Ein Weinfest auf dem Lande - Teil 1

Blick in den Retzer Pfarrgarten. Rechts das Gebäude der Handelsakademie. Zeichnung von Maxi Herta Altrogge.
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  • Blick in den Retzer Pfarrgarten. Rechts das Gebäude der Handelsakademie. Zeichnung von Maxi Herta Altrogge.
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Wieder eine meiner Jugenderinnerungen aus den Neunzigern:

Kapitel 38.: Die Festwoche anlässlich des 40. Retzer Weinlesefestes

Mitte September 1994

Kapitel 38. 1.: Am Sonntag vor der Festwoche

Ich war in meinem Zimmer gerade vom Tisch aufgestanden, um ein wenig die Sonntag-Nachmittag-Um-Drei-Stimmung im Hof des Schloßgasthauses zu beobachten. Plötzlich klingelte es an der Haustür. Ich ging hin, um zu öffnen.
Einer der Männer vom ÖKB stand draußen. "Grüß Gott, mia vakafn wieda Eitrittsmoakn fias Weilesefest", teilte er mir mit. "Haum Sie Intresse?"
"Ja, warum nicht?"
"Fia an' Toag oda fia zwoa?"
"Für beide. Und ich nehme gleich zwei."
"Dös wäan zsamm' 100 Schilling."
Kurze Zeit später kam ich mit einem 100-Schilling-Schein wieder und gab ihn dem Mann. Er händigte mir dafür die zwei kleinen, runden Papierplaketten aus, bedankte sich, verabschiedete sich und ging.

Kapitel 38. 2.: Dienstagmittag – Erste Vorbereitungen auf dem Hauptplatz

Kapitel 38. 2. 2.: Bei Direktor Piglmayr im Stadtamt

Die letzten zwei Stunden in der Schule waren überraschend ausgefallen. Eine Konferenz war auf den Mittag vorverlegt worden. Auf dem Heimweg war mir die Idee gekommen, zu Hause gleich Stadtamtsdirektor Piglmayr anzurufen, ob er Zeit hätte für unser regelmäßiges Pressegespräch über aktuelle Entwicklungen in der Gemeindepolitik. Das wäre jetzt bequem machbar, bevor ich dann am Nachmittag ins Telebüro im Althof zu der Besprechung über die weiteren Tourismusstrategien muss, um darüber zu berichten.
Er sagte zu und ich machte mich sofort wieder auf den Weg.

Zehn Minuten später ging ich bereits auf dem Fußweg zwischen Verderberhaus und Abzweigung Burggasse zum Stadtamt hoch. In der ganzen Stadt schien bereits Vorbereitungsstimmung fürs Weinlesefest zu herrschen, wie ich dabei feststellte. Traktoren standen über die gesamte Fläche der oberen Hauptplatzhälfte verteilt. Von ihren Anhängern wurden Einzelteile für Markthütten abgeladen. Vereinzelt standen auch schon ein paar Fertigteilhütten an ihren Plätzen.
Zu Füßen des Rathauses waren Arbeiter des Städtischen Bauhofes tätig. Sie hatten damit begonnen, das Fundament für die hölzerne Bühne zu errichten. In dem Moment, in dem ich sie bemerkte, waren einige von ihnen gerade an der rechten vorderen Ecke beschäftigt. Sie befestigen dort die Holzsockel, mit welchen die Bühne gegen die Schräglage des Hauptplatzes abgestützt wurde. Auf dem hinteren, etwas höher gelegenen Teil standen auch schon erste Teile des hölzernen Bühnenrand-Zauns.

Kurz darauf kam ich am Eingang des Stadtamtes an der Ecke zur Burggasse an. Ich durchquerte den gewölbeartigen Flur im Erdgeschoss. Dabei fiel mir der Drahtkorb für Info-Materialien neben der Tür zum Standesamt auf. In ihm lagen ein paar aktuelle Exemplare meiner Zeitung. Ich beschloss, die Ausgabe zu Hause in Ruhe durchzusehen. Ich rechnete damit, dass sie wie jeden Dienstag schon mit der Post gekommen war.
Ich öffnete die Tür zum Treppenhaus neben dem Standesamt. Danach stieg ich die Treppe in den ersten Stock hinauf.

Oben angekommen, bemerkte ich unzählige offene Kisten. Im gesamten Flur standen diese vor den einzelnen Büros herum. Ich sah etwas näher hin. In ihrem Inneren befanden sich die historischen Kostüme für den Festumzug am Sonntag.

Kapitel 38. 2. 3.: Telefonat mit Thomas von der Redaktion

Ich war knapp wieder zur Haustür herein, als das Telefon klingelte.
Ich nahm den Hörer ab und meldete mich. "Servas, Thomas hia. Wie schaut's 'n zeitmäßig in dera Wochn bei dia aus? Hoast vü zum Tuan beim Weilesefest?"
"Mal überlegen. Also, übermorgen Donnerstag muss ich ab dem späten Nachmittag mit meiner Klasse unseren Schulstand auf dem Hauptplatz aufbauen. Das wird sicher bis in die Abendstunden dauern. Am selben Abend ist auch die Eröffnung der Ausstellung über die 40 Jahre Weinlesefest im 'Wiklicky'. Wenn es sich einrichten lässt, werde ich auf jeden Fall davon Bilder machen.
Am Freitag geht es dann auch wieder am späten Nachmittag los mit der offiziellen Eröffnung der drei Festtage. Die wie immer mit dem Heurigenbuschenaufziehen auf dem Hauptplatz stattfindet. Im Anschluss habe ich kurz Dienst im Stand von unserer Klasse. Und 20:00 Uhr gehe ich zum Weinkulinarium ins 'Weinschlößl'. Das habe ich allerdings nur für mich privat geplant, da möchte ich mir ausnahmsweise mal keinen Pressestress antun.
Der Samstag fängt an mit der Eröffnung von der elektrifizierten Bahnstrecke. Das ist am Vormittag, so gegen Zehn. Am Nachmittag findet auf dem Hauptplatz ein Heißluftballon-Start statt. Davon kann ich ja auch ein paar Action-Bilder machen. Ansonsten wäre an dem Tag noch ein Freundschaftsspiel auf dem Fußballplatz. Aber darum kümmert sich ja ohnehin unser 'Sportmensch'. Ach ja, am gleichen Abend habe ich dann wieder Dienst im Stand.
Am Sonntagvormittag gehe ich als erstes privat zur Feldmesse bei der Kümmerlkapelle am Ortsrand. Am Nachmittag beteilige ich mich an der Festumzugs-Gruppe vom "EFEU-Verein" – ich bin da auch Mitglied. Ja, und am Abend wäre dann als Letztes das Abschlussfeuerwerk."
"I hett doa a jetz scho an Teamin fia di. Un zwoa is moagn oam Mittwoch Um Zwa bei eich im Pfoahof wieda Pfoacoafé. Dös steht diesmoi im Zeichn vuan de viazig Joahr Weilesefest. Doa wean so Eainnarungen von fria vuatroagn. Gehst a mit hi un schreibst da bisserl woas auf, so a poa bsundre Soachn hoit."

Kapitel 38. 3.: Mittwochnachmittag – Weinlesefestsgeschichte-Rückschau im Pfarrhof

Kapitel 38. 3. 1.: Im rustikalen Keller

Mittagssonne hatte sich über dem Pfarrhof ausgebreitet, als ich die Holztür am Gebäudetrakt des Pfarrsaales öffnete. Ich sah auf die Uhr. Fünf vor Um Zwei.
Ein kleiner, relativ dunkler Flur folgte zunächst. Mehrere Schränke und ein Tischfußballgerät befanden sich in ihm. Gegenüber vom Eingang stand der rechte Flügel eines kleinen, altmodischen Holztores offen. Stimmengewirr drang aus dem anschließenden Saal, welcher etwas tiefer lag als der Flur.
Ich stieg die kleine, abwärtsführende Treppe hinter dem Tor hinab. Ein gewölbeartiger, weiß gestrichener Saal mit erdfarbenen Bodenfließen tat sich auf. Über sein gesamtes südliches Kopfende erstreckte sich eine aus Balken und Brettern zusammengezimmerte kleine Bühne. An der Wand links bemerkte ich gleich darauf eine jener altmodischen, hölzernen Weinpressen. Je solch ein Exemplar hatte ich auch schon im Garten des Altstadtheurigens, im "Weinschlößl" und am Beginn des Weges über den Altenberg gesehen, erinnerte ich mich. Ihr riesiger, steinerner Spindelkopf steckte in einer zylinderförmigen Aussparung im Boden. Diese war zur Gänze mit denselben Fließen ausgekleidet worden wie der übrige Boden. Ein einziges winziges Fenster hatte der Raum an seiner Ostwand. Aufgrund der Dicke der Mauern wirkte es ein wenig kerkerartig.
In der Mitte des Raumes standen zwei Reihen Tische. Die Plätze daran waren bereits weitestgehend besetzt. Einige letzte leere Plätze befanden sich wenige Schritte vor mir. Ich ging auf die Stelle zu, zog einen der Stühle nach vorn und setzte mich.

