Eine Karl May Ausstellung im Wilhelm Busch Museum, und Erinnerungen an die 1960er Jahre (Fotos Christel und Kurt Wolter)

Mit Karl May rund um die Welt. So sah sich der fantasievolle Schriftsteller selber.
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Fragt man heute ein Kind oder einen Jugendlichen, wer Karl May war, dann bekommt man nur ein Achselzucken als Antwort. Auch die Namen Winnetou oder Old Shatterhand sagen den meisten ebenfalls nichts. Vielleicht hat der eine oder andere zu den Weihnachtsfeiertagen schon mal einen Karl May Film im Fernsehen gesehen. Aber das sind wohl nur die allerwenigsten. So ändern sich also die Zeiten. Dafür kennt die heutige Jugend eben Anderes, mit dem wir Älteren nichts oder nur wenig anfangen können. Das ist also ganz natürlich. Doch wundert man sich schon ein wenig darüber, war doch Karl May aus unserer Jugendzeit und auch der Generationen davor, seit etwa 140 Jahren, nicht wegzudenken.

Es waren zu meiner Kinder- und Jugendzeit in den 1950er und 1960er Jahren nicht wenige, die sämtliche Karl May Bücher in ihrem Bücherregal stehen hatten. Bei mir und den anderen Kindern die ich kannte, waren diese Bücher ein beliebtes Geschenk bei Kindergeburtstagen. Und so hatten die meisten Kinder, die gelesen haben, neben den ebenfalls beliebten Schneider-Büchern so etliche Karl May Bücher in ihrer Sammlung. Allen voran natürlich Der Schatz im Silbersee, Unter Geiern, die Winnetoubände, Die Sklavenkarawane, Durch die Wüste und Durch das wilde Kurdistan. Das waren wohl die beliebtesten. Und wie haben wir diese Bücher damals verschlungen. Die Geschichten wurden von Karl May so spannend und packend erzählt, dass es schwierig war, mit dem Lesen aufzuhören. Und abends natürlich vorm Einschlafen unter der Bettdecke mit der Taschenlampe. Das kennt wohl jeder, der eine Leseratte war.

