Ehemaliger Bürgermeister Gersthofens wird mit einem Stolperstein geehrt: Johann Baptist Sturm

18. Juli 2022
14:30 - 15:30 Uhr
Friedrich Ebert Strasse 1, 86368 Gersthofen
Johann Sturm mit Mutter Anna Maria und Schwester Berta
9Bilder

Am 18. Juli erfolgt in Gersthofen ab 14.30 Uhr die 4. Stolpersteinverlegung. Die Stolpersteininitiative möchte die einzelnen Personen, die Opfer des Naziterrors geworden sind, jeweils vorstellen. 

Johann Baptist Sturm, geb. am 20.Januar 1891 in Straubing, verst. am 21. Juni 1956 in Gersthofen, Bürgermeister in Gersthofen vom 22. Mai 1945 bis zum 31. Januar 1946, während der Nazizeit aus politischen Gründen mehrfach inhaftiert. Letzter freier Wohnsitz Fritz Ebertstr. 1 (heute Friedrich Ebertstraße 1)

Familie
Johann Baptist Sturm ist der Sohn des Straubinger Schuhmachermeisters Johann Baptist Sturm (geb. 1866) und seiner Ehefrau Maria Sturm geb. Babl (geb. 1869). Seine Schwester Berta ist zwei Jahre älter. Die jüngeren Geschwister Alois Edmund (geb. 1897) und Maximiliana Katharina (geb. 1899) sind beide in München geboren. Die Ehe ihrer Eltern wird im Dezember 1900 „aus Verschulden des Johann Baptist Sturm“ rechtskräftig geschieden.
Aus- und Fortbildung
Johann besucht in Straubing die Volksschule und danach die dreiklassige Fortbildungsschule. Anschließend absolviert er eine dreijährige Lehrzeit bei einer Kunst- und Bauschlosserei in Straubing, später arbeitet er bei der Hofschlosserei Josef Mitterer & Sohn bis Anfang März 1908.
Auf Wanderschaft in Wien, München, Augsburg
Um seine Kenntnisse zu komplettieren, begibt er sich auf Wanderschaft durch Südbayern und Österreich. In Wien arbeitet Johann 1909/1910 als Schlossergehilfe zur „vollsten Zufriedenheit“ des Geschäftsinhabers. Dann arbeitet er in München in der Hofschlosserei Buschmann bis Ende Februar 1911. Wiederum erhält er beste Zeugnisse. „Fleiß, Betragen und Leistungen“ seien zur „vollsten Zufriedenheit des Inhabers“. Es verschlägt ihn auf der Wanderschaft nach Augsburg, wo er März 1911 bei der Firma Hausbrendel (Wilhelm Zeuner’s Nachfolger), später bekannt als Firma Stärker eine Anstellung findet. Auch hier ist man mit Johann Sturm hoch zufrieden. Im Oktober 1911 wird er zum Wehrdienst eingezogen.
Einberufung zum Wehrdienst
Beim 4. Feldartillerie Regiment Augsburg arbeitet Johann als Schlosser und wird zum Gefreiten mit Unteroffiziersdienst befördert und im Oktober 1913 aus dem Wehrdienst entlassen.
Anstellung in Gersthofen bei den Farbwerken Hoechst
Dank seiner Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit findet er ab 18. Oktober 1913 Anstellung bei den Farbwerken Hoechst in Gersthofen (vormals Meister Lucius und Brüning) als Elektriker.
Johann ist ein attraktiver junger Mann, hat schwarze Haare und braune Augen, ist untersetzt, ca. 1, 68 cm groß und verfügt über eine ganze Menge Charme, Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen. Seine niederbayerische Herkunft kann er nicht verleugnen. Auf dem rechten Unterarm hat er die Buchstaben seines Namen HS eintätowiert.
Einzug zum Kriegsdienst, Kriegsverletzung
Am 3. Februar 1916 wird Johann in einem Gefecht schwer verwundet und wird an der Bauchspeicheldrüse verletzt. Sein ganzes Leben lang muss er sich täglich zweimal mit Insulin spritzen.
Im Mai 1916 wird Johann vom Militärdienst freigestellt und zur „Arbeitsdienstleistung“ zu den Farbwerken Gersthofen entlassen. Seit 1922 ist Johann Mitglied der Naturfreunde und Mitbegründer der Siedlungsgenossenschaft Gersthofen.
Karriere als Funktionär der Gewerkschaft der Fabrikarbeiter Deutschlands
Für die Farbwerke Hoechst bleibt Johann fast 8 Jahre tätig. Sein Engagement, Arbeitseifer und Organisationstalent haben sich herumgesprochen, er wird ab September 1924 Geschäftsführer beim Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands bei der Zahlstelle Augsburg.
Dort ist er für die gesamte Verwaltung, das Kassenwesen, Lohnbewegung und Rechtsberatung zuständig. Er vertritt die Fabrikarbeiter vor Gerichten und Behörden. Im Rahmen seiner Ausbildung besucht Johann Kurse in München, Nürnberg, Hannover, unternimmt Studienreisen nach Holland und England, nach Frankreich, Nordafrika und die Schweiz, ins Rhein- und Ruhrgebiet.
Heirat und Familie
Am 21. Juli 1917 heiratet Johann in Gersthofen die um 4 Jahre jüngere Theresia Fleischner aus Burgheim. 1918 wird ihr erster Sohn Johann jun., 12 Jahre später sein Bruder Hermann geboren. Die Familie wohnt in der Ludwig-Hermann-Straße 39, dann zieht die Familie 1925 in ein Siedlerhaus in der heutigen Friedrich Ebertstraße 1.
Gemeinsam mit Georg Braunmüller und Leonhard Schön hat Johann Sturm 1922 die Heimstätten-Siedlung gegründet und ist deren Geschäftsführer.
Die Idee ist, dass die Mitglieder sich gegenseitig beim Hausbau unterstützen. Die Grundstücke und Reihenfolge des Baus der Häuser werden verlost. Jeder hilft jedem lautet die Devise. Johann Sturm ist der Organisator und Geldbeschaffer. Insgesamt sind 30 Familien Gründungsmitglieder, später kommen weitere Personen hinzu. Alle bauen in der Ludwig-Hermann-Straße, in der Jahnstraße und in der Fritz-Ebertstraße. Dank ihrer Solidarität kommen sämtliche Familien zu Hausbesitz.

