Königsmord : Neu erzählt eine alte Geschichte vom frühen Glauben an die Auferstehung 2

Tuxermaske aus Axams Tirol: Der Frühling
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Er hatte sich unter den Besten seines Jahrgangs in den Wettkämpfen durchsetzen müssen. 
Voll Stolz hatte er als einer der ersten und wenigen die im Lauf mit dem Speer erlegte Berggazelle in die Mitte des Dorfplatzes geworfen. 
Eingeölt hatten sich seine Muskeln beim Ringkampf bis zum Zerreissen gespannt, war ein Gegner nach dem anderen von ihm aus dem heiligen Wettkreis gedrückt worden.
Über den Bullen, den kaum gezähmten Auerochsen, war er in elegantem Salto gesprungen, die Hände fest um die Spitzen der Hörner gepresst, genau den frei gewordenen Zwischenraum über dem starken Nacken im Visier und ja auf den Beinen aufkommend, damit man sich beim nächsten Angriff gleich außer Reichweite der Hörner bringen konnte.

Der Sieg war ihm vom Komitee der ältesten Frauen, von Priesterinnen der großen Mutter, den Vorsteherinnen des Getreidesilos, den Geburtshelferinnen und den Waffenfrauen mit den treffsicheren Speeren mit den neuen noch rotgolden blitzenden Kupferspitzen zuerkannt worden. Noch nicht lange war es ja her, da hatten die Jäger der Täler im Zagrosgebirge solche rotgoldenen Brocken gefunden, die man durch Klopfen mit glatt geschliffenen Fauststeinen und mehrmaligem Erhitzen im Feuer zu fast jeder Form schmieden konnte. Alle hatten schnell begriffen, dass mit den viel kleineren Speerspitzen das Fleisch der Gazellen viel leichter zu  bekommen war. Für ihn war die Zeit als Hirte und Jäger aber leider viel zu schnell zu Ende gegangen.

Er sollte nun als neuer König im Basin mit dem sorgsam gehüteten Regenwasser gewaschen werden und in Heiliger Ehe am Ende des großen Festes als Erzeuger der großen Mutter zugeführt werden.
Wer von den Dorfvorsteherinnen Ihren Körper der Muttergöttin für diesen Akt leihen sollte, würde das Los, würde die Göttin selbst erst in letzter Minute entscheiden. Denn nicht die Auserwählte sondern die Göttin der Felder selbst, nicht er, der junge Hirte, der Gewinner der Wettkämpfe , sondern der Gott der Westwinde selbst , die kühlend über die Levante und den fruchtbaren Halbmond dahin strichen und den fruchtbaren Regen brachten, würde dann den kommenden König der späteren Jahre zeugen. Die Dorfpriesterin und der jetzt schon zur Herrschaft designierte König der Hirten wären lediglich das Werkzeug beider Gottheiten, aber dennoch auch Auslöser sich immerzu wiederholender Fruchtbarkeit von Feldern und Viehherden.

Ein großes Fest sollte das einleiten, bei dem ganz außer der Regel und nur für die Dauer des Fruchtbarkeitsfestes auch die Männer von den Lagern außerhalb des nur für Frauen und Kinder gebauten Wehrdorfes teilhaben durften. Damit das Tabu, das Verbot der große Göttin für männliche Besucher im Dorf aber nicht verletzt, nicht durchschaut würde, durften die Hirten nur bedeckt mit einer tierischen Maske aus Leder, Holz oder Ton den Kreis der Eingrenzung durchbrechen und bei der Einweihung des neuen Königs und was noch viel wichtiger war, beim großen Fest der Hierogamos mit dabei sein, bei dem in den dunklen Nächten, in denen die große Mutter auch Ihre Augen verschlossen hatte, dann alle sexuellen Einschränkungen plötzlich aufgehoben waren.