Und wie aufregend war es für mich, als ich im Alter von etwa 10 Jahren im Kino meinen ersten Karl May Film sah, natürlich noch in Schwarz-Weiß. Es war die Sklavenkarawane. Mitgespielt hatten damals zum Beispiel Viktor de Kowa und Georg Thomalla. Doch 1962 begann ein anderes Karl May Kapitel. Es war der Film Der Schatz im Silbersee, der in die Kinos kam und der der erfolgreichste, meistbesuchteste Film deutscher Sprache sein sollte, der je gedreht wurde. Und nun natürlich in Farbe. Das war sensationell. Doch dabei sollte es nicht bleiben, denn bald darauf folgten die Filme Winnetou I und Winnetou II. Das war der Beginn einer Serie von immerhin 17 Filmen.
Gesehen habe ich im Südtstädter Kino Esplanade in der Geibelstraße die meisten davon. Dann ließen die Filme so langsam nach, und auch ihr Erfolg. Doch bis dahin vergötterten wir unsere Helden. Mindestens so wie heutige Kinder oder Jugendliche ihre Popstars. Besonders Winnetou war es, den wir verehrten. Fast wie einen Übermenschen, und als solcher wurde er ja auch von Karl May dargestellt.
Wenn wir nach dem großen fast schon hysterischen Gedränge am Kinoeingang endlich auf unseren Plätzen saßen. Wenn das Licht gelöscht wurde und sich der rote Vorhang öffnete. Wenn das typische Constantin-Logo der Filmgesellschaft auf der Leinwand zu sehen war und kurz darauf Pierre Brice als Winnetou, von unten nach oben gefilmt, meist auf dem Rücken seines schwarzen Hengstes Iltschi, im Bild erschien, zu den schmachtenden Klängen von Martin Böttcher, dann waren die Mädchen verzückt und wir Jungs wie verzaubert. Diese edlen Gesichtszüge, die langen schwarzen blau schimmernden Haare, der lederne Anzug mit den bunten Verzierungen, die Bärenkrallenkette um den Hals. Die ganze Gestalt wie aus einem Guss, und wie sie großartiger nicht sein konnte. Und nicht weit hinter ihm auf unserer Ruhmesskala stand Old Shatterhand, der von Lex Barker so großartig verkörpert wurde, und der mit derselben eindrucksvollen Synchronstimme ausgestattet war wie später Sean Connery als James Bond. Er war ein ebenfalls grundanständiger Held, wie aus dem Bilderbuch. Stark, intelligent und immer auf der Seite des Guten. Das waren wahrhaft magische Momente für uns.
Und wie intensiv haben wir diese Filme erlebt. Wie freuten wir uns über unsere Helden, wie litten wir mit ihnen und wie wenig Mitleid hatten wir mit den bösen Schurken, zum Beispiel gespielt von Mario Adorf oder Klaus Kinski, die es am Ende des Filmes unweigerlich erwischen würde, die ihrer mehr als gerechten Strafe schließlich nicht entgehen konnten. Von Pfeilen gespickt, von Kugeln durchsiebt oder von einer Felswand abgestürzt in die senkrecht aufgestellten Speere der Indianer. Und niemand von uns konnte seine Tränen verbergen, als Winnetous Schwester Ntschotschi, in die sämltiche Jungs verliebt waren, vom Erzbösewicht Santer erschossen wurde, wie sie in den Armen von Old Shatterhand für immer die Augen schließen musste, und niemand schämte sich deswegen.
Und wie lachten wir mit Sam Hawkins, dem Ralf Wolter seinen ganz eigenen Charakter verlieh, wenn er seine Perücke abnahm, um sich an seiner skalpierten Glatze zu kratzen und sein berühmtes „hi, hi, hi“ verlauten ließ. Wie staunten wir über die großartigen Landschaften Jugoslawiens, die wir uns in späteren Jahren in Kroatien, auch wenn wir dem Fanalter längst entwachsen waren, mit eigenen Augen auch in Natura ansehen wollten. Den türkisblauen Silbersee in Plitvice mit den eindrucksvollen Wasserfällen und die wildschäumenden Kaskaden von Krka. Es waren Höhen und Tiefen, die wir da durchlebten, und die doch so viel Freude machten.
Einen einzigen Film aber, den habe ich mir nie angeschaut, konnte ihn einfach nicht ansehen. Natürlich weiß wohl jeder, welchen ich meine. Es war Winnetou III. Ging mir schon Kleki Petras Tod an die Nieren und erst recht der von Ntschotschi, so hätte ich es nie übers Herz bringen können mit anzusehen, wie ausgerechnet Winnetou, der edelste, der stärkste, der beste, der schönste, der mutigste und der großherzigste aller Indianer. Mit anderen Worten der Mensch, der alle positiven Eigenschaften die ein Mensch je nur haben kann in sich vereinigte, hinterrücks von Mörderhand gemeuchelt wurde. Das wäre zu viel für mich gewesen. Es waren jedenfalls wunderbare Momente in unserem damaligen Leben.

Und natürlich blickten von unseren Kinderzimmerwänden unsere Stars auf uns herab. Pierre Brice und Lex Barker und Marie Versini. Auch groß im Bravo-Starschnitt, den wir wochenlang gesammelt und aus einzelnen Teilen zusammengeklebt hatten. Die Jugendzeitschrift Bravo war es, die einen nicht unwestentlichen Anteil an diesem ganzen Karl May Kult hatte. Wir sammelten die Karl May Postkarten, hatten die Bildbände zu den Filmen und natürlich hatten wir auch die Schallplatten der großartigen Filmmusik von Martin Böttcher. Die Winnetou-Melodie, die Rieh-Melodie und erst recht die Old Shatterhand-Melodie, die lange Zeit in den Hitparaden auf dem ersten Platz stand. Auch durch diese wunderbare Musik wurden die Filme für uns unvergesslich.