Mitgliedschaft in der SPD

Sehr früh engagiert sich Johann Sturm nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches in der jungen Weimarer Republik in der Sozialdemokratie. Sein ganzes Leben bleibt er dieser Partei eng verbunden. Von 1919 bis zur Machtergreifung der Nazis 1933 ist er Mitglied des Bezirkstages und als Vertreter der SPD im Gemeinderat des Marktes Gersthofen.
Verfolgung und Inhaftierung nach der Machtergreifung durch die Nazis
Ab der Machtergreifung am 30. Januar 1933 betreiben die Nazis reichsweit das Verbot der KPD, die Gleichschaltung der Länder und der Gesellschaft, Zerschlagung der Gewerkschaften und Auflösung der Parteien. Johann Sturm wird sämtlicher Ämter enthoben und kommt am 10. März 1933 in Schutzhaft, zuerst ins „Gersthofer Haftlokal“, dann in den Augsburger Katzenstadel.
Johann Sturm wird überraschenderweise am 26. April 1933 aus der Schutzhaft entlassen, kommt aber am 2.5.1933 erneut bis Ende Juni 1933 in Haft. Für die Nazis war entscheidend, die lokalen Funktionsträger der KPD und der Sozialdemokraten mittel- und langfristig aus dem öffentlichen Leben auszuschalten, zu kontrollieren, einzuschüchtern und gegebenenfalls im KZ ihren Willen zu brechen.

