436. Pfingstmarkt in Frankenberg: Mein Eindruck von ersten Abend - Feuerwerk!

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Ich will unbedingt zum Pfingstmarkt-Feuerwerk.

Ich habe es bisher immer nur aus der Ferne gesehen, dieses Mal will ich bei dieser angekündigten Superlative um 22.30 Uhr live dabei sein und Fotos machen. Und wenn ich dann schon da bin, will ich auch auf dem Pfingstmarkt gucken und auch da vielleicht ein paar Schnappschüsse machen.

Ich habe für drei Euro auf der Wiese geparkt und bin im Stockdunkeln Richtung Pfingstmarkt gelaufen. Leider habe ich keine Taschenlampe dabei. Außer mir stolpern noch viele andere im Dunkeln im Matsch herum. Warum können die Veranstalter den Parkplatz und Wegebereich für die drei dunklen Stunden nicht ausleuchten? Verlöre ich jetzt meine Schlüssel oder mein Handy, hätte ich ganz schön Pech. Selbst die Parkplatzeinweiser haben zwar so eine Art Positionslichter, damit man sie im Auto sitzend ausmachen kann. Aber alle anderen Leute, die da herumlaufen, sind – für meine Begriffe – hochgradig gefährdet. Aber ich freue mich auf das Licht- und Soundspektakel und will ja auch nicht pingelig sein.

Ich schaffe es bis kurz vor die Brücke zum Pfingstmarkt, ein Polizist bittet mich, schneller zu gehen und hinter die Absperrung zu kommen, da man diese wegen des Feuerwerks gleich schließen will. Ich stehe mit vielen unglaublich betrunkenen, rauchenden und streitenden jungen Leuten sehr eng beieinander. Jetzt eine Panik, denke ich, dann habe ich noch Glück, weil ich am Rand stehe und mich in Sicherheit bringen kann, wenn ich schnell genug bin. Positiv denken. Es ist dunkel, aber ich sehe zwei Polizisten, die haben sicherlich alles im Griff. Hunderte Leute hinter einer Absperrung aus Flatterband und nur zwei Polizisten. Aber hier sind ja alle friedlich und zum Feiern da. Alles easy.

Den Abschussbereich des Feuerwerks mache ich mitten auf der dunklen Wiese aus. Er wird zur Sicherheit der Zuschauer von der Polizei bewacht und großräumig abgesperrt und gesichert. Da könnte nicht mal eine Maus durch. Leute, die den Pfingstmarkt verlassen und zu ihren Autos gehen wollen, dürfen nicht mehr durch. Einen anderen Weg gibt es auch nicht. Pech gehabt. Warten! Aber in den Genuss eines Feuerwerkes kommt man ja nicht alle Tage.

Mit hunderten (tausenden?) von Menschen bin ich also freiwillig mehr oder weniger gefangen, um mir das Feuerwerk anzusehen.

Es beginnt um 22.37 und endet um 22.54, das sind 17 Minuten. Von dem angekündigten "neuartigen Musik-Feuerwerk", das einen"wahren Hochgenuss für alle Sinne" bieten soll, kann ich nichts wahrnehmen. Die Premiere des ersten Musik-Feuerwerks in Frankenberg soll mit der weltgrößten Musikleistung mit ca. 1.000.000 Watt für das richtige Hörvergnügen und optimalen Sound sorgen. Der einzige Sound, den ich wahrnehme, sind die Explosionen der Leuchtkörper und das Geschrei der unglaublich vielen keinen Kinder, die viele Familien mitgebracht haben. Die armen Kinder, denke ich. Das ist hier viel zu laut, viel zu dunkel und viel zu voll. Die Kinder sollten eigentlich alle längst im Bett sein. Wie meine. Ich möchte nicht wissen, was bei einer Panik hier im Dunkeln passieren könnte. Nach dem Feuerwerk dauert es noch ein paar Minuten, bis der Polizist über Funk die Nachricht erhält, dass er die Absperrung wieder öffnen darf. Einige gehen Richtung Parkplatz, wenige sind so schlau und haben eine Taschenlampe dabei. Die Leute ohne Taschenlampe schließen sich ihnen an und freuen sich über eine halbwegs trittsichere Passage durch die Scherben.

Nachdem das – wie ich finde – recht dürftige Feuerwerk also herum ist und ich von der Musik nichts gehört habe, versuche ich, über die Brücke zum Pfingstmarkt zu kommen. Das wollen auch die vielen anderen lauten und zum Teil betrunkenen Leute. Tragen ihre Kinder jetzt auch noch in den Hexenkassel rein. Für die geschätzten 50 Meter über die Brücke brauche ich im Gedränge mindestens 15 Minuten. Ich habe Angst. Ich bin noch nie über so viele Scherben aus Gläsern und Flaschen gelaufen, und von der Brücke herunter sehe ich unten junge Leute, die sich im Dunkeln herumtreiben, rauchen, in die Büsche pinkeln streiten oder lachen. Was machen da unten?