Doch seine Pflichten als streitbarer Hirtenkrieger waren noch nicht alle erfüllt.
Er war zwar ja als neuer König schon designiert. Freilich gab es auch immer nur einen König im Dorf, der an der Seite der Frauenkommune, mitbestimmen konnte.
Da war aber auch noch der alte König, einst so wie er selbst strahlender Sieger bei den Wettkämpfen, lebende Verkörperung des Wettergottes, hoch geehrt und von Frauen und Kindern allzeit mit allerlei Köstlichkeiten und Entgegenkommen verwöhnt. Jetzt hatte er seine Jahre erreicht. 7 Jahre hatte seine Herrschaft gedauert so wie bei seinem Vorgänger und auch wieder bei dessen Vorgänger, viel länger aber als in den ersten Jahren der Dorfgründung, als es noch Sitte war, bei jedem Jahreswechsel den vorjährigen König durch einen gänzlich noch unverbrauchten Nachfolger ab zu lösen.

So war es für richtig erachtet worden, denn wie sich gleich beim ersten Regen des Jahres die hellgrünen Blätter an den dornigen Akazienbäumen zeigen und die im Vorjahr eingesetzten Grassamen langsam durch die weiche Erde brechen, so fallen die Blätter im ausklingenden Sommer bei allzu großer Hitze und die Halme werden geschnitten, damit die Körner fürs nächste Jahr wieder bereit sind und dem Dorf das Überleben sichern.
So wie es keinen zweiten großen Regen geben würde in einem Jahr und das fruchtbringende mühevoll gesammelte Wasser sich während des Jahres schnell verbraucht hätte und so wie dann lang erwartet erst im nächsten Zyklus eine neue Regenfront am Fuß der Zagrosberge mit neuer frischer Kraft herunterprasseln würde, so sollte auch der ausgelaugte alte König durch einen neuen starken und fruchtverheißenden Nachfolger ersetzt werden. Der Nachfolger sollte unverbraucht dem heran nahenden Windgott seinen frischen und jungen Körper leihen. Wechsel des Königs tat not. Der Regen war jedes Jahr ein Neuer, die Erde, unsere große Mutter, blieb dabei aber immer dieselbe.

Weil aber die Gruppe der Männer weit außerhalb des Dorfes die unbändigen starken Auerochsen hüten musste, weil sie von Lager zu Lager ziehen musste, um auch den schnellen Berggazellen und den hörnerschwingenden Steinböcken im Zagros nachjagen zu können, weil diese Gruppe beim jährlichen Königswechsel zu sehr in der Zahl der stärksten und besten Jäger gemindert war, so dass letztlich fast nur mehr Knaben und Greise für die schwere Arbeit und den schnellen Lauf hinter dem Wild her zur Verfügung gestanden hatten… nun , weil das so war, setzte man den Termin für den Königswechsel im Kollektiv der Frauen auf 7 Jahre fest.
Jeder König hatte länger Zeit zu regieren, konnte seine Fähigkeiten besser entwickeln und wurde dann am Ertrag der Jahre gemessen. So folgten manchen guten Jahren leider dann auch manchmal 7 schlechte. So war es leider auch diesem letzten König ergangen.

Der junge König hatte all dies in seinen Gedanken, als er jetzt nach dem Speer des alten Königs griff, um seine letzte Aufgabe vor der heiligen Hochzeit noch zu erledigen. Nicht dass ein guter alter König es ihm schwerer gemacht hätte, nein diese Aufgabe musste eben jedes 7. Jahr ohne Zweifel und Widerspruch einfach getan werden und so würden auch seiner eigenen Herrschaft nach dieser Zeitspanne, würde seiner eigenen Lebenskraft mit 7 Jahren ein Ende gesetzt werden.
Man hatte den alten König in eine Ochsenhaut genäht und hinter einen anderen Ochsen angebunden. In die Haut waren von den Frauen unzählige lange Schlitze mit den scharfen Obsidianklingen geschnitten worden, die im Dorf immer noch trotz dem Wissen der Kupferbearbeitung Verwendung fanden. War das Kupfer gut für die Herstellung von Äxten und Speerspitzen, weil doch viel weniger spröde und dabei haltbarer als die alten Speerspitzen aus Stein, so war es aber nie so scharf zu schmieden, wie diese Steinklingen.

