Schon jetzt an Versöhnung denken

Es ist Krieg. Einerseits bin ich - wie wohl die meisten Menschen - fassungslos darüber, mit welcher Hartherzigkeit und mit welcher Menschenverachtung der russische Präsident bereit ist, das ukrainische Volk und seine eigenen Soldaten in den Tod zu schicken. Andererseits bin ich beeindruckt davon, wie sehr der Krieg die Menschen bewegt und zusammenführt, die sich Frieden und Freiheit wünschen.
Nun sind wir ja in den vergangenen Jahren öfter Zeugen von Kriegen geworden. Leider. Dieses Mal trifft uns jedoch das Gefühl machtlos zu sein mit voller Härte. Viele fragen sich, wer den Kriegstreiber zur Umkehr führen und was den Krieg beenden kann. Neulich aber kam mir ein seltsamer Gedanke, der mich zugleich fasziniert und mir im selben Augenblick einen Schauer über den Rücken laufen lässt. Verglichen mit den früheren Kriegen, ist es ist ein anderer Krieg, den wir erleben. Es hat den Anschein, jede und jeder wäre irgendwie mit beteiligt und könnte seinen Beitrag zum Krieg leisten, gerade so, als würden wir im Augenblick alle Krieg führen; die einen, indem sie auf die Straße gehen, die nächsten durch den Boykott bestimmter Produkte, andere durch die Verbreitung von Bildern und  Nachrichten über die Sozialen Medien und wieder andere, indem sie Energie sparen. Friedliche Waffen, so möchte ich diese Versuche nennen. All das ist mehr als nur Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit. Ich sehe darin zugleich den Wunsch, aktiv zu verteidigen, was uns seit dem 2. Weltkrieg an Werten wichtig geworden ist und einen langen Frieden gesichert hat. Und das mit anderen Mitteln als der, der den Krieg gebracht hat.
Gleichzeitig erschauere ich vor dem Gedanken, denn Krieg führen will ich nicht! Krieg ist immer schon eine Niederlage der Menschlichkeit - egal wer ihn gewinnt. Krieg bringt die schlechtesten Seiten von Menschen zum Vorschein, lässt Menschenleben zur Sache werden. Ich aber wünsche mir, dass gleichzeitig die Konsequenzen mitgedacht werden, die unser Tun für andere hat. Ich sehe zwar keinen anderen Weg, aber auch Boykott und Sanktionen treffen trotzdem zuerst Unschuldige. Zudem bin ich in Sorge darüber, dass wir uns zum Hass hinreißen lassen und pauschal ein ganzes Volk für die Verbrechen seiner Regierung verantwortlich machen. Übersehen wir doch die nicht, die auch in Russland auf die Straße gehen und gegen den Krieg demonstrieren und dabei ihre Freiheit aufs Spiel setzen! Und nicht zuletzt möchte ich mich nicht damit abfinden, dass Menschen durch Waffengewalt sterben – egal auf welcher Seite – möchte nicht abstumpfen gegenüber dem sinnlosen Sterben und es niemals als notwendiges Übel in Kauf nehmen oder gar als bedauernswerten „Kollateralschaden“ sehen. Die Opferzahlen beziffern nicht nur Tote, sondern Schicksale ganzer Familien.
Ohne Frage: Im Augenblick ist baldiger Friede das oberste Ziel. Trotzdem sollten wir auch jetzt schon weiterdenken. Denn auch Friede bleibt brüchig, wenn ihm nicht Versöhnung folgt. Wie tief müssen der Hass und die Verachtung sein, wenn sich selbst hier in Deutschland russische und ukrainische Schüler gegenseitig beschimpfen? Oder wenn Familien gespaltet werden, weil die eine Hälfte der Verwandtschaft dem einen Volk, die andere dem anderen angehört? Oder wenn es Übergriffe auf russischstämmige Bürger gibt, die hier seit Jahrzehnten leben und wirklich nichts dafür können? Diese Wunden, das verlorene Vertrauen, die Wut und die gegenseitigen Vorbehalte können der Nährboden für neue Konflikte sein. Umso wichtiger ist es, darüber nachzudenken, wie die Gräben in den Köpfen und Herzen wieder aufgefüllt und überwunden werden können.
Beten daher nicht nur um den Frieden, sondern schon jetzt um die Bereitschaft aller zur Versöhnung.

Bürgerreporter:in:

Markus Dörre aus Gersthofen

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