Mensch Viktor – Bekenntnisse eines „Stolperers“

Stolpern oder in etwas Hineinstolpern passiert vielen Menschen. Auch das macht Viktor Dubio, den Hauptdarsteller des neusten Stücks der Düsseldorfer Theaterkantine so sympathisch. Im Einpersonenstück erzählt Viktor verschiedene Episoden aus seinem Leben. Die Zuschauer sind dabei, wenn der kleine Viktor stolpert, sie erleben wie er beruflich und privat in Dinge hineinstolpert und sich erst in den Trümmern seines Lebens dafür entscheidet Verantwortung zu übernehmen. Gezeigt wird das Stück in der charmanten und liebevollen Atmosphäre, für die die Theaterkantine weit über Düsseldorf hinaus bekannt ist. Und natürlich gibt es nach dem Stück auch etwas zu essen – Viktors Freunde haben gekocht.

Bis 1960 produzierten die vereinigten Farbwerke in den alten Industriehallen an der Ronsdorfer Straße. Längst haben die alten Betriebe Platz gemacht für Architekten, Werber und Kulturschaffende. Aushängeschild des Industrieensembles ist aber ohne Zweifel die Theaterkantine. Die begann im alten Güterbahnhof Derendorf, war zwischenzeitlich auf dem Gelände der ehemaligen Reitzensteinkaserne zu Gast und hat in der frisch renovierten, historischen Industriehalle nun womöglich ihren dauerhaften Spielort gefunden. Aktuell zeigt das kleine Ensemble sechs verschiedene Stücke, darunter mit „Mensch Viktor“ die bisher neuste Produktion.

Das Erlebnis beginnt in der Theaterkantine schon bevor Viktor die Bühne im hundert Plätze fassenden Saal betritt. Da die meisten Gäste schon lange vorher Karten bestellen, da die Theaterkantine an dem allermeisten Abenden mit weitem Vorlauf ausgebucht ist, schreibt „Viktor“ seinen Gästen wenige Tage vor der Veranstaltung eine SMS mit Tipps zur Anreise und herzlichen Worten. Einmal angekommen, führen brennende Kerzen den Besucher vom Eingang die Treppe hinaus in einem liebevoll gestalteten Wintergarten. Dieser ist zwei Etagen hoch, geschmackvoll mit beleuchteten Pflanzen, dekorativen Tischen und liebevoll ausgewählten Accessoires eingerichtet. In zwei Richtungen ist die Wand der Halle aufgebrochen, sodass im Sommer ein frischer Windzug durch den Wintergarten weht – während das Dach vor Regen schützt. Mit farbenfroh gestrichenen Wänden, Sitzmöglichkeiten im Stil eines Wohnzimmers und aus alten Paletten professionell gezimmerten Tischen hat das kleine Foyer einen ähnlich stimmigen Charme. Überall gibt es etwas zu entdecken: Von Fotos der Darsteller auf einer Kommode über Kerzenleuchter aller Art bis hin zu mitten im Raum ausgestellten, dekorativen Scheiben – womöglich aus der Industrievergangenheit der Halle.

Nach der Ankunft werden die Gäste über die für sie reservierten Plätze informiert und zu einem Begrüßungsgetränk eingeladen. Mit dem ersten Getränk wird gleich darauf hingewiesen, dass man gerne nachschenkt. Auf den Tischen stehen kleine Teller mit Käsewürfeln, Oliven und Weintrauben. Wer mag kann die kleinen Köstlichkeiten genießen und mit der eigenen Begleitung oder den anderen Gästen ins Gespräch kommen. Schnell stellt man fest, dass viele nicht zum ersten Mal in der Theaterkantine sind. Neulinge lauschen gespannt den Tipps zu anderen Stücken und den Erzählungen der Besucher. Gegen 19:30 Uhr werden die Gäste zu klangvoller Jazzmusik in den Theatersaal gebeten. In dem sind die hundert Plätze mit Namensschildern versehen. Wasser und Wein stehen in jeder Sitzreihe. Da der Saal aufsteigend bestuhlt ist, kann man von allen Plätzen das Geschehen auf der Spielfläche vorne gut verfolgen. Dann kommt Viktor in den Raum. Er verspricht über das Leben zu reden und bezieht das Publikum ein. „Haben Sie immer die richtige Entscheidung im Leben getroffen?“, fragt er? „Haben Sie überhaupt Entscheidungen getroffen?“, legt er nach. Er selbst sei in die Dinge immer nur so hineingestolpert bekennt er und beginnt mit der ersten Geschichte aus dem Leben.