Der alte König schien an den Schnitten, die durch das Leder in seine Haut gedrungen waren, schwer zu leiden. Aus vielen der Schlitze sickerte in kleinen pulsieren Strömen helles Blut. Schwer atmend kam dabei aber trotzdem kein Laut über seine Lippen, denn er hatte sich über 7 Jahre mit diesem Ende abfinden können und dabei ein wirklich beneidenswertes Leben geführt. Er wusste freilich nur zu genau , was ihn nun bald erwarten würde, denn genau vor 7 Jahren vor dem Einzug des großen Regens, vor der Aussaat war er an Stelle des jungen Hirten dort gestanden  und hatte dem alten König beim Sterben zu gesehen.

Seinen eigenen so geschundenen Leichnam würde man wie damals später in Stücke zerhauen und auf den flachen Dächern der Lehmhäuser des Dorfes verteilen. Dort sollten ihn die schwarzen Vögel des Himmels entfleischen und die Knochen zum Gott der Winde hinweg tragen. Das Dorf gehörte den Frauen und die Erde der großen Mutter, die nur Bestattungen von Frauen und weiblichen Kinder zuließ, die man gleich im Boden der Hütten unter der Stelle des Herdfeuers vergrub. Für die Kadaver der Männer war die heilige Erde tabu, auch das Wasser sollte Ihre Leichname nicht berühren, denn es sollte ganz unbefleckt die große Göttin Mutter Erde befruchten können.

Manche der Gruppen unter den Viehhirten errichteten deshalb große Scheiterhaufen, um die verstorbenen Überreste Ihrer männlichen Mitglieder als vergänglichen Rauch dem Windgott hinterher zu schicken. Doch hier am Fuß der Berge gab es wenige Bäume und deren Holz brauchte man für die Nachtfeuer, um Hyänen und Leoparden von der Herde fernzuhalten. So sollten die gefiederten Helfer des Windes zugleich Nutzniesser und Boten der Verstorbenen sein.  Das war so bestimmt und der große Zyklus des Lebens.

So schritt der junge König ohne längeres Zögern vorwärts und rammte dem Liegenden den Speer, genau dort in den Leib, wo er das sterbende Herz vermutete. Mit lautem Schreien und mit Schlägen des Speerschaftes trieb er den Bullen an, mit dem Sterbenden im Schlepptau den durstigen Erdschollen das Blut der Fruchtbarkeit zu schenken.
Der König ist tot, das Fest konnte beginnen, es lebe der König.

Nachtrag: Literarische aus der Zeit stammende Quellen über das Brauchtum und die Kulte der vorgeschichtlichen Welt (bevor die Schrift uns die Möglichkeit gab, Geschichte auf zu schreiben) gibt es nicht . So bleibt nur die Auswertung von Ausgrabungskomplexen, hypothetisches Sondieren und der Rückschluss von späteren dann aufgeschriebenen Quellen auf ähnliche frühere Zusammenhängen. In vielen späteren Mythen, Kulten und Religionen, so darf man wohl davon ausgehen, haben  sich über mündliche Überlieferung Reste viel älteren Kultwesens erhalten. Denken wir an die vielen Mythen und Mysterienkulte, bei denen Götter oder Heroen geopfert, zerrissen, geschunden und in die Unterwelt gegangen sind , um  dann verjüngt und erlöst wieder auf zu erstehen, wäre eine neolithische Vorform der gezielten Ablösung eines geschwächten Königs durch einen jugendlich starken Nachfolger sicher nicht undenkbar. Folgende Namen von zerissenen/geschundenen Religionsschöpfern  und  Kultfiguren seien genannt: Osiris, Orpheus, Atis, Dionysos, Christus etc. und können zum Nachdenken anregen.

Bürgerreporter:in:

Maskenmuseum Michael Stöhr aus Diedorf

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