Die Vorlesungen auf der Bühne waren beendet. Ich ordnete meine Mitschriften, die ich während der zurückliegenden Stunde angefertigt hatte. Zwölf DIN-A-5-Seiten waren es geworden. Alle möglichen Anekdoten und historischen Fakten über die vier Jahrzehnte Weinlesefestgeschichte hatte ich darauf mitgeschrieben.
Im Raum war inzwischen Bewegung entstanden. Freiwillige Helferinnen und Helfer liefen überall zwischen den Tischen hindurch. Sie verteilen Kuchentabletts, Geschirr und Besteck, Körbchen mit Brotscheiben, Weingläser, Rotwein, Weißwein, Mineralwasser, Most und Traubensaft.

Abermals sah ich auf die Uhr. Kurz nach Halb Vier war es inzwischen geworden. Zwei Stück Kuchen, eine Tasse Kaffee, ein Glas Traubensaft und ein Glas Rotwein hatte ich inzwischen gehabt. Das Geschirr war mittlerweile abgeräumt worden. Bereits seit einer ganzen Weile hörte man dafür das Klappern vom Abwaschen in der Spüle oben im Flur. Das Geräusch erinnerte mich wieder daran, wie es war, wenn bei uns früher Sonntag Nachmittag Gäste kamen. Wenn dann immer der Tisch in Großmutters Wohnzimmer mit allen möglichen Kuchentabletts gedeckt wurde. Und der Kaffee in das noble Rosenmotiv-Service aus dem Glasschrank eingeschenkt wurde.

Kapitel 38. 3. 2.: Gemeindepolitik

Abermals war etwas Zeit vergangen. Ich trank den letzten Schluck aus meinem Weinglas aus. Danach holte ich die Zettel mit den Fakten zu den Gemeinde-Politik-Angelegenheiten aus der Tasche. Ich hatte sie mitgenommen, um die Artikel während der Veranstaltung auszuarbeiten. Ich schob ein paar Gläser zur Seite und breitete die Unterlagen auf dem Tisch aus.
Nach wenigen Minuten hatte ich alles gesichtet und begann:

"Rathausturm

Die mit 1. Mai diesen Jahres vom Tourismusverein geschaffene Möglichkeit zur Besteigung des Retzer Rathausturmes für jedermann findet bei Gästen und Einheimischen großen Anklang. An die 5.000 Gäste nahmen seit dem Eröffnungstag die kleine Strapaze des langen Treppensteigens auf sich, um dafür mit einem umso traumhafteren Ausblick weit ins Retzer Land hinein belohnt zu werden.
Kürzlich wurde nun ein Retzer Steinmetzmeisterbetrieb durch das Kulturreferat der Stadt mit der Durchführung der zweiten Bauphase beauftragt. Diese umfasst die Erneuerung der Treppe vom ebenerdigen Eingang bis zum 'ersten Stock'. 19 Blockstufen müssen zur Gänze erneuert werden; stilgerecht wird dafür St. Margarethner Kalksandstein zum Einsatz kommen. Als nächstes stehen dann Ausmalungsarbeiten und eine Ergänzung der Beleuchtung ins Haus, damit ab Frühjahr 1995 die neue Touristenattraktion schließlich noch besser genutzt werden kann.

Höhere Ortstaxen

Mehr Geld zur Förderung des Tourismus durch höhere Ortstaxen wird der Stadtkasse im neuen Jahr zur Verfügung stehen. Retz gehörte bisher zur Klasse II der drei touristischen Ortsklassen Niederösterreichs. Das Land entschied sich jedoch kürzlich für eine Aufwertung von Retz zur Klasse-I-Stadt, was die Erhöhung zur Folge hatte.

Förderung

In seiner letzten Sitzung verabschiedete der Gemeinderat eine Annahmeerklärung für eine Förderung aus dem NÖ Wasserwirtschaftsfond, womit ein weiterer Mosaikstein zur Finanzierung der zurzeit in Bau befindlichen Kanalisation gesetzt wurde. Die Erstellung eines dementsprechenden Vertrages durch das Land Niederösterreich ging dem Schritt voraus.

Güterwege

Die Gemeinde ruft alle in der Landwirtschaft Tätigen zu äußerster Sorgfalt bei den saisonbedingten Arbeiten auf den Feldern auf. Beim Pflügen der Felder ist darauf zu achten, dass die Güterwege beim jeweiligen Wenden nicht überfahren werden. Die Ackertätigkeit hat sich ausschließlich auf die Ackerfläche zu beschränken, sodass die Güterwege weder verschmutzt noch beschädigt werden können. Ebenso sind die Liegenschaftsgrenzen peinlichst genau einzuhalten, da es sonst zu hohen Vermessungskosten kommen kann.

Vertrag mit EVN

Wie die 'Bezirksnachrichten' berichteten, übertrug die Gemeinde vor einiger Zeit die Verantwortung für die Betreuung der Straßenbeleuchtung auf ihrem Hoheitsgebiet für die Dauer von 20 Jahren an die EVN, nachdem Vertreter des Energiekonzerns mit einem dementsprechenden Vertragsangebot in Retz vorstellig geworden waren.
Kürzlich verhandelte die Gemeinde diesen Vertrag nun noch einmal nach und konnte einige entscheidende Nachbesserungen erzielen. Neu ist zum Beispiel eine halbjährliche Kündigungsfrist beiderseitig. Auch dass Investitionen und Investitionsvorauszahlungen dann gegenseitig aufgerechnet werden. Erreicht werden konnte ebenfalls, dass auf dem Städtischen Bauhof in der Angertorstraße lagerndes Material zur Instandhaltung der Leitungen, das die Gemeinde noch auf ihre Rechnung angeschafft hatte, von der EVN zu aktuellen Marktpreisen zurückgekauft wird.
Wie der für die Materie zuständig Stadtrat Gebhardt mitteilte, habe man so vom Finanziellen her um 20 Prozent günstiger abschlossen als die meisten Nachbargemeinden, welche in jüngster Vergangenheit ähnliche Verträge eingingen.

Historische Dokumente fürs Stadtarchiv

Das Retzer Stadtarchiv genießt in Historikerkreisen schon seit langem einen guten Ruf. Zu einer weiteren Steigerung der Qualität seiner Bestände trug kürzlich Vizebürgermeister Karl Pfand bei. Der Gemeindepolitiker wurde von einem Bekannten telefonisch darüber informiert, dass auf einer kürzlich stattgefundenen Auktion in großer Dichte zahlreiche historische Briefe auftauchten, die vor Jahrhunderten an den Rat der Stadt Retz gesandt wurden. Bislang datierten die ältesten Briefe im Stadtarchiv um das Jahr 1870.
Auch wenn ein paar Stücke bereits unter den Hammer gekommen waren, konnte Vizebürgermeister Pfand immer noch eine hohe Zahl stadtgeschichtlich bedeutsamer Papiere für das Retzer Archiv sichern. Langfristig ist auch eine Ausstellung mit den Neuerwerbungen geplant.

