Hirsch, Haselmaus und Co. wieder sicher unterwegs

Foto: djv

Holsteiner Lebensraumkorridore: Experten präsentieren erste Erfolge für Biologische Vielfalt

Negernbötel djv - Bundesweit einzigartig und erfolgreich ist das Projekt „Holsteiner Lebensraumkorridore“ im Umfeld der Grünbrücke Kiebitzholm über die A 21 bei Negernbötel, Kreis Segeberg. Jäger, Förster, Straßenbauer, Naturschutzstiftung, Wildpark und weitere Partner aus der Region haben gemeinsam mit Wissenschaftlern und mittels Förderung durch den Bund daran gearbeitet, durch die A 21 zerschnittene Lebensräume wieder miteinander zu vernetzen.

Nach knapp drei Jahren Praxisphase und intensiver Begleitforschung sind die Projektpartner vom eingeschlagenen Weg überzeugt: Selbst wenig mobile, seltene Arten wie Kreuzkröte, Warzenbeißer usw. haben sich inzwischen wieder bis zur Grünbrücke ausgebreitet. Sie profitieren genauso wie Wildschwein, Damhirsch oder Hase von einem umfangreichen Maßnahmenbündel, das die zahlreichen Projektpartner gemeinsam angepackt haben.

Diese Ergebnisse haben die Projektpartner zusammen mit ihren „Forscherkollegen vor Ort“ vom Waldkindergarten Hambötler Waldmäuse im Rahmen der eintägigen Fachveranstaltung „Leute. Landschaft. Lebensräume – Wiedervernetzung und Kompensation gemeinsam gestalten.“ in Negernbötel vorgestellt. Etwa 60 Wiedervernetzungsexperten waren vor Ort.

Grund für die zunehmende Zerschneidung von Lebensräumen ist das wachsende Verkehrsaufkommen. Die Folge: Wertvolle Naturschutzflächen verinseln und die Gefahr wächst, dass Tiere und Pflanzenarten in Deutschland lokal aussterben. In dem Leuchtturmprojekt der Nationalen Biodiversitätsstrategie rund um die Grünbrücke Kiebitzholm konnten die Projektpartner mit ihren unterschiedlichen Maßnahmen erfolgreich gegensteuern. Ob die Anfangserfolge dauerhaft Bestand haben, sollen weitere Untersuchungen zeigen.

Dank der Naturschutzmaßnahmen haben nun durch die A 21 bislang getrennt lebende Tiere und Pflanzen das direkte Umfeld der Grünbrücke erreicht und sich die Lebensräume jenseits der Barriere erschlossen. Auf die Ansprüche unterschiedlicher Arten abgestimmte Wanderwege sowie kleine und große Trittsteine gehören zum Erfolgsrezept: Dazu zählen das 17 Hektar große Naturwaldband für anspruchsvolle Waldpflanzen und -käfer, zahllose offene Bodenstellen für Eidechsen und Heuschrecken, viele neu angelegte Kleingewässer für Amphibien und Libellen sowie mehrere „Wilde Weiden“ mit Rindern als vierbeinige Landschaftspfleger. Alle Arten, von der nur wenig mobilen, possierlichen Haselmaus bis hin zu weit wandernden großen Tieren wie dem Rothirsch, finden jetzt ihren sicheren Weg zur Grünbrücke. Sogar bedrohte Pflanzen, wie die Heidenelke „nutzen“ die Korridore zur Grünbrücke. Einige Pflanzenarten sind dabei auf die Hilfe von Tieren angewiesen, die ihre Samen beispielsweise im Fell transportieren.

„Vernetzen tut gut! Wir als Stiftung Naturschutz Schleswig-Holstein haben das Glück, aber auch die Verantwortung, das Vernetzungsprojekt ‚Holsteiner Lebensraumkorridore‘ fachlich und finanziell zu koordinieren“, sagt Herlich Marie Todsen-Reese, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Naturschutz. „Uns ist bei der Projektumsetzung deutlich geworden, dass Vernetzungsmaßnahmen für die Biologische Vielfalt nur dann zu realisieren sind, wenn man auch innerhalb der Gesellschaft gut vernetzt ist. Daher bedanke ich mich für die gute Zusammenarbeit bei unseren Partnern – von den Wissenschaftlern in Kiel bis hin zum Waldkindergarten vor Ort. Wir würden uns freuen, wenn das, was wir bis heute gemeinsam erreicht haben, insbesondere für die ökologische Aufwertung des Hinterlandes mit der Erhöhung der Funktionalität der Flächen, auch bundesweit Schule macht. Auf unsere Partner und uns warten nun weitere Aufgaben, denn auch die neue A 20 und die ausgebaute A 7 sollen in Zukunft genauso von den gefährdeten Arten überwunden werden können, wie jetzt die A 21 bei Kiebitzholm.“

