Siegertexte im Schreibwettbewerb: Bardil (von Timon Renzelmann)

Timon Renzelmann (12) aus Laatzen gewinnt den Schreibwettbewerb des Kunstkreises Laatzen und des Calenberger Autorenkreises in der Kategorie der Klassen 5 bis 8. (Foto: Daniel Junker)
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Beim Schreibwettbewerb des Kunstkreises Laatzen zusammen mit dem Calenberger Autorenkreis hat Timon Renzelmann (11, aus Laatzen) mit diesem Text in der Altersklasse "Klasse 5 bis 8" den ersten Preis gewonnen:

Bardil

Von Timon Renzelmann

Es war etwa Mitte Sommer in der Trockenzeit, als ich, Maximilian, den gepflasterten Feldweg entlang trottete. Die Felder blühten gelb und die Sonne stach mir ins Gesicht. Ich war zehn und ein Junge wie jeder andere auch. Es war Sonntag, mir war langweilig und deshalb erkundete ich die Gegend. Thomas, ein alter Freund aus meiner Klasse, der früher in meiner Straße wohnte, hatte mir gesagt, dass am Ende des Weges eine kleine Höhle sein sollte, in der es kühl war und man angenehmen Schatten hatte. Als ich ungefähr zwanzig Minuten gegangen war, sah ich die Höhle. Sie war groß und aus Stein, ein wahres Wunder der Natur. Der Weg ging nach rechts ab und wenn man zur Höhle wollte, musste man über fünfzehn Meter knochiges Gras gehen. Aber das störte mich überhaupt nicht. In der Höhle war es sehr dunkel und so zückte ich meine Taschenlampe, die ich mitgenommen hatte, und machte sie an.

Als ich die Höhle von innen sah, klappte mir der Kiefer herunter. Die Höhle wurde am Ende immer schmaler und mündete in einen Tunnel. Ich quetschte mich hinein und kroch vorwärts. Stunde um Stunde quälte ich mich, aber der Tunnel wollte nicht enden. Meine Hose hatte schon Löcher, als ich auf einmal ein mattes grünes Licht, welches nicht von meiner Taschenlampe kam, schimmern sah. Ich bezwang die letzten Meter des Tunnels und fand mich in einer riesigen unterirdischen Halle wieder. Die Halle war unbeschreiblich schön, an ihrer Decke hingen überall Kristalle, die grünes Licht ausstrahlten, und am Boden standen Häuser aus Stein. Am Ende der Höhle stand ein riesiger Palast, ebenfalls aus Stein. Neben den Häusern waren steinerne Straßen, auf denen sich kleine Gestalten mit seltsam langen Bärten fortbewegten, einige gingen zu Fuß, andere ritten auf Rindern, was mich verwunderte.

Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, schließlich sind erwachsene Menschen nicht ein Meter fünfzig groß und reiten erst recht nicht auf Rindern. „Aber was, wenn es gar keine Menschen sind?“, dachte ich. Ich wollte herausfinden, wer diese Gestalten waren, also mischte ich mich unter die Menge, was ja wegen meiner Größe ganz gut ging.

Es fiel mir nur ein einziges Fabelwesen ein, welches so aussah. Ich war in einer Höhle voller Zwerge. Leider hatte die Sache mit dem „unter die Menge mischen“ einen Haken. Ich war zwar so groß wie die Zwerge, nur hatte ich keinen Bart. Die ersten Zwerge, die ich zu Gesicht bekam, waren daher drei bärtige Wachen. Eine Wache schrie: „In den Kerker mit dir!“, ein anderer Zwerg hielt mir eine rasiermesserscharfe Doppelaxt vor den Hals und brüllte mir ins Gesicht: „Einen Schritt weiter und ich mache dich einen Kopf kürzer!“ Danach band mir ein dritter Zwerg ein Tuch vor die Augen, damit ich nichts mehr sah. Ich wurde eine ganze Weile durch die Gegend getragen und irgendwann schmissen mich die kleinwüchsigen Wachen auf harten Boden und rissen mir die Binde ab. „Hier kannst du jetzt verrotten, du elender Kobold!“, rief mir eine Wache zu. „Ich bin kein Kobold, ich bin ein Mensch!“, protestierte ich. Ein anderer der drei Zwerge erhob lachend seine Stimme: „Was für ein Ding? Hört nicht auf den Dieb, er versucht uns zu irritieren. Wir hatten Glück, dass dieser Räuber sich keinen Bart angeklebt hat, sonst hätten wir ihn nicht erkannt.“ Ich wollte Widerspruch erheben, aber die Zwerge gingen schon aus meiner Steinzelle und verriegelten die Eisentür von außen. Aus dem Kerker war es unmöglich zu fliehen. Der einzige Ausweg war die verriegelte Tür. Nur ein einziger Kristall versorgte meinen Raum mit mattem grünem Licht. Es war der gleiche Kristall wie die, die ich an der Decke gesehen hatte, als ich noch nicht gefangen war.