Zeitungstaschen

In absehbarer Zukunft wird an den Wochenenden in Retz ein weiteres Presseerzeugnis in den bewährten Zeitungstaschen an den Pfosten von Verkehrszeichen erhältlich sein. Eine bekannte österreichweit erscheinende Wochenzeitschrift mit hoher Auflagenzahl reichte bei der Gemeinde einen Antrag auf Genehmigung dieser Vertriebsform ein. Die Gemeinde wird dieses Ansuchen positiv erledigen.

Wasserrückhaltebecken

Zwei neue Wasserrückhaltebecken sollen am Retzer Altenberg entstehen. Mit der Fertigstellung ist jedoch nicht vor Ablauf von zwei Jahren zu rechnen.

Vandalismus

Verärgert über den zunehmenden Vandalismus in den öffentlichen Einrichtungen der Stadt ist man im Retzer Tourismusverein. So wurden zum Beispiel auf dem gerade erst instand gesetzten öffentlichen WC auf dem alten Sportplatz die Heizkörper aus den Wänden gerissen und gestohlen. Im Gemeinderat, in dem Tourismusobmann Dir. Reinhard Gruber das Thema unlängst zur Sprache brachte, denkt man nun über die Installierung von Videokameras an besonders gefährdeten Objekten nach.

Neue Öffnungszeiten

Die Städtische Bücherei Retz hat seit einiger Zeit an folgenden Terminen für ihre Gäste geöffnet: Montags von 9:00 – 18:30 Uhr und Freitags von 9:00 – 19:30 Uhr. Neu ist auch ein attraktives, erweitertes Angebot an Kinderliteratur.

Wall Towns

Auf ihrer jüngsten Sitzung beschloss der Gemeinderat auf Antrag von Kulturgemeinderat Helmut Wiesmann (ÖVP) den Beitritt zum 'Wall Towns Friendship Circle' (WTFC), einer internationalen Vereinigung von Städten mit Stadtmauern mit Sitz in Tenby (Wales/Großbritannien).

Lustbarkeitsabgabe

Im niederösterreichischen Landtag und innerhalb der Gemeinden des Landes ist zurzeit eine Diskussion über Sinn und Unsinn der Lustbarkeitsabgabe im Gange. Viele größere Gemeinden würden auf diese Form der Abgabe gern verzichten, weil sie oftmals über keinen allzu genauen Überblick über sämtliche lustbarkeitspflichtigen Einrichtungen und Veranstaltungen innerhalb ihrer Gemeindegrenzen besitzen bzw. ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand bei der Einhebung eher bescheidenen Einnahmen gegenübersteht. Für die Stadt Retz jedoch bedeutet diese Abgabe eine nicht unwesentliche Säule ihres Finanzhaushaltes. In einer Stellungnahme an den Gemeindevertreterverband appellierte man daher unlängst eindringlich, sich dafür einzusetzen, dass das Gesetz, welches die Lustbarkeitsabgabe regelt, nicht aufgehoben wird. Sollte sich der Landtag jedoch dennoch dafür entscheiden, so bliebe der Stadt Retz dann immer noch die Möglichkeit, eine derartige Abgabe, die bisher im Landesrecht geregelt war, auf Basis des Kommunalrechtes wieder einzuführen.

Theaterfahrt

Die ÖVP-Frauenbewegung des Teilbezirkes Retz lädt in Kürze wieder einmal zu einer ihrer beliebten Theaterfahrten nach Wien ein. Diesmal geht es zu einer 'Opernball'-Aufführung in die Volksoper.
Anmeldung und nähere Informationen unter der Telefonnummer: …"

Kapitel 38. 4.: Donnerstagnachmittag – Aufbau der Handelsakademie-Marktbude

Kapitel 38. 4. 1.: Treffen im Pfarrgarten

Kapitel 38. 4. 1. 1.: Ein wildromantischer Garten

Ich sah auf die Uhr. Es war zwei Minuten vor Dreiviertel Fünf.
Wenige Meter vor mir tauchte das Tor zum Pfarrgarten auf. Mit ihm der kleine, etwas bröcklige Mauerteil zwischen Tor und Schulgeländemauer. Der Wilde Wein daran hatte sich der Jahreszeit entsprechend blutrot verfärbt. Fast den gesamten Mauerteil hatte er bereits überwuchert.
Ich drückte die Klinke herunter. Vorsichtig schob ich das etwas schief hängende Brettertor nach hinten. Der leicht nach Norden abfallende Pfarrgarten mit seinen Sträuchern, Bäumen und wildem Gras tat sich auf.
Im hinteren Teil des Geländes, das sich noch ein Stück nach Westen ausdehnte, war gerade die "Babyparty" der Pfarre zugegen. Etliche junge Mütter saßen an zwei Kopf an Kopf aneinandergestellten Heurigentischen inmitten des Grases. Ab und zu Ausschau nach den ringsum geparkten Kinderwagen haltend. Einige der Frauen saßen auch mit ihren Babys im Arm im Gras. Kleine Kinder krabbelten auf allen Vieren zwischen ihnen hindurch. Stimmengewirr lag in der Luft. Geschirr klapperte.
Rechts erstreckte sich die lange, unverputzte Mauer zum benachbarten Handelsakademie-Gelände. An etlichen Stellen gingen ihre grob behauenen Natursteine fließend in Ausbesserungen mit roten Ziegelsteinen über. Großteils war die Mauer jedoch verdeckt durch die Holunderbüsche. Bis zur Mauermitte Richtung Norden standen diese.
Noch immer hingen an den Holunderbüschen etliche reife Früchte. Fast bis zum Boden zog es sie herab. Weinrot die strahlenförmig nach unten auseinanderlaufenden Stiele der Trauben. Unzählige der Millimeter breiten, schwarzen Kügelchen hingen an den Spitzen der fallschirmähnlichen Trauben.
Direkt über der Mauer fiel der Blick in den Flur vom ersten Stock des genau dahinterliegenden Südflügels der Handelsakademie. Die riesigen, vom Fußboden bis zur Decke reichenden Glasfenster machten den gesamten Gang sichtbar. Man sah die etwas klinisch wirkende weiße Wand zwischen Flur und Klassenzimmern. An ihr ein paar der braunen Türen und der Reproduktionen bekannter Kunstwerke. Die Tür zum Klassenzimmer der III. A am Ende des Gangs stand weit offen. Etwas abendliche Sonne schien durch den Türrahmen hindurch. Offensichtlich war auf der anderen Seite des Gebäudes ein Riss in der Wolkendecke entstanden. An der Innenseite der Tür hing ein Schuljahresplaner. Einer im klassisch schwarz-gelben Raiffeisendesign, wie ihn die Raiffeisenkasse zu Beginn jedes Schuljahres als Werbegeschenk verteilte.
Die gleich aussehende untere Fensterreihe wurde von der Mauer verdeckt.
Ich sah in den Himmel über dem Pfarrgarten und bemerkte, wie wolkenverhangen er war. Fast wie vor einem Platzregen. Auch die schwüle Luft nahm sich so aus. Hoffentlich hält das Wetter, dachte ich. Für den morgigen Freitag hatten sie Sonnenschein zumindest angesagt, erinnerte ich mich an die Vorhersage im Radio am Morgen.