Marita Böttcher, Bundesamt für Naturschutz:
Mit dem Projekt kann der Bund zeigen, dass bei sorgfältiger Planung und Gestaltung sowie der Akzeptanz vor Ort der hohe Einsatz von finanziellen Mitteln für Querungsbauwerke eine sinnvolle, fachlich gerechtfertigte und tragfähige Investition für die Biologische Vielfalt und zur Vermeidung von Verkehrsunfällen ist. Das Projekt zeigt gleichzeitig auch, dass Naturschutz außerhalb von Schutzgebieten gelingen kann und für die Menschen wieder erlebbar wird und sogar das vorhandene Schutzgebietsnetz langfristig qualitativ aufwertet. Dafür ist, wie im Projekt gezeigt, die Zusammenarbeit zwischen Straßenbau, Jägerschaft, dem Forst, der Landwirtschaft, den Kommunen, der Öffentlichkeit und dem Naturschutz erforderlich, denn nur wenn Interesse, Handlungs- und Gesprächsbereitschaft bei allen Beteiligten vorhanden sind, kann Naturschutz als Gesamtaufgabe gelingen.

Dr. Klaus Hinnerk-Baasch, Präsident des Landesjagdverbandes Schleswig-Holstein und im Präsidium des Deutschen Jagdverbandes zuständig für Naturschutz:
„Die Grünbrücke bei Kiebitzholm ist auf Betreiben der Jäger entstanden. Denn nur die Vernetzung von Lebensräumen ermöglicht Tieren und Pflanzen langfristig das Überleben. Wir bringen unser Wissen und unsere Erfahrung in das Projekt ein, mit aktiver Naturschutzarbeit setzen wir unseren Hegeauftrag vor Ort um. Uralte Wanderrouten von Tieren wie dem Rothirsch müssen auch über Straßen hinweg erhalten bleiben, um genetische Verarmung zu verhindern. Wir fordern daher auch die zügige Umsetzung des Bundesprogramms Wiedervernetzung durch die Länder, um dem vor mehr als einem Jahr beschlossenen Programm Inhalt zu verleihen und wirklich eine Verbesserung vor Ort zu erreichen.“

Bernd Friedrichsdorf, Schleswig-Holsteinische Landesforsten:
„Das Besondere am Projekt ‚Holsteiner Lebensraumkorridore‘ liegt in der interdisziplinären Zusammenarbeit sehr unterschiedlicher Fachleute. Ziel war es dabei, bestmögliche Wege zwischen Theorie und praktischer Umsetzbarkeit bei der ökologischen Vernetzung von Landschaftsräumen zu finden. Mit Spannung warten wir jetzt auf die Ergebnisse der Universität Kiel, um Möglichkeiten einer Übertragung der effektivsten Vorgehensweisen auf andere Regionen zu prüfen.“

Torsten Conradt, Direktor des Landesbetriebs Straßen und Verkehr Schleswig-Holstein:
„Die Grünbrücke über die A 21 bei Kiebitzholm bildet den zentralen Bestandteil des Wiedervernetzungsprojektes. Die Erkenntnisse, die ihrer Planung zu Grunde lagen, wurden durch das Projekt im Wesentlichen bestätigt, aber auch erweitert. Zusammen mit vielen Partnern vor Ort konnten die Projektpartner der ‚Holsteiner Lebensraumkorridore‘ die Funktionsfähigkeit der Grünbrücke durch eine verbesserte Vernetzung mit ihrem Hinterland erheblich steigern. Die gewonnenen Erkenntnisse werden auch dazu beitragen, bei künftigen Straßenbauvorhaben die Zerschneidungs- und Barrierewirkung von Straßen zu minimieren und die Vernetzungsfunktion von Grünbrücken zu maximieren.“