Der Raum war leer bis auf ein Bett aus Stein, über das ein paar Pelzdecken gelegt waren. So saß ich nun in einem Zwergenkerker wegen Diebstahls und wurde mit „Kobold“ angeredet. Ich legte mich einige Zeit in mein Bett und dachte über meine Situation nach. Plötzlich ging die Tür mit einem Ruck auf und ein Zwerg kam hereingesprungen. Er sagte nur zwei Sätze, einmal „sei ruhig und folge mir!“ und „ich erkläre es dir später“. Dann klebte er mir mit durchsichtigem Schleim einen kratzigen Bart an. Er ging durch die Tür und ich folgte ihm. Neben der Tür lag eine der Wachen bewusstlos auf dem Boden. Der Zwerg, der mich gerade befreit hatte, hatte ihn wohl niedergeschlagen. Es war ein schmaler Gang, welcher nach der Tür zu einer rund gebauten Steintreppe wurde. Mir kam es so vor, als würden Stunden vergehen, bis die Treppe dann endlich aufhörte. Der Zwerg öffnete noch eine Tür und wir waren wieder in der riesigen Haupthöhle, die in grünliches Licht getunkt war. Ich konnte nicht viel von dem Kerker sehen, nur, dass er ein flacher Quader aus Granit mit Türen seitlich an den Wänden war. Nach ein paar Schritten waren wir auf der Straße. Wir quetschten uns durch die Menge und gingen irgendwo hin. Dank meines Bartes wurde ich nicht bemerkt. Der Zwerg ging voraus und ich folgte ihm. Mich wunderte nur, dass die Zwerge hier nicht auf Rindern ritten.

Wir gingen an vielen Steinhäusern vorbei. Die Häuser waren nur aus Stein, bis auf die Glasfenster und die Steintüren mit Eisenklinken. Der Zwerg, der mich befreit hatte, ging an den Rand der Straße, zückte einen Schlüssel aus Metall und öffnete die Tür eines Hauses und ging hinein. Ich nahm an, dass das Haus ihm gehörte, und folgte ihm. Wir gingen durch einen Flur, in dem eine Steintreppe und eine Granittür waren. Ich folgte ihm durch die Granittür zu einem Tisch, der ebenfalls aus Stein war. Das erste Mal, nachdem er ins Gefängnis gestolpert war, redete er wieder zur mir: „Setz’ dich, ich werde dir eine Menge erklären müssen.“ Ich setzte mich und er begann zu erzählen: „Ich habe dich befreit, weil ich weiß, dass du kein Kobold, sondern ein Mensch bist.“ „Aber wieso kennen die Zwerge außer dir keine Menschen? Und was sind Kobolde?“, fragte ich. Der Bart dämpfte meine Stimme ein wenig, deshalb sprach ich lauter. Der Zwerg entgegnete: „Wir Zwerge kennen euch nicht, weil wir euch nie sehen. Ich bin leider der einzige Zwerg, der Menschen kennt. Ich habe in meinen jungen Jahren mitgeholfen, den Lüftungsschacht zu bauen, durch den du gekommen bist. Man hatte uns streng verboten, dass wir ins Freie gingen und uns umsahen. Denn wir Zwerge sind Höhlengeschöpfe, und das sollte auch so bleiben, dachte unser König. Trotzdem gelang es mir, irgendwann, als ich meine Neugier nicht mehr zügeln konnte, zu fliehen. Ich sah die Menschen und mischte mich unter die Menge und lernte von ihnen, mich bemerkte keiner, weil alle dachten, ich wäre kleinwüchsig. Nach ein paar Jahren ging ich dann wieder zu meinem Volk. Ach ja, ich heiße Bardil und bin sechshundert.

Wir Zwerge können bis zu tausend Jahre alt werden. Als ich die Menschen dann fast vergessen hatte, sah ich, wie du gefangen genommen wurdest und befreite dich, den Rest kennst du schon. Nun zu deiner zweiten Frage. Kobolde sind Geschöpfe, die wie wir Zwerge in Höhlen leben. Sie werden wie wir auch nicht größer als ein Meter fünfzig und haben spitze Ohren. Wir Zwerge hassen sie, weil sie nur einzeln kommen und unsere Leute bestehlen oder im schlimmsten Fall hinterrücks ermorden. Das Problem ist, dass sie ihre restlichen Höhlen, die noch nicht von uns zerstört sind, versteckt halten, damit wir sie nicht finden und ebenfalls zerstören können. Wir nehmen sie gefangen, weil wir darauf hoffen, dass andere Kobolde sie befreien und uns auf die Spur der Höhlen bringen.“ „Wenn die Kobolde spitze Ohren haben, warum haben sie mich dann festgenommen?“, wunderte ich mich. Er beantwortete mir auch diese Frage: „Es ist die schlimmste Strafe eines Zwerges, wenn ihm der Bart abgeschnitten wird. Der Bart ist das Ein und Alles eines Zwerges, selbst Frauen tragen ihn. Wenn einem der Bart abgeschnitten wird, ist er automatisch kein Zwerg mehr, sondern ein Kobold. Bei dir war es dasselbe. Sie haben überhaupt nicht auf die Ohren geachtet. Ich kenne deine letzte Frage auch schon. Die Rinder sind das Reittier der Zwerge. Weil das Höhlengras, mit dem wir es füttern, sehr kostbar ist, haben wir besondere Stellen, an denen es angebaut wird. Mit den Rindern darf man nur auf dem Hauptweg reiten, weil sonst Chaos auf den kleineren Wegen herrschen würde.“ Ich, Maximilian, stellte mich auch vor und Bardil und ich wurden schnell gute Freunde. Er zeigte mir ihre Höhle mit der Fleischerei, der Heilkräuterhütte und sogar die Gefängnisse, welche den Spitznamen „Koboldhäuser“ hatten. Doch irgendwann hatte ich die Nase gestrichen voll von dem ewigen Versteckspiel und schlug meinem inzwischen besten Freund Bardil vor, dass der König endlich mal davon was erfahren sollte, dass es Menschen gibt. Erst hielt er es für eine schlechte Idee und wollte mir davon abraten, aber dann gelang es mir, ihn zu überreden. Also gingen Bardil und ich geradewegs auf den Palast des Königs zu.