Kapitel 38. 4. 1. 2.: Die "Aktive Jugend Retz"

Plötzlich tauchten aus der kleinen Seitentür zum Inneren des barocken Schüttkastens rechts Cornelius, Antonia und Isolde auf. Ich hatte sie zunächst gar nicht bemerkt, da die Tür halb zwischen der Reihe Gebüsch entlang des Gebäudes versteckt lag. Die Mädchen redeten gerade über irgendetwas, was in der BWL-Stunde am Vormittag geschehen war.
Mit ihnen erschien Jugendgemeinderat Staudinger. Im Moment war er aber offensichtlich in seiner Funktion als Vorsitzender der "Aktiven Jugend" anwesend.
"Hallo, Leute", begrüßte ich sie. Nachdem ich auf die Gruppe hinzugetreten war, fragte mich Staudinger: "Kennst du scho unsare Fuatschritte beim Innenausbau?"
"Nein, noch nicht."
"Na, doann kumm amoi eina."
Ich betrat das Gebäude vor dem Gemeinderat. "Donnerwetter, jetzt bin ich ja geplättet", entfuhr es mir. "Die alte Bruchbude habt ihr aber ordentlich wieder in Schuss gebracht."
Von dem einstmals völlig heruntergekommenen Innenraum war nichts mehr zu sehen. Alle Wände waren verputzt worden und erstrahlten in frischem Weiß. Der Fußboden war zum Stil des Hauses passend neu verlegt worden. An der südlichen Wand befand sich eine kleine Bar.
"Hast du das Gebäude im Originalzustand noch kennen gelernt?" fragte Staudinger schließlich.
"Ja, ja, Ende 1992 war das. Da hat mich hier mal jemand mit reingenommen."
"Un foast ois is in Eigenleistung gschehn", verkündete Staudinger mit sichtlichem Stolz. "Außa bei den Soachn hoit, wo dös net meeglich woa. Moanches muass joa rein scho vuan de Sichaheitsbestimmungen hea vuan Professionistn daledigt wean. Oba 's meiste haum ma söba gmoacht."
"Und wann kann man mit der Eröffnung des Kulturzentrums rechnen?"
"Dös is noatiali hauptsechlich a finaunziölle Froag. Aans, zwoa Joah wiads scho nau dauan. De Clubbings, de woas ma zua Finaunzierung vaoanstoitn, bringan joa net waß Gott woas fia a Göd eina. Dös is hoit a Foall vuan 'Mihsoam nährt si dös Oachkatzl'."
Als ich das Gebäude wieder verlassen hatte, ratterte vor dem Tor ein Traktorenmotor. "Dös wiad da Wilhelm sein", meinte Antonia.

Fünf Minuten später kam Georg als letzter der männlichen Hälfte von der österreichischen Klassenfraktion zum Tor hinein. Wie Wilhelm, Johannes, Cornelius und ich trug auch er ein Baseballcap als Arbeitsschutz.

Zehn Minuten nach Um Fünf öffnete sich abermals das Tor. Maria kam herein als Vorletzte von der österreichischen Klassenhälfte.
"De Paula hoat mi oagruafn un mia gsoagt, se kummt a bisserl speta", teilte sie mit, nachdem sie sich zur Runde dazugestellt hatte. "Se muass si nau um eahnan klan'n Bruada kiamman."
Auch von der "Aktiven Jugend" waren inzwischen etliche Mitglieder eingetroffen. Einige von ihnen hatten damit begonnen, mit Farbspray verzierte Metalltonnen auf die Ladefläche eines Klein-Lkw zu stapeln. Wie ich aus Gesprächen erfuhr, waren diese für den Aufbau der Cocktailbar des Vereines vor dem Rathaus bestimmt.
Staudinger trat auf unsere Gruppe zu. "Mia moachn groad Pause", verkündete er. "Woits ihr vülleicht an 'Sturm' un Leberkassemmeln? Mia haum gnua mit."
"Doa soag ma net na", reagierte Wilhelm. "I glaab, doa sprech i im Noam'n oaller."

Kapitel 38. 4. 1. 3.: Im historischen Kellergewölbe

Irgendwann nach dem Essen begann sich die Gruppe in den hinteren Teil des Gartens zu bewegen. Auch Paula war inzwischen eingetroffen. "I koa 's iagndwie nau goa net glaabn, doass ma jetz in da zwaatn Kloass san", hörte ich hinter mir Cornelius zu Wilhelm sagen. "Iagndwie isses mia so vuakumman, ois gangert de easchte Kloass nie zuend."
Der Pfarrkellereingang tauchte auf, hinter ihm die Rückwand der Rugenbude. Beim Anblick des Vereinslokals der regionalen Mittelschüler- und Studentenverbindung erinnerte ich mich daran, wie man sie oft bis in die Nacht hinein ihre alten Burschenschaftslieder singen hörte. Und dass in einigen dieser Lieder auch Retz als Weinort beschrieben wurde.
Vor uns lag die kleine Mulde, in der sich halb versteckt der bröcklig wirkende Kellereingang befand. Antonia ging den Weg hinab und begann am Schloss zu hantieren.
Ich sah mich unterdessen ein wenig im näheren Gelände um. Unzählige alte Obstbäume standen dicht an dicht in diesem Bereich des Gartens. Rote Äpfel hingen von ihren Zweigen herab. Viele von ihnen waren auch schon heruntergefallen und verteilten sich nahezu gleichmäßig über das hohe Gras. An einem der Bäume hatte man mit Seilen eine einfache Schaukel angebracht.
Ein dünner Lattenzaun grenzte das Grundstück vom Nachbargarten ab. Astern und Schafgarbe blühten dort. Der Zaun zu dem anderen Garten machte nur einen geringen Teil der Grundstücksgrenze aus. Nach nur wenigen Metern stieß er an jene Mauer, die nahezu den gesamten Pfarrgarten einfasste.
Antonia hatte inzwischen mit ihren Aufschließversuchen Erfolg gehabt. Vorsichtig schob sie zuerst den linken Torflügel zur Seite, dann den rechten. Beide Flügel hingen im geöffneten Zustand noch schiefer zur Seite als das Tor am Beginn des Gartens.
Alle liefen nun zum Kellereingang hinab. Ein kleiner, gewölbeartiger Raum mit Kreuzrippen an der Decke tat sich auf. An der Wand gegenüber zweigte ganz links ein schmaler Gang ab, der irgendwo in der Finsternis endete. Gleich hinter der Tür wurde der weitere Weg zunächst jedoch zur Hälfte von einem abenteuerlichen, geschlossenen Holzwagen versperrt. Dieser schien über eine ganze Reihe primitiver technischer Einrichtungen zu verfügen. "Was ist denn das für ein Monstrum?" fragte ich in die Runde hinein.
"Dös is a oide Eantemoaschin", erklärte mir Isolde. "De stoammt nau aus dera Zeit, ois es in da Loandwiatschoaft de easchtn Fuam'n vuan Moaschinisierung gebn hoat. Mia haum auf unsam Hof vua Genarationen a amoi sowoas ghoabt."
Wilhelm trat hervor. "Dös hia san de Täüle, de ma zu valoadn haum". Er deutete auf mehrere einzelne Wände, die hintereinander in einer kleinen Nische in der rechten Wand lehnten. "Weita hint im Gang obe stengan doann nau de Hoalzploattn fias Doachl. Un woas a no doazuagheert, san doa links dös Tiarl un dea Holzbottich. In dem liagn de Schraufn un de Elektrik fias Standl und a poa Hoalzkletz, mit denan 's Standl gengan de Schregloag vuam Hauptploatz oastitzt wiad.
Ois Easchtes vaload ma amoi des Zeigs hia vuan, doamit ma doann mitm Doachl bessa außekumman. So, i hoi jetz easchtamoi 'n Troaktoa. Ihr teits derwäü nau nix."