Leben im Nationalsozialismus – Kampf ums Überleben der Familie

Johann verliert noch während seiner Haftzeit seine Arbeitsstelle als Gewerkschaftssekretär. Seine Ersparnisse werden ebenso beschlagnahmt wie Bücher und Briefschaften.
Verzweifelt versucht er, den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, was durch die Nazis enorm erschwert wird. Zuerst versucht er sich als Viehhändler, dann als Versicherungsvertreter, später im Zeitschriftenvertrieb. Dann bekommt er die Zusage, als Karteiführer beim Fliegerhorst Gablingen arbeiten zu können, aber die NSDAP verbietet seine Anstellung. Nun bemüht er sich um eine Verkaufsstelle für Brot, Fleisch, Wurstwaren von der Gemeinde erhalten, erfolglos. Sein Antrag auf Genehmigung einer Verkaufsstelle für Baumaterialien wird abgelehnt.
Johann Sturm ist ein unermüdlicher Kämpfer. Ab dem Frühjahr 1938 agiert er als selbstständiger Unternehmer. Er meldet ein Patent für eine elektrische ruß- und staubfreie Ofenreinigung an. Auf höhere Anweisung muss er auch diese Arbeit aufgeben, er ist kein gelernter Hafner und müsste eine Meisterprüfung ablegen. Über Wasser halten kann sich die Familie dank der Mithilfe seiner Ehefrau Therese, die bei den örtlichen Bauern arbeitet. Erst ab 20. Juni 1938 kann Johann Baptist Sturm wieder ein regelmäßiges Einkommen als Busschaffner bei den Gersthofer Busbetrieben nachweisen.

Unter Observation der Nationalsozialisten

Johann Sturm steht nach seiner Entlassung aus der Schutzhaft unter permanenter Kontrolle der NSDAP und der Gestapo. Weil er nun bei der Gemeinde Gersthofen als Omnibusschaffner angestellt ist, muss er sich aber nicht mehr der Demütigung aussetzen, sich wöchentlich zweimal bei der örtlichen Polizeistation melden zu müssen.
In einem Dossier der Ortsgruppe der NSDAP an die Gauleitung von 1938 ist Johann Sturm neben 11 weiteren Personen als Gegner des Nationalsozialismus aufgeführt. Es sind dies:
Meitinger Johann, Schlund Johann, Inhofer Johann; Wanner Leonhard und Kottmair Georg, Steber Xaver, Paulus Josef , Hesse Raimund, Utz Johann, Sturm Johann; Wagner Peter und Hampp Anton. Über sie heißt es im Dossier: „Die sämtlich aufgeführten Personen stehen politisch nicht auf unserem Boden. Ihre weltanschauliche Einstellung ist dem Nationalsozialismus völlig fern, tun auch nichts dergleichen, sich anzupassen. Sämtliche stehen unter Kontrolle der Gendarmerie und sind auch der Geheimen Staatspolizei gemeldet“.

Erneute Einberufung zur Wehrmacht ?

Am 8. Dezember 1943 erhält Johann Sturm einen Wehrpass. Er ist gemustert worden, trotz seiner mittlerweile 52 Jahre! Nach der Katastrophe von Stalingrad rekrutieren die Nazis jeden verfügbaren Mann. Er gilt als „arbeitsfähig“ und wird dem Landsturm II zugeteilt. Infolge eines ärztlichen Attestes kommt es glücklicherweise nicht mehr dazu, dass er Kriegsdienst an der „Heimatfront“ ableisten muss.

Johann Sturm als Bürgermeister des Marktes Gersthofen

Am 28. April 1945 rücken amerikanische Kampfverbände von der Ludwig- Hermann Straße kommend in Gersthofen ein. Die Stadt wird durch den Privatier Thomas Dembinski und Dr. Neussel an die US-Amerikaner übergeben, Bürgermeister Georg Wendler ist „nicht auffindbar“. Erst am Abend des gleichen Tages erfolgte die offizielle Übergabe der Stadt durch den NSDAP-Amtsträger Georg Wendler. Die Militärregierung inhaftiert Wendler für 3 1/2 Jahre in diversen Lagern. Die Besatzungsmacht setzt den ehemaligen Polizeimeister und Nazi Schäffner als kommissarischen Bürgermeister ein. Eine fatale Fehlleistung!
Am 21. Mai wird Johann Sturm wegen seiner Integrität und Gegnerschaft zum Nationalsozialismus von den Besatzungstruppen zum ersten Bürgermeister der Gemeinde ernannt und bleibt bis zum 31.Januar 1946 im Amt.
Gemeinsam mit der Besatzungsmacht organisiert Johann Sturm die Behebung der Bombardierungsschäden, die Wiederherstellung der Infrastruktur, der Post- und Verkehrswege sowie die Unterbringung der Evakuierten, eine Aufgabe, die viel Fingerspitzengefühl und Pragmatismus erfordert. Die Besatzungsmacht requiriert zudem zahleiche der schönsten Häuser für die Dauer ihres Aufenthaltes in Gersthofen.

