Am Horizont über Anzefahr stiegen düstere Wolken auf

Dorfansicht
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Anzefahr.

Am Montag, dem 7. Mai 1945, endete nach fünf Jahren und neun Monaten, der zweite Weltkrieg, dessen Dimension bis dahin kaum vorstellbar war. In den Gemeinden des Landkreises Marburg-Biedenkopf endete der Krieg in den letzten Tagen des Monats März, da die 3. US-Armee unter General George Patton bereits am 22. März 1945 den Rhein bei Oppenheim überschritt. Der 29. März 1945 ist in der Geschichte der Gemeinden wie Bürgeln, Kirchhain, Wermertshausen und auch dem Dorf Anzefahr als „Schreckenstag“ fest verankert.

Die Main-Weser-Bahnlinie unterhalb des Dorfes Anzefahr war immer wieder das Ziel von Luftangriffen amerikanischer und englischer Verbände. Am 13. Januar 1945 wurde der aus Richtung Kirchhain kommende Zug zwischen Mühle und Haltestelle Anzefahr von Flugzeugen beschossen und dabei drei Zugreisende getötet und sieben schwer verletzt. Die Getöteten wurden im Pfarrhaus aufgebahrt. Was erlebten die Bewohner von Anzefahr am 29. März 1945 ? Wir blicken in die von Herrn Lehrer Weitzel geführte Schulchronik der Gemeinde und erfahren über die Ereignisse des Schreckenstages:

"...Über den Westerwald, durch das Sauerland stoßen die Amerikaner in unsere Gegend vor. Hier in Anzefahr treffen am gleichen Tage deutsche Truppen (Infanterie) ein. Sie gehen durch das Dorf in Richtung Betziesdorf – Cölbe. Jede Feldarbeit ruht. In der Nacht zum 29. März hat sich auch hier ein schwacher Zug Infanterie – der Bahn entlang festgesetzt. Am Morgen des 29.03. – es ist Gründonnerstag – rollten gegen 7.00 Uhr amerikanische Panzer aus Richtung Großseelheim – Schönbach an. Panzer und nochmals Panzer. Die deutsche Infanterie eröffnet mit ihren unzulänglichen Waffen gegen 7.20 Uhr das Feuer. Die Amerikaner nehmen sofort die Bahnlinie – sodann auch das Dorf unter Feuer. Lage auf Lage schlägt in das Gelände und das Dorf. Die Bewohner hatten sich längst in die Keller geflüchtet – einige Familien waren sogar in der Nacht nach Sindersfeld geflohen. In einer Feuerpause verlässt man die Keller, um nach Hab und Gut zu sehen. Es brennt im Dorfe. An ein Löschen ist nicht zu denken – der Beschuss setzt wieder ein. Nach ungefähr 2 Stunden schweigt das Feuer endgültig. ..."

Nach Ende der Kämpfe ist das ganze Ausmaß des Schreckens zu erkennen:
- es brennen die Gehöfte von Witwe Feussner, Joseph Schold, Witwe Theresia Weitzel und Peter Joseph Hühn
- es brennt das Pfarrhaus, der Stall bei Peter Bodenbenner, die Scheune und der Stall bei Joseph Lauer
- beschädigt sind die Schule und auch die Kirche
- verbrannt sind neben landwirtschaftlichem Inventar in den Scheunen auch Futtervorräte, sowie Rindvieh und fünf Pferde.
Aus den brennenden Ställen war auch Vieh entkommen und musste eingefangen und in unbeschädigten Gehöften untergebracht werden.

Erst wenige Tage zuvor waren die deutschen Infanteristen aus Dänemark zugückgekehrt und bezogen am Bahndamm von Anzefahr ihre Stellung. Die deutschen Soldaten hatten das Feuer auf ein an der Spitze fahrendes Kraftfahrzeug eröffnet, wobei ein amerikanischer Offizier sein Leben einbüßte. Im Verlauf des Gefechts verlor auf deutscher Seite der Grenadier Hermann Compernass sein Leben. Sein Grab befindet sich noch heute auf dem Friedhof von Anzefahr.

Das Dorf Anzefahr musste den zwecklosen Widerstand einer kleinen deutschen Militärabteilung teuer bezahlen. Amerikanische Panzer rollen in den nächsten Tagen ununterbrochen durch das Dorf, und zwar sowohl in Richtung Betziesdorf als auch nach Kirchhain. Überall sind weggeworfene Waffen, Ausrüstungsgegenstände und Fahrzeuge der sich ungeordnet zurückziehenden deutschen Soldaten zu finden. Im Dorf selbst funktionieren wochenlang weder Licht- noch Kraftstrom, da alle Leitungen zerstört sind. Bahn- und Postverkehr ruhen ebenfalls und auch die Schule ist geschlossen.

Bürgerreporter:in:

Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain

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