Kapitel 38. 4. 1. 4.: Das Aufladen der Einzelteile

Wenig später brachte Wilhelm den Traktor mit dem Hängerende vor dem Kellereingang zum Stillstand. Danach begann Johannes auf der von hinten aus gesehen linken Seite des Wagens die Seitenklappe des Hängers aus der Verankerung zu lösen. Cornelius tat gleichzeitig dasselbe auf der Rückseite des Anhängers.
Wilhelm sprang vom Traktor herunter, trat auf die Gruppe zu und verkündete: "De Maderln kennan eigentli scho aufn Hauptploatz gehen, hoab i ma groad iwalegt. Dös Aufloadn schoaff ma a allanich. Un a Aufgoab hoab i a fia eich: Zwa vuan eich kennan heraus in de Weingeatn gehen un Rebzweig oaschneidn, de woas ma doann zua Vaziehrung ans Stoandl oatackern, wauns featig is. An Bottich doafia kennts eich im Stoadtoamt ausboagn und a Schar gib i eich mit."
Nach diesen Worten ging er auf die Bank am Beginn des Hängers zu, welche gleichzeitig eine Kiste für Werkzeuge war. Er klappte den Sitz hoch und entnahm eine Rosenschere. Diese händigte er Isolde aus, worauf die Mädchen aus dem Blickfeld verschwanden.
Georg, Cornelius, Johannes, Wilhelm und ich blieben allein zurück. "So, und mia kiamman uns jetzda easchtamoi um de Wend", wies Wilhelm den Rest der Truppe an. Zuoberst des Stapels, welcher in der Wandnische lehnte, befand sich die Vorderwand der Markthütte. Sie bestand von der Mitte an nach oben lediglich aus drei Vierkanthölzern. Einem rechts, einem links und einem langen Verbindungsholz zwischen deren beiden oberen Enden. "Dös Ding is ziemli brechern", erklärte Wilhelm. "Drum kummt dös ois Letzes aufn Henga aufe. Mia schoaffn dös easchtamoi außa und lahnens oan a Baam oa."
Georg fasste daraufhin das hintere Ende der Wand an, Johannes das vordere. Gemeinsam bugsierten sie das Teil Stück für Stück zum Kellerausgang hinaus. "Dös nechste neman mia doann", teilte mir Wilhelm mit.
Als wir mit der Wand an der Seite des Hängers angekommen waren, wies mich Wilhelm an: "So, und jetzda vuasichtig drahn und aufn Henga aufe."
Auf der Ladefläche des Anhängers stand bereits Cornelius, welcher das Teil entgegennahm und vorsichtig zurechtrückte. Nachdem es in der gewünschten Position lag, hoben Georg und Johannes ihre Wand an. Wie es ihnen Wilhelm aufgetragen hatte, hatten sie sie in ein paar Metern Entfernung an einen Baum gelehnt. Sie brachten sie dann in die Waagerechte, stemmten sie in die Höhe und verluden sie auf den Hänger.
"Dös Tiarl und de Holzwann' mit dem Klaakroam kennt ma eigentli a bei dera Fuhr mitneman", meinte Johannes.
"Ich hole die Wanne", rief ich.
"Un i nimms Tiarl", schloss sich Johannes an.

Kapitel 38. 4. 2.: Die erste Fuhre

Kapitel 38. 4. 2. 1.: Start im Pfarrgarten

Kurze Zeit später warf Wilhelm den Motor des Traktors an, welcher laut zu rattern begann. Ich stieg auf den Hänger und setzte mich an den linken Rand der Bank. Johannes und Georg stiegen von der anderen Seite her zu. Cornelius war gleich auf der Ladefläche geblieben und hatte sich in eine Ecke gesetzt. Direkt neben mir ragte aus dem Boden eine lange, metallische und schon ein wenig automobilgeschichtlich wirkende Handbremse empor.
Stück für Stück fuhr Wilhelm zunächst auf die Nordwand des Geländes zu. Zweige von Bäumen schlugen mir ins Gesicht. Der Wagen schwankte hin und her, als er Unebenheiten durchquerte.
Kurz vor der Nordmauer angekommen, begann Wilhelm mit größter Vorsicht das Gefährt rechtsherum zu manövrieren. Von da aus ging es geradewegs auf das Tor zur Pfarrgasse zu. Aus Sicherheitsgründen sah er dabei die ganze Zeit nach hinten.

Kapitel 38. 4. 2. 2.: In der Pfarrgasse

Der Traktor stand schließlich neben der Kirche in der Pfarrgasse. Georg sprang vom Wagen ab und lief zum Pfarrgartentor, um es zu schließen.
Ich sah nach der Uhrzeit am Kirchenturm an der anderen Seite. Wenige Minuten vor Um Sechs war es von der riesigen Uhr unter dem Kirchenturmdach zu sehen. Wie immer erinnerte mich die kupferne, grünspanüberzogene Dachkonstruktion von der Form her etwas an einen Pickelhelm.
In der Lücke zwischen Kirche und Pfarrhaus tauchte die Spitze des Rathausturmes auf. Über ihr hatte sich inzwischen so wie hinter dem Schulgebäude ebenfalls ein Streifen dünnerer Bewölkung gebildet. Das intensivgelbe Abendlicht schien durch ihn hindurch.
Als ich auf den Boden zurücksah, bemerkte ich Pfarrer Groll, wie er in Hausweste das Pfarramt betrat. Als er die Tür aufschloss, sah er kurz zu uns herüber.
Wilhelm startete abermals den Traktor. Die Seitenfront der Kirche zog an dem Gefährt vorbei. Davor die parkähnliche Grünanlage. Wieder davor der kleine, altmodisch wirkende, schwarzgestrichene Metallzaun, davor der Fußweg.
Nach nur wenigen Augenblicken passierte der Traktor den Seitenausgang der Kirche mit dem Glockengiebeldach darüber. Gleichzeitig tauchte auf der anderen Seite die Mauer zum Schulgelände auf. Mit ihr die Stelle, hinter der es einige Meter in die Tiefe ging. Der Geruch von frischem Gras drang aus dem Gelände empor. Offensichtlich hatte man gerade den Rasen gemäht.
Wir passierten die große, hölzerne Werbetafel am Beginn der Mauer. Dahinter kam in einiger Entfernung die Stirnseite des Südflügels der Schule in Sicht. Die in ihr angebrachte Tür zum Notausgang mit ihren drei Stufen davor tauchte auf. Genau darüber im ersten Stock das hohe Glasfenster. Hinter ihm fiel der Blick in den oberen Treppenabsatz, auf dem ich mich in jeder großen Pause mit Äns traf. Ich erinnerte mich, wie er mir erst am Vormittag erläutert hatte, dass dies die "Reichswarte" sei. In seiner Gedankenwelt war ja ringsum alles ein Fantasy-Reich, über das er als Kaiser herrschte. Und das tatsächlich sehr exponiert liegende Treppenhaus nahm dabei die Rolle eines Aussichtsturmes am Rande seiner kaiserlichen Residenz ein. Diesen bestieg er ab und zu, um weit in sein Reich hinauszublicken. Und wegen dieses guten Blickes über sein Reich habe er sich entschlossen, den Ort "die Reichswarte" zu nennen.
Die Mitte der Mauer war erreicht. Die Reihe Sträucher begann, die sich ab dem Punkt direkt hinter der Mauer entlangzog. Das Schulgebäude wurde teilweise davon verdeckt.
Rechts kamen zur gleichen Zeit die Bäume der Kirchenstraßenseiten-Hälfte des Kirchenparks in Sicht.

Kapitel 38. 4. 2. 3.: Auf dem Platz vor der Kirche

Die Kurve der Pfarrgasse zum Platz vor der Kirche erschien. Wo in jede Himmelsrichtung ein Weg führte.
Nach rechts in Richtung Süden ging es zum Platz vor der Kirche.
Nach links zweigte der Steilweg zur Schule hinunter ab. Am rechten Rand vom Steilweg sah ein Stück des Drahtzaunes von dem kleinen Getreidefeld hervor.
Geradeaus, nach Osten, tat sich der kleine Staubweg zur Höfleinerstraße auf. An seinem rechten Rand erschien die Mauer um Klammers Garten. An seinem linken Rand die Fortsetzung der kleinen Mauer von vor dem Steilweg. Ein paar Musikschüler standen an dem Teilstück, das dort das Südende des kleinen Getreidefeldes begrenzte.
Wilhelm bog nach rechts auf den kleinen Parkplatz zu Füßen der Kirchenapsis ein. Vorsichtshalber verlangsamte er dabei das Tempo und sah wieder nach hinten.
Nur wenige Meter weiter am Beginn der Kreuzung brachte er den Traktor zum zweiten Mal kurz zum Stehen. Aus allen Richtungen kommend bewegte sich Verkehr.
Links bemerkte ich Englisch-Lehrerin Klammer. Sie befand sich im Vorgarten ihres langgestreckten, einstöckigen Bauernhauses am Beginn der Höfleinerstraße und arbeitete etwas.