Ute Kröger, Wildpark Eekholt:
„‘Und nicht nur der Hirsch will zu seiner Frau, der Warzenbeißer will ja auch mal woanders hin, ohne platt gefahren zu werden‘, sagte Finn, sechs Jahre alt. – Für den Wildpark Eekholt war die Darstellung und aktive Vermittlung des Projektes ‚Holsteiner Lebensraumkorridore‘ bis auf die Ebene von Kindergartenkindern eine spannende Herausforderung. Um den Menschen das Projekt und die Bedeutung der Biologischen Vielfalt zu verdeutlichen, haben wir zahlreiche Ansätze entwickelt: vom Malwettbewerb für Groß und Klein über die tragbare Grünbrücke für den Einsatz im Klassenzimmer bis hin zur Zusammenarbeit mit den Jungforschern vom Waldkindergarten vor Ort. Unsere ‚pädagogische Grünbrücke‘ führte dabei mit Hilfe von emotionalen, positiven Erlebnissen, kombiniert mit einer altersgerechten Wissensvermittlung, hin zu einer Förderung der Entwicklung von Bewertungs- und Gestaltungskompetenz.“

PD Dr. Heinrich Reck, Abteilung Landschaftsökologie des Instituts für Natur- und Ressourcenschutz der Universität Kiel, Wissenschaftliche Leitung „Holsteiner Lebensraumkorridore“:
„Die noch vorhandene, selten gewordene Pflanzen- und Tierartenvielfalt bei Negernbötel begeistert uns – das sind sowohl erfahrene Ökologen als auch Studierende – immer wieder aufs Neue. Inzwischen zeigt sich für viele der gefährdeten Arten, dass sie durch die erfolgreiche Förderung von Querungshilfen und Trittsteinbiotopen wieder eine Zukunft haben. Die Holsteiner Lebensraumkorridore sind deshalb Vorbild für Wiedervernetzungsplanungen in Europa, den USA und auch in Japan geworden. Möglich ist das, weil die gesamte Biologische Vielfalt beachtet wird und weil das Stiftungsprojekt von den Bürgern vor Ort gut akzeptiert wird.“

Jutta Hartwieg, Landrätin des Kreises Segeberg:
„Das Thema Vernetzung ist in aller Munde. Die heutige Veranstaltung thematisiert jedoch nicht den Ausbau des Internets, sondern die Wiedervernetzung von vorhandenen, aber auch von neu gestalteten Lebensräumen, um bedrohten Tier­ und Pflanzenarten einen genetischen Austausch und das Überleben zu sichern. Grünbrücken – im Kreis Segeberg sind bereits zwei fertiggestellt, weitere sind in Planung – stellen für viele Tierarten, von Großsäugern bis hin zu KleinIebewesen, häufig die einzige sichere Querungsmöglichkeit von Autobahnen dar. Wegen der hohen ökologischen, aber auch der hohen finanziellen Werte solcher Bauwerke ist eine optimale Ausgestaltung entsprechend den unterschiedlichen Ansprüchen der Tierarten an ihre Wanderwege unbedingt geboten. Durch umfangreiche Aufwertungsmaßnahmen an der Kiebitzholmer Grünbrücke wurde dies kürzlich in enger Abstimmung zwischen der Naturschutzbehörde und der Stiftung Naturschutz beispielhaft umgesetzt. In Kombination mit der Anbindung und Aufwertung der im weiteren Umfeld liegenden Biotope im Rahmen des Projektes ‚Holsteiner Lebensraumkorridore‘ ist hier auf eindrucksvolle Weise Artenschutz betrieben worden.

Dieter Beuck, Bürgermeister der Gemeinde Negernbötel:
„Flora und Fauna müssen erhalten und Menschenleben geschützt werden. Wie das funktionieren kann, zeigt das Beispiel der Grünbrücke Kiebitzholm im engen Zusammenspiel mit einer guten Vorar-beit, Erfahrung und der Nutzung wissenschaftlicher Kenntnisse. Das Schaffen von Lebensräumen in vor- und nachgelagerten Bereichen der Grünbrücke bietet eine Möglichkeit aus der Isolation: uralte, unvergessene Wildpfade können ungefährdet wieder genutzt werden. Auch die unterschiedliche Bodenbeschaffenheit für die Tier- und Pflanzenwelt ist ein wichtiger Bestandteil einer möglichst vielfältigen Erhaltung und Wiederausbreitung. Als ehrenamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Negernbötel freue ich mich über dieses Pilotprojekt in seiner Gesamtheit und danke allen, die sich dafür ein- und es umgesetzt haben. Eine Win-win-Situation, wie sie besser nicht hätte sein können.“

Das Programm zur Veranstaltung finden Sie hier.

Weitere Informationen, Fotos und Filmsequenzen finden Sie unter www.lebensraumkorridore.de

Bürgerreporter:in:

Karl-Heinz Huber aus Langenfeld

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