Wirken als Gemeinderat nach dem 1.2.1946.

Ab 1. Februar folgt ihm Josef Scheifele, seit 6.1.1946 Ortsvorsitzender der CSU im Bürgermeisteramt. Die ersten demokratischen Kommunalwahlen hatten in Gersthofen am 27. Januar 1946 bzw. in anderen Kommunen im April 1946 stattgefunden. Johann Sturm verbleibt bis zu seinem Tod am 20. Januar 1956 Mitglied im Gemeinderat des Marktes Gersthofen und wird kontinuierlich mit den meisten Stimmen sowohl in den Gemeinderat als auch in den Kreisrat gewählt. Er bleibt bis zu seinem Tod der weitaus beliebteste Politiker in Gersthofen.

Aufgabenfelder Johann Sturms nach dem II. Weltkrieg

Johann Sturm ist auch nach dem II. Weltkrieg wieder als Omnibusschaffner tätig. Gleichzeitig ist er Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Konsumgenossenschaft Augsburg. Die Bürger Gersthofen haben ihm stets ihr Vertrauen ausgesprochen und seinen einzigartigen, vorbildlichen Einsatz für das Allgemeinwohl honoriert.
Johann Sturm war in ein herausragender, mutiger und auf Integration bedachter Bürger Gersthofens, der immer da war, wenn man ihn rief.
Unklar bleibt, weshalb er sich 1952 nicht für das Bürgermeisteramt aufstellen lässt. Er wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von den Bürgern gewählt worden. Die SPD benennt stattdessen Georg Wendler zu ihrem Kandidaten. Johann Sturm drängt sich nicht vor, er schlägt als 2. Bürgermeister seinen Kollegen Anton Almer vor.

Tod Johann Baptist Sturms

Johann Sturm verstirbt am 20. Juni 1956 abends im Alter 65 ½ Jahren. Es hat nahezu symbolischen Charakter, dass sein Tod kurz nach Erreichen der Pensionsgrenze fällt. Umtriebig und rastlos wie er war, konnte er sich ein Leben im Ruhestand eigentlich nicht vorstellen.

"Entschädigung" für Verfolgung und Verlust an beruflichem Fortkommen

Johann Baptist Sturm erhält vom bayerischen Landesentschädigungsamt 9 Jahre nach Beendigung der Terrorherrschaft für seine 3 Monate Haft inklusive Folter, Erniedrigung und Todesangst einen Betrag von 450 DM.
Seine Witwe Therese erhält 12 Jahre nach Beendigung des II. Weltkrieges und 8 Jahre nach Antragstellung als Entschädigung für das entgangene berufliche Fortkommen von Johann Baptist Sturm, Arbeitslosigkeit und entgangene Einzahlung in die Rentenkasse einen Betrag von 7100 DM vom Bayerischen Landesentschädigungsamt ausbezahlt.

Wir wollen an Johann Baptist Sturm mit einem Stolperstein und dieser Biografie erinnern.

Ein großer Dank geht an die Familie, die mir Zugang zu ihrem Archiv gewährte und mir sämtliche wichtigen Unterlagen zugänglich gemacht hat. 

© Biografie erstellt von Dr. Bernhard Lehmann, Gegen Vergessen-Für Demokratie, RAG Augsburg-Schwaben bernhard.lehmann@gmx.de
Eine ausführliche Biografie des Autors findet sich unter www.stolpersteine-gersthofen.de und unter https://gedenkbuch-augsburg.de/biography/johann-ba...
Alle Rechte beim Verfasser
 

Bürgerreporter:in:

Dr. Bernhard Lehmann aus Gersthofen

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