Kapitel 38. 4. 2. 4.: In der Wallstraße

Die Straße wurde frei. Wilhelm schaltete ein paar Gänge und übersetzte in die gegenüber beginnende Wallstraße.
Die Bäume des Stadtparks begannen sich auf der rechten Seite der Straße auszudehnen. Kurz nach ihrem Beginn folgte links gegenüber die Weinkellerei Richter. Ihrem Ende schloss sich auf der rechten Seite die Abzweigung Schmiedgasse an, danach der Steilteil des Stadtparks. Über seinem hinteren Rand, markiert durch die Gärten der Häuser der Lehengasse, breitete sich langsam Dämmerlicht aus.
Autos überholten uns hupend. Nachdem mehrere von ihnen vorbei waren, beschleunigte Wilhelm das Tempo etwas. Ein leichter Fahrtwind kam auf. Die Räder des Anhängers vibrierten in Folge der Tempoerhöhung leicht auf dem Kleinpflaster. Mit einem Male begannen auch die Teile der Hütte auf der Ladefläche des Hängers zu rumpeln. Die Ketten, die sie hielten, klirrten dabei. Ich sah hinter mich, aber die Verankerung hielt.
Von weitem kam bereits wieder das Ende der Straße in Sicht. Wilhelm schaltete abermals die Gänge, was eine Temporeduktion zur Folge hatte.
Rechts tauchte das Franzosenkreuz auf. Hinter ihm die zwei den Hang des Stadtparks hinauflaufenden Wege, mit dem Kreuz als Spitze eines V's. Es kam mir wieder in den Sinn, wie Johannes und ich die etwas abgesenkte Stelle im Boden direkt vor dem Denkmal vor einiger Zeit "die Grube" getauft hatten. Weil sie sich unserer Definition nach durch das tiefe Niveau der Gespräche, die wir an dieser Stelle jeden Mittag nach Schulschluss führten und welche sich meistens um Sex drehten, so weit abgesenkt hatte.
Ich erinnerte mich daran, wie wir uns am Tag zuvor gegenseitig unsere kranken Schularztphantasien der Sorte Oh-ja-für-eine-Augenuntersuchung-musst-du-deinen-BH-und-dein-Höschen-ausziehen gestanden hatten, die wir beide in Gedanken unabhängig voneinander schon an verschiedenen Mitschülerinnen ausgelebt hatten.
Auf der linken Seite tauchten unterdessen das Schwimmbad und das "Weinschlößl" auf.

Kapitel 38. 4. 2. 5.: In der Bahnhofstraße

Die Kreuzung Wallstraße/Bahnhofstraße/Verderberstraße war erreicht. In deren Mitte erschien das nach links in Richtung Bahnhof zeigende Hinweisschild. Beim Näherkommen erkannte man auch die Aufschrift "Zum Bahnhof" und das ÖBB-Logo daneben. Georg rief Wilhelm irgendetwas zu, was ich akustisch nicht verstand. Wilhelm klappte das Rückfenster des Traktors hoch, um bei dem Motorenlärm besser antworten zu können.
Beim Weiterfahren fiel links der Blick in die ebenfalls alleeartige untere Hälfte der Bahnhofstraße. Bis zu ihrem Ende konnte man sehen, wo rechts der Bahnhofsplatz abzweigte und links die Landesbahnstraße. Geradeaus erschienen die abgestellten Züge aus weiß-roten ÖBB-Personenwaggons, welche ihre Schicht für den Tag bereits beendet hatten. Ihr Anblick löste bei mir im Unterbewusstsein gleich wieder den Wunsch aus, irgendwohin zu verreisen.
Der Traktor bog in den oberen Teil der Bahnhofstraße ein. Hoch über dem Straßenniveau, auf dem Wall des Stadtparks stehend, zog rechts das Schloss Gatterburg vorbei.
Links begann schnurgerade das Siedlungsviertel. Dort folgten kurze Zeit später die beiden weinroten Wohnblocks. Das Eckhaus mit der SPÖ-Zentrale, der Volkshilfe und der Krankenkasse schloss sich an. Danach war bereits wieder das Ende der Straße erreicht.

Kapitel 38. 4. 2. 6.: In der Kremserstraße

Die Kremserstraße mit ihrem nahen Ortsende tat sich auf. Wilhelm ließ ein paar Autos vorbei und lenkte den Traktor nach rechts in Richtung Innenstadt.
Auf der linken Seite tauchte das Sportwarengeschäft auf. "I muass joa nau de Tuanschuach fias Match oam Soamstoag oahoin", fiel es Johannes bei seinem Anblick ein. "Dös hett i foast vagessn."
Dem Geschäft folgte die Diskothek mit ihren eigentümlichen lila Vorhängen im Erdgeschoss.
Gegenüber auf der rechten Seite zog die "Schlecker"-Filiale vorbei. Neben ihr die größtenteils freistehende Seitenwand der benachbarten EDV-Handlung Himmelreich an der Ecke zum Schloßplatz. Blutrot hatte sich der Wilde Wein inzwischen verfärbt, welcher an ihr emporwuchs.
Das Gefährt war abermals am Ende der Straße angekommen. Geradeaus erschien die Südseite des Wiklickyhauses. Direkt davor das Metallrohr mit den in Richtung Schloßplatz zeigenden Hinweispfeilen mit den Aufschriften "Kellerführungen" und "Historischer Hauptplatz". Welche aus Richtung Wien kommende Gäste auf die zwei wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt aufmerksam machten.
Linkerhand fuhren ein paar Autos um das Eckhaus mit der Fußpflege und dem Sonnenstudio. Wilhelm ließ diese zunächst wieder vorbei. Schließlich durchquerte er die Enge zwischen EDV-Handlung und Wiklickyhaus am Beginn des Schloßplatzes.

Kapitel 38. 4. 2. 7.: Auf dem Schloßplatz und in der Lehengasse

Innerhalb von Sekunden passierte das Gefährt die Vorderfront des Schlosses Gatterburg, das Schloßgasthaus, die Abzweigungen zur Lehengasse und zur Brunngasse. Der Traktor fuhr in die Wienerstraße ein, dem letzten Stück Weg vor dem Hauptplatz. Dessen Beginn sich am Ende der Straße bereits abzeichnete. Das Gefährt streifte das "Schmähbankerl" und den Kreisler. Und nur wenige Häuser weiter bereits das historische Straßenschild der Wienerstraße an der Fassade von Optiker Sulzbergers Geschäft.