Und natürlich spielten in den Filmen auch viele namenhafte Schauspieler der damaligen Zeit mit. Zu den schon genannten zählten zum Beispiel Götz George in jungen Jahren im Schatz im Silbersee, schon damals mit breiter Brust. Ebenso darin der kürzlich verstorbene Eddi Arendt als Lord Castlepool. Chris Hawland als Indianerfotograf in Winnetou I, und in Winnetou II ein junger italienischer Schauspieler namens Mario Girotti. Er sollte ein Jahrzehnt später ein weltbekannter Schauspieler werden. Es war kein anderer als Terence Hill. Nicht zu vergessen auch Heinz Erhard, der in Der Ölprinz einen Geistlichen spielte.
Bei den Frauenrollen waren es neben Marie Versini, die Winnetous Schwester spielte, zum Beispiel Karin Door als Ribanna, die eigentlich Winnetous Squa werden sollte, bevor sie höheren politischen Zielen geopfert werden musste, damit ein Friede zwischen Rot und Weiß geschlossen werden konnte. Dalia Lavi, die auch als Sängerin Karriere machte oder Dunja Reiter, die einst mit Les Humphries leiert war, und die ebenfalls in der Schlagerbranche zu Hause war.

Es waren jedenfalls wunderbare Momente in unserem damaligen Leben. Wenn ich heute ab und zu mal wieder in einen Karl May Film hineinschalte, dann muss ich über diese Naivität schon ein wenig schmunzeln, und ich schalte nach kurzer Zeit wieder ab. Doch damals waren es intensivste Gefühle, die wir durchlebten und die unser Leben so bereichert haben, und das war einfach nur schön.

Auch wenn heute meine vielen Karl May Bücher im Kellerregal verstauben und ich nur noch seltenst eines hervorhole, so interessiert mich das Thema Karl May doch immer noch. Allein aus nostalgischen Gründen. Und deswegen war ich mit meiner Frau natürlich auch in der Karl May Ausstellung im hannoverschen Wilhelm Busch Museum, wo wir uns einer Führung angeschlossen haben. “Mit Karl May rund um die Welt – Geschichte eines Mythos in Bild und Film“ lautet der Titel der Ausstellung, die noch bis zum 13. Oktober besucht werden kann, und zu der Pierre Brice auch selber gekommen war. Und es lohnt sich für alle Karl May Fans, oder die, die es einmal waren.
Zunächst wurde in einem kurzen Abriss Karl Mays Leben behandelt. Dass er ein erzählerisches Genie, aber auch ein Hochstapler war, ist wohl allgemein bekannt, gab er doch unter anderem vor, die beschriebenen Länder bereist zu haben und selber Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi gewesen zu sein. Auch dichtete er sich einen Professorentitel an, den er Zeit seines Lebens, sogar vor Gericht, vehement verteidigte. Dazu kamen noch diverse, allerdings eher kleine, kriminelle Verfehlungen, deretwegen er aber längere Zeit im Gefängnis saß. Dort hatte er alle Zeit zum Schreiben.
Einen großen Raum der Ausstellung und des Vortrages nahmen die Illustrationen verschiedener Künstler zu verschiedenen Zeiten ein. Sie schufen die Bilder zu den Buchdeckeln, von denen uns die grünen mit den Goldrändern und die Taschenbücher wohl am vertrautesten sind. Früher gab es aber auch blaue Bände, oder auch andere mit sehr eigenwilligen Titelbildern, auf denen nackte Männer vor fantastischen Kulissen, die eigentlich so gar nichts mit dem Inhalt zu tun hatten, posierten. Sie waren wenig erfolgreich und wurden darauf auch bald wieder eingestellt. Mit am schönsten sind die Illustrationen eines tschechischen Malers, der seinen ganz eigenen Stil kreierte. Die Bücher wurden in über 120 Sprachen übersetzt, und über 200 Millionen Mal verkauft, womit der Autor zu den erfolgreichsten seiner Art gehört. So richtig populär wurde Karl May aber in unseren Nachbarländern. In Österreich, der Schweiz, Holland, Polen und Tschechien wurde er besonders viel gelesen, und auch die Filme wurden dort ein großer Erfolg. In der DDR fiel der Schriftsteller unter die Zenszur. Er passte nicht ins ideologische Weltbild der Politoberen, wurde ihm doch Rassismus nahegelegt. Doch natürlich wurde er auch dort gelesen. Die Bravos allerdings, die ich nach drüben zu meinen Verwandten schickte, kamen dort nie an. Doch immer mehr Bürger protestierten gegen dieses Leseverbot, und so wurde dieses 1982 schließlich aufgehoben. Und die Filme kamen dann ebenfalls in die Kinos und erlebten dort eine Renaissance.

