Wer will unter die Soldaten

Foto: Zeichnung von Wilhelm Busch, gemeinfrei
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Friedrich Güll dichtete 1846 "Wer will unter die Soldaten ...". Dieses Kinderlied wurde weithin bekannt. Mit ihm sollte dem Nachwuchs frühzeitig das Militär schmackhaft gemacht werden. Aber Kommiss war und ist nicht jedermanns Sache. Problematisch wurde das mit der Einführung der Wehrpflicht.

Wehrgerechtigkeit war schon im 19. Jahrhundert ein Problem.
Im Königreich Hannover konnten nicht alle Wehrpflichtigen eingezogen werden. Deshalb wurde gelost. Der Bauernsohn Carl Pape hatte bei der Losung im Amte Peine im Frühjahr 1866 die Losnummer 68 gezogen und musste in Northeim den Dienst als Infanterist antreten. Er wollte aber kein Soldat bleiben. Gründe sind nicht überliefert. Denkbar sind Unabkömmlichkeit im väterlichen Betrieb, Eingewöhnungs- und Unterordnungsprobleme, mangelnde Eignung, Krankheit, Heimweh, Widerwillen, Angst.

Im Königreich Hannover bestand die Möglichkeit, den Wehrdienst von einem Stellvertreter ausüben zu lassen. Voraussetzung war, dass ein geeigneter Vertreter zur Verfügung stand und ein Stellvertretungs-Contract mit dem Einverständnis der Obrigkeit abgeschlossen wurde. Selbstverständlich war der Contract nicht zum Null-Tarif zu haben. Der Halbspänner Wilhelm Pape hat für seinen wehrpflichtigen Sohn am 26. April 1866 einen solchen Vertrag abgeschlossen. Die Urkunde ist überliefert.
Darin steht sinngemäß, dass der Infanterist Carl Pape für alle Zukunft von jeglichen persönlich auszuübenden militärischen Verpflichtungen freigestellt wird, egal was künftige Rechtsvorschriften bestimmen. Sämtliche gegenwärtigen und künftigen Pflichten gehen auf den Corporal Heinrich Wilhelm August Ranke über.
Der Vertrag ist auch vom Staat buchstabengetreu ohne wenn und aber zu beachten. Einreden und Hintertüren sind ausgeschlossen.

Als Entschädigung erhält der Corporal Ranke einen Betrag von 280 Reichstalern. Sollte dieser ohne eigenes Verschulden über den 15. April 1873 hinaus dienen müssen, dann erhält er für jedes weitere Dienstjahr 60 Reichstaler, wobei jedes angefangene Jahr als volles Jahr abzurechnen ist.

Der Contract wurde vor dem Königlichen Garnison-Gericht in Northeim abgeschlossen und vom dortigen Stabs-Auditeur (Militärjurist) beurkundet.
Zusätzlich wurde der "Militair-Stellvertretungs-Contract" am 11. Mai 1866 vom Königlich Hannoverschen Amt Peine mit Siegel und Unterschrift bestätigt.

Es handelte sich also um ein sehr formelles Verfahren, dass sich finanziell nicht jeder leisten konnte.

Infanterist Pape hatte großes Glück, denn 2 Monate nach Vertragsabschluss fand die Schlacht bei Langensalza statt (27.06.1866) in der er als hannoverscher Soldat gegen die Preußen wahrscheinlich hätte kämpfen müssen.
Der vier Jahre später ausgebrochene Deutsch-Französische Krieg (1870/1871) ging ebenfalls an ihm vorüber. Ohne den Vertrag hätte er infolge der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen  als preußischer Soldat möglicherweise ins Feld ziehen müssen.

Wie es dem Corporal Ranke ergangen ist, verbirgt sich im Dunkel der Geschichte. Wenn ihm das Glück nicht hold war, dann hätte er in diesen Kriegen seine Gesundheit einbüßen oder den Heldentod sterben können.

Nachtrag:
Ranke hatte Glück. Ich habe soeben eine Klageschrift entdeckt. Darin steht, dass er am 3. Juni 1873 aus dem aktiven Wehrdienst entlassen wurde. Er musste (angeblich ohne sein Verschulden) rund 1 1!2 Monate über den im Stellvertretungs-Contract festgelegten 15. April 1873 hinaus dienen und forderte daher für das angefangene Jahr die vereinbarten 60 Taler. Vermutlich war strittig, ob zwischen dem Stellvertreterverhältnis und der verspäteten Entlassung ein Kausalzusammenhang bestand. 
Leider habe ich über den Ausgang des Verfahrens keine unterlagen gefunden. Sicher ist, dass es bei vermeintlich noch so perfekten Verträgen immer noch was zu streiten gibt, und daran hat sich bis heute nichts geändert.

Bürgerreporter:in:

Wilhelm Heise aus Ilsede

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