Kapitel 38. 4. 2. 8.: Auf dem Hauptplatz

Der verkehrsleere, abendliche Hauptplatz lag bereits im Dämmerlicht, als wir ihn gleich darauf befuhren. In seiner Mitte zwischen der Ringfahrbahn liefen noch an vielen Stellen letzte Vorbereitungsarbeiten für das Fest. Eine Fertigteilhütte wurde gerade von einem Traktor an ihren Platz gefahren. Der Tieflader, auf welchem sie stand, war so niedrig, dass man den Eindruck gewinnen konnte, sie würde hinter dem Traktor herschweben. Nachdem sich die Hütte in der richtigen Position befand, begann man den Tieflader unter ihr vom Traktor loszukoppeln. Stück für Stück fuhr der Traktorist nach vorn, damit sich das Verbindungsmetall löste. Während des gesamten Vorgangs hielt er nach rückwärts Ausschau. Gleichzeitig stemmten sich auf dem Boden zwei andere Männer mit voller Kraft gegen die Holzhütte.
In der Mitte des Platzes waren die beiden Brunnen bereits für die Weinbrunnen-Aktion am Sonntagnachmittag geschmückt worden. Bei der dann wieder aus einem dünnen Schlauch entlang der Wasserrohre gratis Wein fließen würde. Womit die Illusion erzeugt werden sollte, dass es sich um magische Brunnen handele, aus denen Wein statt Wasser fließt.
Nach wenigen Sekunden rückten auch die Firmenschilder der zwei Betriebe ins Bild, welche den benötigten Wein zur Verfügung stellten. Die handgemalten Schilder waren bereits über dem jeweiligen Brunnen aufgepflanzt worden. Auf dem Weißwein-Brunnen links mit dem Retzer Löwen als Brunnenfigur das vom Weingut des Kleinriedenthaler Ortsvorstehers Emmerich Senkfrieden. Es hatte einen gelben Untergrund und eine rote Schrift. Auf dem Brunnen rechts mit der Brunnenliesl-Statue das vom Winzer Theodor Reiher aus Unternalb. Es war grün mit weißer Schrift.
Der Traktor fuhr um die Kurve bei der Sparkasse herum und kam auf die rechte Längsseite der Ringfahrbahn. Etliche bereits fertige Markthütten zogen vorbei. In unregelmäßigen Abständen wechselnd zwischen Flachdach- und Satteldachbauweise. Vereinzelt tauchten auch ein paar Hütten auf, von denen erst nur ein Holzgerüst stand. Gegenüber der Ecke bei der Post erschien inmitten der Hütten ein Leiterwagen. Ein altes hölzernes Weinfass lag darauf.
Angelassene Traktoren ratterten. An einigen Hütten wurde gehämmert. Bei wieder anderen lagen die Wände so auf dem Boden ausgebreitet, wie sie anschließend zusammengefügt werden sollten. Bei ein paar schon fast zu Ende aufgebauten Buden befanden sich bereits aufgestellte Stehleitern für letzte Handgriffe. Rings um andere schon fertige Buden waren Männer damit beschäftigt, Heurigentische und –bänke für die Gäste aufzustellen. Überall zwischen dem Geschehen wurden auch schon Weinkisten abgeladen oder standen in Stapeln herum.
Die Hütte des Gemischten Chores des Männergesangsvereines zog vorbei. Ein paar der Sänger standen in blauen Arbeitskitteln davor. Es war ein ungewohnter Anblick, die Männer einmal nicht mit Anzug und Krawatte zu sehen, womit sie immer bei den Konzerten auftraten.
Wir erreichten das Verderbertor. Wilhelm ließ kurz ein Auto vorbei, das aus der Znaimerstraße kommend auf den oberen Teil der Hauptplatzringfahrbahn fuhr. Danach lenkte er den Traktor dann selbst in diese Richtung.
Vor dem Rathaus kam die inzwischen fertig gebaute Holzbühne in Sicht. Ich erinnerte mich, wie ich noch zwei Tage zuvor bei ihrer Errichtung zugesehen hatte.
Nur wenige Meter links davon tauchte der bereits fertig eingerichtete Marktstand des Tennis- Clubs auf. Weithin identifizierbar durch die zwei gekreuzten hölzernen Tennisschlägermodelle an der Dachkante der Vorderfront.
Mehr und mehr bewegte sich der Traktor zur Rathausrückfront hin. Auf dem Pflaster zogen zahlreiche mit weißer Kalkfarbe aufgetragene Markierungen vorbei. Es waren die Zeichen, welche den Teilnehmern des Stadtlaufs am Sonnabend den Weg weisen sollten.
Der Traktor passierte den Schanigarten vom "Willi", in dem noch ein paar Gäste saßen. Links gegenüber am Beginn des Hauptplatzinnenteils zog derweil der ÖKB-Stand vorbei. Gleich nach ihm ein hölzerner Leiterwagen und der Rugiastand.
Das Ende der rechten Hauptplatzseite kam in Sicht, das Stadtamt als letztes Gebäude, dahinter die rechts abzweigende Burggasse.
Links tauchten ein ganzes Stück von uns entfernt Paula und Antonia auf. Sie standen an der Südwestecke des Rathauses und sahen uns bereits von weitem kommen. Mehr und mehr näherten wir uns ihrem Standort.
Nur noch wenige Meter entfernt lag der für unsere Hütte reservierte Platz. Er befand sich direkt an der Rückfront des Rathauses. Er begann nach dem gotischen Spitzbogenfenster und endete bei der Ecke zur Rathaustreppe. Wie jedes Mal fiel mir das eigenartige Aussehen des Fensters auf. Seine Innenfläche war zugemauert, verputzt und im gleichen Gelb wie das übrige Rathaus angestrichen. Einzig der Bogen rundherum war weiß. Durch die spätere Rennaissance-Umgestaltung des Rathauses wirkte es auch irgendwie "übriggeblieben".
Neben dem Rathaus erschien der weiße VW-Käfer-Dienstwagen von Stadtamtsmitarbeiter Franz Körberl mit den über 700 Aufklebern auf der gesamten Karosserie. Für einen Augenblick war er zu sehen, gleich darauf verschwand er hinter der Südwand des Rathauses.
Wir waren schließlich an der Ecke gegenüber dem Chinarestaurant angekommen. Wilhelm fuhr vorsichtig auf die Hauptplatzinnenfläche ein. Danach parkte er den Traktor parallel zur Rathausfront. Als er zum Stillstand gekommen war, sprangen alle Mitfahrer ab.

Das Abladen der Wände und vorläufige Anlehnen an die Rathauswand ging rasch vonstatten. Schon kurze Zeit später fuhr der Traktor mit allen Männern wieder los.

Kapitel 38. 4. 3.: Die zweite Fuhre

Zurück am Pfarrgarten, sprang Cornelius wieder vom Hänger. Abermals schob er vorsichtig beide Torhälften nach hinten. Holpernd ging es wieder in den Garten hinein.
Der Garten lag inzwischen verwaist da. Die Baby-Partie war gegangen.

Bald darauf überquerten wir mit den restlichen vier Wänden den Hauptplatz zum zweiten Mal. Leerer war es geworden. Nur noch etwa die Hälfte der Aufbauer der anderen Hütten war anwesend.

Kapitel 38. 4. 4.: Die dritte Fuhre

Bald darauf fuhr uns Wilhelm ein drittes Mal den holprigen Weg in den Pfarrgarten hinein. In dem Augenblick, in dem wir das Tor durchquerten, hatte man einen guten Blick zum Horizont. Dort bewegte sich gerade der Schienenbus nach Drosendorf zu seiner letzten Fahrt des Tages den Manhartsberg hinauf. Wie immer war es ein eigenartiger Anblick, so weit über dem Höhenniveau der Stadt einen Zug entlang rollen zu sehen. Gerade so, als wollte er direkt in den Himmel hineinfahren.

Kapitel 38. 4. 5.: Der Aufbau

Nahezu menschenleer war der Hauptplatz, als wir ihn mit der dritten und letzten Fuhre überquerten. Auch auf dem Bereich hinter dem Rathaus sah es nicht anders aus.
Isolde und Maria waren vom Rebenschneiden aus den Weingärten zurückgekehrt. Mitgebracht hatten sie einen Bottich voll langer Rebzweige.
Auf der Straße fuhr unterdessen ein Stück vor uns der alte Herr Seitenstetter mit seinem kleinen grünen Traktor entlang. Wie immer erinnerte mich das nicht mehr sehr moderne Gefährt von der Form her irgendwie an einen Laubfrosch. Unter Sammlern alter Landmaschinen musste das Gerät ja schon einen beträchtlichen Wert haben, dachte ich als Nächstes.
Schließlich parkte Wilhelm den Traktor wieder hinter der Rathausrückseite. Nachdem alle abgesprungen waren, öffnete Georg die Seitenklappe des Hängers. Johannes nahm daraufhin einen der kleinen Holztische herunter, ich den anderen. Als wir die Möbelstücke etwas weiter weg abstellten, fragte mich Johannes wieder einmal, wie es zwischen uns geflügeltes Wort war: "Liebst du mich?"
Ich antwortete ihm ebenfalls wie gewohnt: "Ich liebe und begehre dich und werde niemals einen anderen Mann lieben können als dich."
Wir kehrten zum Hänger zurück. Dort gab Wilhelm gerade wieder Anweisungen, was weiter zu geschehen habe: "De Doachploattn legn ma easchtamoi bei de Roathaustreppn, doamit ma beim Oabeitn net driwastoipan." Und zu mir gewandt: "De easchte neman mia glei."
Ich fasste am oberen Ende der Platte an, Wilhelm zog ihr Anfangsstück zu sich heran. Während des Hantierens setzte im nahen Dominikanerkloster das allabendliche Läuten der Glocken ein.
An der Ecke zum Rathaus tat sich ein riesiges Lager an Heurigenbänken und –tischen auf. Zusammengeklappt, auf der Kante stehend, hatte man sie an die Wand gestapelt. Fast das gesamte Kleinpflaster in diesem Bereich war von ihnen verstellt. Auch seitlich der langen, burgartigen Treppe, die sich über die gesamte Rathaussüdfront erstreckte, standen welche. Einzig vor ihrer kleinen Eisentür mit den spitzen Zacken am oberen Rand war vom Pflaster ein kleines Viereck freigeblieben.
"Doada oan 'n Roand leg ma 's", teilte mir Wilhelm schließlich den vorläufigen Ablageplatz mit.