Der Palast bestand außen wie alles andere in der Höhle aus Stein, die zwei Türme links und rechts des Palastes hatten eine Kuppel aus Gold und das Tor des Palastes war aus diamantenbesetzem Silber. Vor der Tür standen zwei Wachen mit Äxten. Bardil und ich gingen zu den Wachen. Die eine Wache sprach: „Was wollt ihr hier?“ „Ich möchte zu meinem Bruder!“, antwortete Bardil. Ich war total überrascht, als ich das hörte. Doch die Wache entschuldigte sich und behauptete, ihn nicht sofort erkannt zu haben. Wir durften passieren. Ich war so verwundert, dass ich die vielen Mosaike und Inschriften an den Wänden kaum wahrnahm. Ich und mein Freund gingen den langen Flur entlang, als Bardil mir erklärte: „Ich bin wirklich der Bruder des Königs. Wir sind Zwillinge und Bardor, mein Bruder, kam wenige Minuten vor mir zur Welt und wurde deshalb König. Ich widmete mich des Baues des Luftschachtes und erkundete dann die Oberfläche. Erst dachten alle, ich wäre umgekommen, bis ich dann wiederkam und erzählte, dass ich nur in einer anderen Zwergenhöhle war und mich da umgesehen hätte.“ Dann erreichten wir auch schon die Tür, die zum Thron des Königs führte. Bardil öffnete die Tür und ging voran. Die Inschriften dieser Halle waren noch ausgeprägter und von noch mehr Schönheit. Aber der Thron und der darauf sitzende König übertrafen meine Vorstellungskraft bei weitem. Der Thron war von Wachen umringt, deshalb konnte ich den König, der laut Bardil Bardor hieß, kaum noch erkennen. Als Bardor uns sah, winkte er die Wachen weg und widmete die Aufmerksamkeit uns. „Ich bin nicht gekommen, um dich zu stürzen. Wir haben uns immer gut verstanden, es war eine Seltenheit, dass sich zwei Brüder mit königlichem Blut nicht streiten und das sollte auch so bleiben. Ich bin gekommen, um dir zu erzählen, wo ich all die Jahre wirklich war, als du und das Volk mich vermisst haben“, sprach Bardil, als er sich tief verbeugte. Ich tat es ihm nach und verbeugte mich ebenfalls tief, als Bardil mich vorstellte.

Bardor hörte aufmerksam zu, als mein bester Freund alles von mir und den Menschen erzählte. Er riss mir sogar meinen angeklebten Bart ab und zeigte dem König meine runden Ohren. Bardor glaubte Bardil erst, als er ausführlich erklärt hatte, dass er auch wirklich nicht lüge. Der König kündigte eine große Versammlung an und erklärte dem Volk, dass es Menschen gibt. Es wurden keine Menschen mehr festgenommen, aber bei Kobolden, welche spitze Ohren hatten, wurde keine Gnade gezeigt. Ich kündigte meinen Abschied an und Bardil und sein Bruder zeigten mir den Weg zum Luftschacht. Ich wurde feierlich verabschiedet und Bardil sprach zum Abschied: „Ich werde dich nie vergessen, Maximilian.“ Ich verabschiedete mich ebenfalls voller Trauer und machte mich daran, durch den Tunnel zu klettern. Als das grüne Licht der Kristalle fast verblasst war, wurde es auf einmal schlagartig hell und eine vertraute Stimme rief: „Maxi, es ist Zeit zum Aufstehen – heute ist Montag und du hast Schule.“ Meine Mutter kam in mein Zimmer und zog mir die Decke vom Gesicht.

Ich machte mich fertig und frühstückte. Auf dem Weg zur Schule dachte ich noch einmal an meinen Traum: „Ich werde dich nie vergessen, Maximilian“, waren die letzten Worte Bardils gewesen.

„Ich werde diesen Traum und die Begegnung mit Bardil und den Zwergen auch nie vergessen“, dachte ich.

Bürgerreporter:in:

Robin Jantos aus Hannover-Mitte

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