Die spielt in seiner Kindheit im Sauerland. Mit einer roten Clownsnase verwandelt sich der Schauspieler wahlweise in Viktor als Kind, in seine Großmutter und später in seine Mutter. Dabei dient die rote Nase je nach Rolle auch als Kinn, Kropf oder Muttermal. Das Publikum erfährt wie der misslungene Versuch bei Eis und Schnee Milch zu holen, mit einem Stolpern endet und weiße Milch in weißen Schnee sickert. Doch da Viktor das Stolpern nicht zugeben will, wird es schnell existenziell. Sogar die zehn Gebote und das Fegefeuer bemüht die Großmutter auf der Suche nach der Wahrheit. Die nächsten Geschichten spielen in der Schulzeit. Ob bei der Jagd um den Schulteich oder als Messdiener. Immer wieder bestimmt das Stolpern das Schicksal des Jungen. Und immer, wenn Viktor glaubt, seinen Platz im Leben gefunden zu haben, stolpert er wieder aus diesem heraus. So auch, als er von der Schule fliegt und spontan Kanalbauer wird. Und als er nach der Abendschule und einem Studium schließlich ein Ingenieurbüro eröffnet. Doch auch weiterhin bleibt das Stolpern die persönliche Note des Viktor Dubio.

Im Privaten geht es Viktor nicht anders. Bei einem Ball lernt er eine Frau kennen, doch die „ewige Liebe“ endet schnell. Und als Brunhild aus dem Tennisclub Viktor heiraten will, stolpert er in die Ehe. „Viktor, stell dich nicht so an“, sagt er zu sich selbst. Doch bei einer Reise stolpert er in eine leidenschaftliche Episode mit einer anderen Frau, die seine Ehe zerstört. Als Viktor in die Toskana reist, stolpert er dort in eine Dreierbeziehung und kauft von seinem ganzen Geld ein heruntergekommenes Haus, um die anderen nicht zu enttäuschen. Als ihm sein Pantomime-Lehrer Teile des Grundstücks abschwatzen will, endet für Viktor die Zeit des Stolperns. Er entscheidet sich für seinen Besitz und seine Art zu leben. Und er entscheidet sich auch für die richtige Frau in seinem Leben – und freut sich, dass die ganzen Richtungswechsel durch das Stolpern ihn schließlich ans Ziel gebracht haben.

Mit dieser Botschaft entlässt Viktor seine Gäste zum Abendessen in den Nachbarraum. Dort stehen zwei lange, festlich gedeckte Tische. Die gut verteilten Namensschilder sorgen genau wie die jeweils für mehrere Gäste zusammen gestellten Teller für Kommunikation. So verteilt man das sauerländische Erbsensüppchen, kommt ins Plaudern und während Wein und Wasser in Strömen fließen, kommen die Gäste ins Gespräch über das Stolpern, das Leben und die Liebe. Zwischen den Gängen kommt Viktor noch einmal in den Raum und erzählt eine weitere Geschichte aus seinem Leben – die auf der Florenzer Brücke Ponte Vecchio spielt. Als Hauptgang gibt es Pappardelle mit geschmortem Rindernacken und zum Dessert köstliche Mascarpone-Creme mit sauerländischen Himbeeren. Erst gegen Mitternacht endet der poetische und teils philosophische Abend in der Theaterkantine nach vielen schönen Gesprächen, Kaffee und Schnaps.

Bürgerreporter:in:

Christian Kolb aus Essen

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