Auf dem Festplatz zwischen den Ständen und Karussells treiben sich noch unglaublich viel mehr junge Leute herum, es ist fast nicht möglich, einen Platz auf den schnellen Karussells zu bekommen. Der Stärkste siegt, die Jüngeren oder Kleineren (was machen die hier überhaupt?) haben das Nachsehen. Ich sehe sehr viele Minderjährige, viele stark geschminkte und leicht bekleidete Mädels (meine hätten so nicht hier hin gedurft, egal zu welcher Uhrzeit), viele Halbstarke, gegelt, gestyled, obercool. Viele Nerd-Brillen, viele tiefe Ausschnitte. Ein Leichtes, die vielen Handtäschchen auszurauben.

Drei Freunde helfen dem vierten Freund wieder auf die Beine, nachdem er zusammengebrochen ist. Der kann gar nicht mehr stehen. Kollaps? Zu viel Alkohol? Da hinten prügeln sich zwei Kerle, hauen aber dauernd daneben, weil betrunken. Überall liegen Scherben. Zwei Mädchen, vielleicht zehn oder elf, versuchen auf das Karussell zu kommen. Nach dem vierten Versuch greift der dazugehörige Papa beherzt ein und schiebt ein paar freche Mädels beiseite, die noch nicht so lange warten, und hilft den Kleineren in die Sitze. Hinter dem Karussell kotzt einer. Die Chip-Einsammler der Karussell-Betreiber springen zwischen den Gondeln hin und her, fahren stehend mit, rauchen, kauen Kaugummi. Mir wäre das lästig, wenn ich im Karussell sitze und so ein Typ steht neben mir auf dem Trittbrett. Das Martinshorn der Krankenwagen ist unentwegt zu hören. Die Sanitäter sind im Dauereinsatz. Ich sehe überwiegend Jugendliche. Es ist ohrenbetäubend laut. Man kann nicht ein bestimmtes Ziel anpeilen, sondern man lässt sich mit den Menschenmassen treiben. Man kann auch nicht stehenbleiben, man wird geschoben, angerempelt, überrannt. Jeder ist sich hier selbst der nächste.

Was mache ich hier? Ich wollte eigentlich die bunten Lichter der Karussells fotografieren, fliegende Haare auf diesen Riesenmaschinen, in Sitze geschnallt, von Stahlbügeln zurückgehalten, kreischend und lachend. Ich fotografiere gerne bunte Lichter mit Effekten von Nebelmaschinen und Stroboskopen. Momentaufnahmen von Fröhlichkeit und Leichtigkeit. Unbeschwertheit und Glück. Kopfüber hoch oben, über Wasserfontainen und berauscht von Geschwindigkeit und Schwung. Lachende Kinder, leuchtende Augen, erstaunte Gesichter, Ausgelassenheit.

Was sehe ich? Angespannte Minen, entgleiste Gesichtszüge durch Trunkenheit und Übelkeit, affektiertes Lachen, müde Kleinkinder, coole Typen mit Begrüßungsritualen, Trauben von ABFFL (allerbeste Freundinnen fürs Leben) und suchende Gesichter. Ich rieche Pommes, Zigaretten, Alkohol, Schweiß, Bratwürste, Popcorn, Parfum und Crepe. Es ist furchtbar laut, weil sich jeder Schausteller mit Lautstärke überbietet, blitzende Lichter blenden, die Menschenmassen nehmen einem die Luft zum Atmen. Immer wieder das Martinshorn. Nasale Effekt-Ansagen der Karussell-DJs zwischen wummernden Bässen. Kreischende Mädchen. Ich treffe ein paar Bekannte. Reden geht nicht, ist zu laut.

Ich will nach Hause.

Ich habe Freunde getroffen, die mir ihre Taschenlampe ausleihen, weil sie selber mit dem Taxi nach Hause wollen. Ich leuchte mir den dunklen Weg zu meinem Auto, blende dabei kotzende, rauchende, rangelnde, müde, im Gras sitzende, knutschende, fummelnde, trinkende junge Leute, die im Taschenlampenlicht wie Zombies aussehen. Warum drücken sich die hier herum? Mein Auto steht zwischen anderen Autos auf der finsteren Wiese und ich denke, wenn mich jetzt einer anspringt, merkt das keiner. Schon von weitem drücke ich auf den Funk-Türöffner und sehe meine Rettungsinsel blinken.

Zuhause muss ich selbst die Feuerwerksbilder noch nachcolorieren, denn sie spiegeln meinen Eindruck des Abends wider: Nur Schein, statt Sein! Schade.

Bürgerreporter:in:

Dorothea Wagener aus Frankenberg (Eder)

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