Ansichten eines Gärtners II
Wie ist Leben? Was bedeutet jene kurze Zeit, da ein Mensch geboren wird, wie eine schöne Lilie im Garten, wächst, erblüht - und verwelkt? Was sind 50, 60, ja 100 Jahre in Anbetracht der Äonen, da das Licht der Sonnen wie der lebendige Atem durch das Weltenall strahlt?
Wären wir nicht wie Regentropfen, die vom Himmel fallen, aufgesaugt von der dürstenden Erde, wandernd wie Tausende, zurückkehrend - dorthin, woher wir kamen? Wie wenig wäre es - und könnte es je im Innern uns sättigen - wenn wir, ohne je zu erkennen, dem Ruf des Kosmos folgend, ins Leben kommen, vielleicht ahnend, doch blind, im Spiel des Lebens umhertappsten, in wenigen Augenblicken unseren Ursprung erahnen, wie Komparsen auf der Bühne des Lebens unsere Rolle spielten, nicht wissend, welche Bedeutung uns zukommt, dann abberufen, zuschauend bis der Vorhang fällt?
Und wären wir glücklicher, wenn wir wie Blinde, die Hand auf der Schulter des Vordermanns, marschierend eingereiht folgten - weiß der da vorne, wohin wir laufen? Frag' nicht so dumm! Was können wir denn tun ... .
Blinde, einem Blinden folgend - von Zeit zu Zeit weicht da einer aus, schnell schließt sich die Lücke - die anderen tribbeln weiter - wir sind ja nicht allein.
Wohin laufen wir? Hat noch keiner den da vorne gefragt? Wer ist es überhaupt? Kann e r denn sehen? Weiß er, wohin es geht? Dumme Frage! Wohin soll es denn schon gehen! Das ist Leben - was willst du mehr ...
Die Stimmen in der Nacht klingen nicht überzeugend, wie auch, sind doch alle blind ... . Genügt dir jenes, das sie “Glauben” nennen? Jene Sandburg, die bald im Regen in sich zusammenfällt, als sei sie nur zum Spiel gebaut?
Im kindlichen Spiel gefiele es mir, im Sand zu werkeln - aber so viel Witz fehlt mir, sie anderen Kindern zur Übernachtung anzubieten ... .
Komm, raff' dich auf, schon glüht im Osten die Sonne! Sie wird dir den Weg weisen, und achte nicht auf das Lallen derer, die noch von der Nacht sturzbetrunken sind ... . Da! Das Licht wächst! Es wird den Weg weisen, was alle Torheit nicht vermag, wenn sie auch tausendfach nachgeplappert!
Und der Morgenwind erfrischt nach durchwachter Nacht alle Sinne! Auf! Keine Stunde will ich im Dämmern des Lichts hier länger harren, war die Nacht doch lang und beschwerlich ... .
“Trau' keinem, der ruft: Hier! Oder: dort! Denn keiner der Treuen wird es rufen. In dir ist das Geheimnis, dein Rätsel - und deine Lösung!”
Danke, Johann. Der Text ist ja ziemlich komprimiert; eigentlich ähnelt er da einem Gedicht, das man durch Einmal-durchlesen-fertig auch nicht erfassen kann.
@Ursula: Hm. Eigentlich gehört dieser Text in keiner Weise zu appellativen Argumentationen: er fordert weder eine Entscheidung noch steckt da eine Handlungsaufforderung - egal in welche Richtung.
Wenn Du meinst, Ursula, dass er einem Fluss gleicht - warum müsstest Du da in eine Richtung schwimmen? Warum nicht entgegen der Strömung? Oder quer hinüber?
Im Leben selbst gibt es doch auch Situationen, da ich merke: nönö, ich muss gegen den Strom schwimmen!
Eigentlich habe ich eine solche Auffassung nicht erwartet, zumal der Text nahelegt, dass das lyrische Ich keinem Rufer traut, der da ruft: "In diese Richtung! Alles folge mir nach!"
Ja, bei genauerem Lesen kommt sogar eine tiefgreifende Skepsis gegenüber jeglichem Absolutismus oder gar Heilsversprechen (religiöser oder naturwissenschaftlicher Herkunft) zum Ausdruck.
Das lyrische Ich - so scheint es - blickt ganz im Gegenteil voll Vertrauen auf das Wesensinnere eines jeden Menschen: keiner nimmt Dir die Verantwortung ab! Jeder kann in sich selbst jenen Fels finden, auf dem Selbstverantwortung und Erkenntnis wahrhaft beständig fußen können ...
Aber ich lese mir diese Arbeit unter den von Dir nahegelegten Aspekten noch einmal durch ... .