Kurze Zeit später legten Georg und Johannes die letzte der drei deckungsgleichen Dachplatten auf dem Stapel ab.
Stadtrat Gebhardt erschien mit Stift und Notizblock in der Hand. "Brauchts a Woassa un a Liacht?" fragte er in die Runde hinein. Wilhelm trat auf ihn zu und antwortete ihm irgendetwas, das ich nicht verstand. Danach verwickelte er ihn in ein längeres Gespräch.
Ein Arbeiter des städtischen Bauhofes erschien in der Nähe. Stadtrat Gebhardt winkte ihn zu sich heran und fragte ihn etwas. Der Arbeiter ging daraufhin zu einer nahegelegenen Kanalöffnung. Auf ihr befand sich normalerweise einer der viereckigen, mit dem gleichen Kleinpflaster wie der Hauptplatz besetzten Deckel. Dieser war bereits für das Fest durch einen provisorischen Holzdeckel ersetzt worden. Der Arbeiter hob diesen zur Seite und begann Wilhelm etwas zu erklären.

Nachdem das Gespräch beendet war, verließen die beiden anderen Männer gemeinsam das Geschehen. Wilhelm wandte sich wieder der Klasse zu. Er klatschte ein paar Mal in die Hände und rief aus: "Oalle moi heahuarchen! Jetzda wiads Eanst! Jetz dama de Bruachbuadn nämli zsammschraufn." Und nachdem er sich der Aufmerksamkeit aller vergewissert hatte, fuhr er fort: "Da easchte Schritt doazua bsteht amoi doarin, doass ma de Täüle oalle so oam Boadn gnau oan dera Stöll niedalegn, oan dea 's doanoach vabundn wean."

Kurze Zeit später war der Aufbauvorgang bereits in vollem Gange. Antonia und Maria hatten die Wand mit dem türlosen Durchgang geholt. Die, die in der Mitte des Gebäudes das Hinterzimmer abtrennen würde. Dort hatten sie sie aufgerichtet und hielten sie fest, bis sie verankert sein würde. Georg und ich stemmten gleichzeitig die vertikal angelegte Südwand dagegen. Direkt neben mir waren Wilhelm und Cornelius damit beschäftigt, beide Teile zu verbinden. Mit Hämmern trieben sie die riesigen Schrauben an der Nahtstelle in das Innere des Holzes.
Schließlich standen die beiden Wände. "Festschraufn miass ma 's nau", meinte Wilhelm. "Hoat scho iagndwea de Ratsche gnumman?"
"I hoabs nau net gsehn", entgegnete Cornelius.
"Hoist du se moi?" beauftragte mich daraufhin Wilhelm. "Se liagt in da Kistn untam Sitz vuan oam Henga. Glei goanz obn miassats sei."
"Ist gut." Ich ging los, um das Werkzeug zu besorgen.
Ein Stück weiter links arbeiteten auch die Mitglieder der ÖAMTC-Ortsgruppe noch. Sie befestigten gerade ein Schild mit der Aufschrift "Most-Tankstelle" an der vorderen Dachkante ihres Standes. Im Vorbeigehen entdeckte ich auch zwei Bekannte unter den Mitarbeitern: Heurigenwirt Herrn Brandstetter und Herrn Seitenstetter jun., den Besitzer des Inneneinrichtungsstudios in der Lehengasse.
Auch an den meisten anderen Ständen in der Nachbarschaft wurde noch gearbeitet. Im Gegensatz zum übrigen Hauptplatz, der bereits beim Eintreffen mit der dritten Fuhre nahezu menschenleer war.
Ich erreichte den Hänger und klappte die Sitzfläche der Bank hoch. Wie Wilhelm gesagt hatte, lag das kurbelartige Schraubenschlüsselgerät ganz zuoberst auf den Werkzeugen.
Vor mir auf der Westseite des Hauptplatzes bildete sich gerade ein kleiner Stau. Ein "A & O"-Liefertruck mühte sich Stück für Stück über die Fahrbahn. Offensichtlich fand sein Fahrer den Lieferanteneingang von der Marktpassage im Scherzerhaus nicht. Hinter dem Wagen hatten sich rasch vier Pkw angesammelt. Diese konnten ihn nicht überholen.
Erst nach einer Weile hatte sich der Lkw ein Stück weiter in Richtung Ecke Vinzenzigasse bewegt. Danach bemerkte ich, dass auch vor einem der Häuser an der Westseite des Platzes Aufbauarbeiten im Gange waren. Auf einer der mit Natursteinen gepflasterten Parkplatzeinheiten zwischen Fußweg und Straße hatte man damit begonnen, eine Holzplattform zu errichten. Ihrer Art nach zu urteilen sollte sie nach ihrer Fertigstellung offensichtlich als eine Art privater Schanigarten dienen. Bewirtschaftet vermutlich von dem Haus dahinter.
Ich kehrte zur Aufbaustelle zurück. Auch links im direkt angrenzenden Stand der Katholischen Jugend wurde noch gearbeitet, wie mir unterwegs auffiel. Flaschenklappern drang aus dem Inneren der Hütte. Einer der Jugendlichen war auf ihr Dach gestiegen, um dort irgend etwas mit Hammer und Nägeln zu befestigen.

Eine gewisse Zeit später standen auch die Vorderwand und die rechte Wand. Antonia, Paula und Cornelius hatten damit begonnen, die Rückwand anzuschrauben. Davor hatte diese die ganze Zeit über am Rathaus gelehnt. An jeder Ecke war inzwischen jemand mit Schrauben und Hämmern beschäftigt.
Auch in einigen Buden in der Nachbarschaft, welche zwischenzeitlich schon ziemlich verlassen dalagen, war zu vorgerückter Stunde noch einmal Betrieb ausgebrochen. Dekorationselemente wurden angebracht, Elektrik ausprobiert. Weinbauern kamen mit Pkw, um Kisten mit Dopplerflaschen Wein zu liefern.
Ich selbst arbeitete inzwischen an der Außenseite der Vorderfront, an der Ecke beim KJ-Stand. Ich zog dort etliche kleinere Schrauben mit dem Schraubenschlüssel nach. Dabei kam mir wieder einmal eine Filmphantasie. Wäre das hier alles ein Spielfilm, dachte ich, dann wäre speziell diese Szene jetzt die Stelle, die irgendwann nach der Entlassung eines Kriminellen aus dem Gefängnis gezeigt wird, wenn er wieder eine Arbeit gefunden hat. Dann wird ja meistens, nur mit Filmmusik untermalt, eine lose Folge von Stimmungsbildern aus seinem neuen Arbeitsalltag gezeigt.

Als schließlich alle Wände verankert waren, wandte sich Wilhelm an die Männer in der Gruppe. "Bevua ma jetz 's Doachl aufegebn, miass ma nau de Hoalzkletz unta de Wend gebn, doamit de Hiattn net so schiaf stehn bleibt. Links un rechts hebn imma zwa Moa dös Trumm in de Heechn un i schiab dös Hoalzstiackl drunta."

Nach den Holzklötzen waren auch die beiden Tische und die Holzwanne an ihren entsprechenden Stellen untergebracht worden. Auf Anweisung von Wilhelm hatten Georg und Cornelius außerdem noch einen Heurigentisch geholt. Bei der Barriere in der Vorderwand hoben sie ihn drüber und stellten ihn direkt dahinter auf. Auch die Tür an der Rückfront hing inzwischen in ihren Angeln.
Einzig und allein die Dachplatten waren noch übriggeblieben. Georg und Cornelius gingen von hinten an den Stapel, Johannes und ich traten von vorn heran. "De easchte Ploattn isses Mitteltäül", erklärte Wilhelm. "De leg ma easchtamoi auf de Seitn."
Mit der darunterliegenden Platte bewegten wir uns dann zur Seite des Standes beim KJ-Stand. Dort bugsierten wir sie Stück für Stück aufs Dach. "So loang zuwischiebern, bisses oans Roathaus oasteeßt", wies Wilhelm an. Kommandos wurden von der Vorderseite und der Rückseite des Standes hin- und hergerufen: "Fieri a Stiackl!", "Zuwi!", "Hintere!"

Bürgerreporter:in:

Christoph Altrogge aus Kölleda

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