Abendmahlsgottesdienst der Hessischen Volkskunstgilde e. V.

Die Frauen in ihren "stolzen" Abendmahlstrachten | Foto: Foto: Karl Weitzel
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  • Die Frauen in ihren "stolzen" Abendmahlstrachten
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Zu einem "außergewöhnlichen" Gottesdienst hatte die Hessische Volkskunstgilde in die Dorfkirche nach Rauschenberg-Ernsthausen eingeladen. Außergewöhnlich deshalb, weil die Gäste in der feierlichen schwarzen Abendmahlstracht zur Kirche schritten. Pfarrer Gernot Schulze-Wegener erwartete die Teilnehmer bereits am Kirchenportal. Passend zu den Kirchenbesuchern trug er den früher üblichen Talar und das weiße "Bäffchen". Auch über die alten Abendmahlsregeln und die dazugehörige Liturgie, welche bis ins Jahr 1967 Vorschrift gewesen ist, hatte sich der "Pärner" kundig gemacht und den Gottesdienst enstprechend gestaltet , damit die Gäste in der Marburger Evangelischen Abendmahlstracht das alte Ritual noch einmal erleben und spüren konnten.
Die Abendmahlstracht hatte im Leben einer Trachtenfrau einen ganz besonderen Stellenwert und war das Feierlichste überhaupt. Die 14-jährigen Mädchen trugen diese Kleidungsweise das erste Mal am Tag ihrer Konfirmation. Auch die Braut schritt in dieser stolzen Tracht zum Traualtar und oft wurde die Hochzeitskleidung dann zum Abendmahlsgewand. Die Trachtenträgerinnen hielten die Kleidungsstücke hierfür ganz besonders in Ehren. Diese Trachten wurden üblicherweise nur zwei- bis dreimal im Jahr getragen. Zum Abendmahl wurde in drei Altersgruppen eingeteilt: Zur ersten Gruppe gehörten Unverheiratete bis ca. zum 30. Lebensjahr, zur zweiten zählte man die jung Verheirateten sowie Personen bis zum Alter von ca. 50. Jahren, die dritte Gruppe stellten die älteren Gemeindemitglieder. Für jede dieser drei Gruppen gab es feste Tage im Jahr, an denen sie das Abendmahl einnahmen. Obwohl die Abendmahlskleidung immer schwarz gehalten war, konnte man doch an Hand von Stoffen, Besätzen und Accessoires Freud und Leid erkennen. Am deutlichsten bemerkte man es an der „Stirnkappe“ und der „Salvete“. Diese war ursprünglich dazu gedacht, sich nach dem Abendmahl die Lippen abzuwischen, wurde jedoch nie dazu verwendet. Sie diente lediglich als Zierde und zur Erinnerung an den Tag der Konfirmation, da man oftmals die Initialen und die Jahreszahl farblich hervorhob.
Auf den Kopf setzte man zu diesem Anlass über das schwarze Stülpchen die weiße, gestärkte Abendmahlshaube. Zum richtigen Aufsetzen dieser Haube musste immer eine zweite Person behilflich sein. Ebenso konnte diese Haube nur von bestimmten Frauen gewaschen und wieder gestärkt werden.
Vor der Jahrhundertwende, als der Haarschnatz noch näher zur Stirn hin aufgesteckt wurde, waren die Abendmahlshauben mit einem 7-8 cm breiten „buntgenähten“ Vorderteil versehen, d. h. mit prächtiger Weißstickerei verziert. Die Mädchen und jungen Frauen trugen solche Kappen. Später wurde es allgemein üblich, den Schnatz (Haarfrisur) eine handbreit weiter hinten zu tragen, so dass man die Hauben mit Spitze verlängerte.
Ab den 1920er Jahren kamen die alten Schößchenmotzen zum Abendmahl aus der Mode. Man trug jetzt schwarze Motzen nach dem allgemein üblichen Schnitt und besetzte sie mit schwarzer Blätterguimpe. Die Schürzen bestanden aus demselben Stoff und wurden identisch zum Motzen besetzt und die althergebrachten Bänderschürzen verschwanden in den Truhen. In einigen Dörfern wurde der schwarze Faltenrock weiterhin zum Abendmahlsgang angezogen. Vielerorts ging man jedoch auch zu Röcken über, die nur noch bis zur Hälfte in Falten gelegt waren. Grund hierfür war, dass man die Faltenröcke nach dem Gebrauch wieder sorgfältig in ihre Falten legen musste, was sehr zeitaufwendig war und viel Geduld in Anspruch nahm.
Auch bei den Tüchern wechselte man von den bestickten „Freud- und Leidtüchern“ zu gekauften schwarzen Seidentüchern mit Fransen, die aber noch auf die alte Art getragen wurden, d. h. sie wurden über die Schultern gelegt und nur vorne in den Motzen eingesteckt. Um ca. 1960 ersetzte man diese Schultertücher durch schwarze Tülltücher, unterlegte sie mit einem weißen Tuch und trug sie, wie jetzt üblich, unter dem Motzen.

Alle diese zu vor erwähnten Kleidungsformen konnte man anlässlich des von der Hessischen Volkskunstgilde initiierten Abendmahlsgottesdienstes in der Dorfkirche von Rauschenberg-Ernsthausen am Samstag sehen.
Angela Paulus (Heskem), Sabine Schmidt (Oberrosphe) und Kathrin Wallon (Dreihausen) trugen die Kleidungsweise mit Schößchenmotzen und Bänderschürze aus der Zeit um 1910.
Alle anderen Teilnehmerinnen trugen ebenfalls Original-Trachten aus der Zeit zwischen 1920 und 1960.
Marianne Obermann aus Josbach, geboren in Itzenhain, kam in der schwarzen Abendmahlstracht aus dem Gilserberger Hochland.
Auch die beiden Ernsthäuserinnen Heidi Debus und Marina Heinmöller nahmen an diesem besonderen Gottesdienst teil.
Weiterhin begrüßte die Volkskunstgilde Teilnehmer der Trachtengruppen aus Betziesdorf, Sterzhausen, Oberrosphe und Rüddingshausen.

Die Kleidung der Männer ist schon seit mehr als hundert Jahren die gleiche. So konnten man wählen zwischen dem schwarzen Kirchenrock mit Zylinder oder dem schwarzen Anzug mit Filzhut. Dazu gehörten eine schwarze Hose, eine Weste sowie ein weißes Hemd mit Halstuch oder Krawatte.

Leider hat auch in diesem Bereich innerhalb der letzten Jahrzehnte ein kultureller Wandel stattgefunden. Der besondere Stellenwert des Heiligen Abendmahls, mit seinen ursprünglichen Ritualen, ist bei vielen Menschen heute nicht mehr so intensiv wie bei unseren Vorfahren.

Foto 1, 3, 4 und 5 von Karl Weitzel, Stadtallendorf

Bürgerreporter:in:

Eckhard Hofmann aus Ebsdorfergrund

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