu seinem neuen Buch „Das grüne Gewissen“


DJV: „Neue grüne Bürgerlichkeit“: Wer oder was hat Sie zu dem Begriff inspiriert?

Andreas Möller: Meine Beobachtung ist, dass sich die Koordinaten unseres Naturbildes verschoben haben. Während Umweltaktivisten in den ausgehenden 1970er und 1980er Jahren noch bewusst neben der bürgerlichen Gesellschaft standen, ist es heute umgekehrt: Das grüne Denken ist tief in den bürgerlichen Schichten verwurzelt, zeigt sich im Gewand einer „Landlust“ und exklusiven Bio-Kultur. Wahrscheinlich sprachen die Menschen über Joghurt bis zum Klimawandel noch nie so viel von Natur und Nachhaltigkeit wie heute. Zugleich waren sie noch nie so weit von der Natur in all ihren Facetten entfernt.
Es lohnt sich, hinter all die gängigen Begriffe zu schauen: Entschleunigung, regionales Essen, handgemachte Produkte, Wachstumsverzicht usw. Es wäre kurzsichtig, hier keinen Zusammenhang zur Beschleunigung des Lebens, zur Finanzkrise und anderen Entwicklungen zu sehen, die uns Unbehagen bereiten. Mit Natur hat all das freilich nichts zu tun.

Tiere essen und für den Naturschutz sein – ist das für die Deutschen ein Widerspruch?

Darin besteht kein Widerspruch, weil es ja vor allem um die Art der Tierhaltung geht und um eine gewisse Form von Achtung vor der Kreatur, wie sie auch die Jagd kennt. Und die kann sehr wohl im Einklang mit dem Tierschutz stehen. Ich würde da also keine falschen Fronten aufmachen. Veganer etwa blenden komplett aus, dass ein intensiver Ackerbau auch die Existenz von Lebewesen – Insekten oder Wiesenbrüter – gefährdet. Wir sollten also weiter schauen, anstatt radikale Ausstiegspfade zu predigen. Nur wer sich aktiv mit Flora und Fauna auseinandersetzt, kann die Natur positiv mitgestalten.

Warum beschäftigen Sie sich gerade jetzt mit der Sehnsucht der Deutschen nach Natur und Ländlichkeit?

Das Thema Natur ist in Deutschland immer ein besonderes gewesen – weil auch das Thema Technik immer ein besonderes war. Etwas jedoch ist sehr aktuell: Es gibt heute eine weit verbreitete Sehnsucht nach Kontrollgewinn und der Ausmerzung aller technischen Gefahren. Das Publikum der großen Biomärkte treibt vielleicht auch ein wenig die Sorge um die Natur – vor allem aber ist es der Anspruch, die eigene Familie möglichst hochwertig zu versorgen und etwas für das eigene Gewissen zu tun.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Baden-Württemberg spiegeln das wider: Die Grünen eilen von Erfolg zu Erfolg, was ein weiterer Anlass für das Buch war. Dabei setzen sie inmitten der europäischen Wirtschaftskrise und Rekordarbeitslosigkeit der Jugendlichen in Europa auf harmonische Bilder der Natur, auf Schlagworte wie „Verzicht“ und „Wachstumskritik“. Mit der Welt der konventionellen Land- und Forstwirte, die die Natur seit jeher mit der wirtschaftlichen Brille betrachten, haben sie wenig zu tun.

Was macht das grüne Lebensgefühl zur Ersatzreligion der Deutschen?

Mein Buch fragt nach Gründen dafür, warum dieses Lebensgefühl – das es in bestimmten Bevölkerungsgruppen in den USA oder in anderen europäischen Ländern auch gibt – gerade in Deutschland so erfolgreich ist. Warum hier etwas fast technisch-organisatorisch anmutend „durchgesetzt“ werden kann, was andernorts nur eine Facette unter vielen der Gesellschaft ist? Und es geht der Frage nach, warum die Natur in Zeiten der Globalisierung wieder eine emotionale Funktion einnimmt.

Zur Ersatzreligion wird die Natur dann, wenn wir Maß und Ziel aus den Augen verlieren. Wir erleben das im Alltag: Natur ist immer auch ein Instrument, mit dem andere zur Ordnung gerufen werden.

Wofür steht die Natur bei den Deutschen?

Kaum ein anderes Thema weckt so tiefe Gefühle und das seit der Romantik. Wenn Sie etwa an den „Deutschen Wald“ denken: „Der Franzose flieht in den Salon oder zettelt eine Revolution an“, brachte es ein Buch der 1990er Jahre auf den Punkt, „der Deutsche geht ins Grüne“. Der Schriftsteller Elias Canetti schrieb: „Der Engländer sah sich gern auf dem Meer; der Deutsche sah sich gern im Wald“.

Die Deutschen nehmen das Thema also traditionell sehr ernst, was viele Umweltschutzmaßnahmen erst möglich gemacht hat. Sie sind aber Kinder der Bedingungen, die sie vorfinden, wenn sie etwa an die stark parzellierte Landwirtschaft im Süden und die großen ostelbischen Gebiete im Nordosten denken. Nicht anders als in der Technik sind die Deutschen dabei Gestalter der Landschaften gewesen und eben nicht nur Anhänger einer möglichst unveränderten, „ursprünglichen“ Natur, wie es Verfechter des heutigen grünen Lebensgefühls betonen.

Welche Rolle spielt der Wald?

Der Wald ist immer schon ein wichtiges Thema gewesen. „Alles Deutsche wächst aus dem Wald“, formulierte der Schriftsteller Otto Brües im Geiste seiner Zeit. Von den Göttern der Germanen bis zur Magie der Wälder in den Märchen der Gebrüder Grimm war der Wald immer ein Thema. „Mein Freund, der Baum, ist tot“, sang Alexandra im Jahr 1968 am Startpunkt der bundesrepublikanischen Umweltbewegung. Dabei ging es um eine tiefe, fast freundschaftliche Verbindung.

Deutschland ist bis heute eines der waldreichsten Länder in Europa. Knapp ein Drittel seiner Fläche ist mit Wald bedeckt, wobei mehr als die Hälfte des Waldes in Deutschland in privater oder kommunaler Hand ist. Großbesitzer sind der Fürst zu Fürstenberg in Donaueschingen, der Herzog von Bayern, die Familie von Thurn und Taxis. Ansonsten sind die privaten Waldbesitzungen auf viele Einzelbesitzer aufgeteilt. Auch die Kirchen spielen eine unverändert große Rolle. Der Wald ist Bestandteil der Lebenswelt vieler Deutscher – ganz ähnlich übrigens wie in Skandinavien oder Kanada.

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Huber aus Langenfeld

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