Worte an Wänden - Gedanken zum Evangelium des 2. Advents

Erinnern Sie sich noch an den Song "Sound of Silence" von Simon und Garfunkel aus dem Jahr 1964? Als ich geboren wurde, war er schon ein Klassiker. Eine Zeile darin hat mich immer schon angesprochen. Frei übersetzt lautet sie: "Die Worte der Propheten stehen geschrieben an den U-Bahnen-Wänden und auf den Fluren der Mietshäuser." Jedes Mal, wenn das Evangelium vom ersten Auftreten des Täufers gelesen wird, kommt mir diese Zeile wieder in den Sinn.
Die Worte des Propheten, die vom Herrn reden und zur Umkehr mahnen, sie sind nicht auf dem Marktplatz in Jerusalem zu hören. Johannes bittet nicht um eine Audienz bei König Herodes oder dem römischen Statthalter, um sie und ihre Berater auf die Dringlichkeit seiner Botschaft aufmerksam zu machen. Und auch die Hohenpriester, die in einem Atemzug mit den Machthabern genannt werden und die ja die ersten Ansprechpartner in religiösen Angelegenheiten wären, bekommen erst einmal nichts davon mit, dass ein neuer Prophet aufgetaucht ist. Noch dazu einer, der nicht meckert und anklagt oder Unheil voraussagt. Seine Botschaft lautet "Alle werden das Heil Gottes sehen." Doch Johannes ruft seine Worte draußen am Jordan aus, dort wo sie Gefahr laufen, ungehört zu verhallen. Wer soll denn da auf ihn aufmerksam werden? Das ist wie wenn man eine Heilsbotschaft auf eine verschmierte U-Bahn-Wand schreibt, an der zwar täglich tausende vorbei ziehen, die aber so sehr mit sich und mit ihren Angelegenheiten beschäftigt sind, dass sie keinen Sinn für das Geschriebene haben. Tausendmal gehen sie daran vorbei. Tausendmal nehmen sie nichts davon war. Und wer liest noch das Geschmier unten im Eingangsbereich des Hauses, wo die Briefkästen sind? Wer rechnet schon damit, dass da ein Wort dabei sein könnte, das ihm bestimmt ist. Propheten, sie treten nicht dort in Erscheinung, wo man sie erwartet. Sie stehen da, wo sie gebraucht werden. Und wer sich ansprechen lässt, der ist gemeint. Für den ist die Botschaft des Propheten bestimmt. Alle anderen haben wohl ihre eigenen Hoffnungsboten und Heilsbringer.

Wenn ich in der Schule den Themenbereich behandelt habe, bei dem es unter anderem um Propheten ging, fragten mich die Schüler immer, ob es noch heute Propheten gibt? Ja, davon bin ich überzeugt. Vielleicht ist es ja einer, der immer an derselben Ecke zu finden ist und schreit - und den keiner so richtig ernst nimmt. Vielleicht steht die Botschaft tatsächlich irgendwo auf den mit Graffiti beschmierten Wänden. Für mich aber ist das sicherste Zeichen dafür, dass man es mit einem Propheten zu tun hat, dass seine Botschaft "Umkehr" lautet, umdenken, nicht weitermachen können, wie bisher. Ein Prophet, das muss nicht einmal ein Mensch sein. Das Zweite Vatikanische Konzil hat dafür eine schöne Formel gefunden: "Die Zeichen der Zeit." Kirche soll die Zeichen der Zeit erkennen und im Licht des Evangeliums deuten, heißt es da. Die Zeichen unserer Zeit drängen sich geradezu auf. Sie stehen uns so aufdringlich grell vor Augen, wie ein Neon-Graffiti. Sie dröhnen so sehr in unseren Ohren, dass es schwer ist, wegzuhören.

Die Pandemie ist so ein Zeichen der Zeit. Und ihr Verlauf deckt so manches auf, was schon vorher da war: Spaltung, Ängste, Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Aber auch die unsägliche Haltlosigkeit einer Gesellschaft, die sich vom Wollen und vom Haben her definiert. Wir haben alles - und doch haben wir nichts, was uns trägt. Ein unangenehmer Prophet, der uns überdeutlich zeigt, dass Umkehr nicht halbherzig geht - also nur, so lange man muss. Umkehr heißt vielmehr, von sich weg zu gehen, um auch den anderen zu sehen. Der Klimawandel ist ein Zeichen der Zeit, ein Prophet, der mit Wetterextremen und Katastrophen mahnt und warnt. Es geht nicht beides: Expandieren um jeden Preis, Konsumieren bis zum Gehtnichtmehr, Gewinne maximieren, Preise drücken UND gleichzeitig die Schöpfung bewahren. Letztendlich stellt dieser Prophet die Fragen: Wie wollt ihr in Zukunft leben? Und tut euch das gut? Und sogar in der Situation der Kirche erkenne ich ein Zeichen der Zeit. Ein Prophet der schreit: Besinnt euch endlich wieder auf das Wesentliche! Verkündet das Evangelium! Und fragt euch selbst, was dem im Weg steht. Und wenn es um Weg steht, kehrt um!

Es gibt keine Umkehr ohne Verzicht. Es gibt keinen Neuanfang, ohne etwas zurückzulassen. Es gibt keine Rücksicht auf andere, ohne selbst zurückstecken zu müssen. Doch selbst der unangenehmste Prophet hat doch nur die eine Aufgabe: Den Menschen einen Weg zu zeigen, wie ihr Leben mit Gottes Hilfe gelingen kann. Natürlich ist es der einfachere und naheliegendere Weg, alles so zu machen, wie man es immer schon gemacht hat, oder so schnell wie möglich in sein altes Leben zurückkehren zu wollen und nicht mehr an all das denken zu müssen, was mich zuinnerst erschüttert hat. Aber was, wenn das Leben, das wir bisher geführt haben, gar nicht gut für uns ist? Darum ist die Botschaft des Johannes auch nicht: Macht es euch leicht! Wenn sich Berge senken und Schluchten aufgefüllt werden, dann heißt das Bestehendes hinterfragen, Verkehrtes umkrempeln, sich neu orientieren und sich trauen, neu zu beginnen.

Bürgerreporter:in:

Markus Dörre aus Gersthofen

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