Zum Ende der Ausstellung wurden dann auch die Filme behandelt. Nach dem Krieg lag die deutsche Filmindustrie am Boden. Einen ersten Aufschwung erlebte sie mit den Edgar Wallace Filmen. Doch dann kam der Filmproduzent Horst Wendlandt auf die Idee, es mal mit Karl May Filmen zu versuchen. Und die schlugen ein wie eine Bombe. Der Schatz im Silbersee und die nachfolgenden Karl May Filme gehörten nach dem Krieg zu den erfolgreichsten deutschen Filmen überhaupt. Genaue Zahlen waren damals noch nicht bekannt. Aber geschätzt wurde die Besucherzahl auf etwa 16 Millionen. Zum Vergleich: Der erfolgreichste Film der neueren Zeit, seit 1970, ist Der Schuh des Manitu mit knapp 11 Millionen Besuchern. Und natürlich war es damals ein absoluter Knaller, dafür einen Hollywoodstar engagieren zu können. Lex Barker war ja aus den Tarzan-Filmen bekannt. Und nun spielte er in einer deutschen Produktion. Das war schon sensationell. Für den Winnetou musste ein völlig unbekannter französischer Schauspieler namens Pierre Brice herhalten. Und der weigerte sich zunächst einmal, dachte er doch, er solle einen bedeutungslosen Indianer spielen, denn diese hatten in Hollywoodfilmen fast immer ein schlechtes Image. Doch sein Manager konnte ihn schließlich überreden, und dann wurde der edle Häuptling der Apachen zu seiner Paraderolle, zur Rolle seines Lebens. Pierre Brice wurde zum Berufswinnetou, und das sollte er Zeit seines Lebens bleiben. Auch später auf der Naturbühne in Bad Segeberg. Erst mit den späteren Karl May Filmen verebbte diese Kultwelle so langsam, und sie wurden schließlich eingestellt.

Auch wenn man nicht sagen kann, dass Karl May zu den anspruchsvollen Schriftstellern zählt, so ist er doch einer der erfolgreichsten gewesen. Und ihm gelang es kaum wie einem anderen, Geschichten aus fernen Ländern, damals aus Ländern unserer Sehnsüchte, so packend und fesselnd zu erzählen. Karl May hat unseren Generationen in Büchern und in Filmen, auch wenn diese ziemlich frei nacherzählt wurden, so viel Freude gemacht, dass er damit einen Teil unserer Kinder- und Jugendzeit prägte. Heute wird er kaum noch gedruckt. Höchstens Der Schatz im Silbersee oder Unter Geiern ist in Buchläden noch zu finden. Doch damals war er aus unserem Leben nicht wegzudenken.

Bürgerreporter:in:

Kurt Wolter aus Hannover-Bemerode-Kirchrode-Wülferode

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