Auto-Generationen

Ein phantasievolles Spielzeugauto aus der Elfenbeinküste in Westafrika, wie es zur Zeit noch in der Ausstellung von afrikanischem Spielzeugen im Haus der Kulturen Diedorf zu sehen ist.
  • Ein phantasievolles Spielzeugauto aus der Elfenbeinküste in Westafrika, wie es zur Zeit noch in der Ausstellung von afrikanischem Spielzeugen im Haus der Kulturen Diedorf zu sehen ist.
  • hochgeladen von Haus der Kulturen michael stöhr

Sprachaufzeichnung: 13.02.2023
Personen: Sohn(Makler, im Text: So.), Vater (Rentner, im Text: Vat.)

So.: Unser Familienauto hatte wieder eine Reparatur von 2000,--. Die Werkstatt sagt, wir sollen es doch möglichst bald verkaufen, dann kriegen wir dafür vielleicht noch 2000,-- und können das als Anzahlung für ein wesentlich Neueres in Zahlung geben. Ich habe auch schon ein Auto im Internet gesehen, das mir gefallen würde, es kostet 22000,--. Kannst Du uns das Geld vorschießen und Dich daran beteiligen?
Vat.: Natürlich stehe ich immer hinter Dir und helfe auf unsere Möglichkeiten begrenzt finanziell aus. Allerdings wird auch bei uns ein Ersatz für den VW-bus fällig, der jetzt nach 25 Jahren und 220.000km wohl beim nächsten TÜV dann doch an seine Grenzen kommt. Er hat uns als Kombi und sowohl zum Übernachten auf Reise, wie auch als Transporter beim Bau Deines Hauses und für Gartenarbeiten gute Dienste geleistet.
Könntest Du Dir vorstellen, dass Deine 4-köpfige Familie und Oma und ich vielleicht in einer Art Car-sharing statt 4 nur 3 Autos gemeinsam benutzen. Ein Auto haben wir Dir erst jetzt umweltbewusst als E-Auto für kurze Strecken zusammen mit Deiner Solaranlage neu finanziert. Oma hat einen weiteren billigen 4-Sitzer als Benziner für größere Strecken günstig für 2200,-- erworben, den Ihr zu viert ja jederzeit auch nutzen könnt. Würde es da nicht Sinn machen, ein Auto als Kombi für Familienreisen mit 6 Personen, für einfaches drin Übernachten und für unsere vielen Transporte gemeinsam zu nutzen. Das könnte ich dann ganz allein finanzieren.
So.: Ein Kombi gefällt mir absolut nicht mit seiner steilen Schnauze. Da kriege ich ja Augenkrebs, wenn ich den immer vor meiner Türe sehen muss. Das kommt absolut nicht in Frage. Außerdem hat so ein Transporter-6sitzer, wie Du ihn mir zeigst, nur 110 PS, da muss ich ja Angst haben, mittendrin stehen zu bleiben. Auch bei den Nachbarn steht ein SUV vor der Türe. Da braucht man doch mindestens 150PS um zügig in den Urlaub zu fahren. Du erinnerst Dich, wie langsam wir mit Euren alten VW-bussen und ihren 57 PS die Serpentinen im Urlaub hochgefahren sind…. und im Auto schlafen möchte ich sowieso nicht mehr.
Vat.: In den meisten Ländern herrscht Geschwindigkeitsbeschränkung und ich denke in Hinsicht auf unsere Zukunft und den Klimawandel wird trotz der Autolobby vielleicht auch eine Beschränkung auf 130km/h eingeführt werden. Wir Alten halten meist eine Entschleunigung des Lebens auch für sinnvoll.
So.: Wir müssen aber auf dem Weg in unser Feriendomizil immer sehr schnell sein, um nur mit einer Übernachtung im Hotel aus zu kommen. So trödeln, wie wir drei das früher gemacht haben, als wir den VW-bus noch als Camping-bus auch zum Übernachten genutzt haben, geht bei uns nicht.
Vat.: Wäre es nicht schon deshalb zu überlegen, ob Ihr vier nicht auch funktionellen Nutzen an einem Kombi habt, in dem man zur Not auch gut zu viert drin schlafen kann?
So.: Dann steht mir dieser Transporter vor dem Haus und die Nachbarn reden, dass ich mir weder einen Hotelurlaub noch einen SUV leisten kann. Das schaut dann so aus als wäre ich nur ein Monteur. Dafür habe ich mir nicht das Arztstudium mit 8 Jahren Dauer rein gezwängt. Das kommt nicht in Frage. Meine Arztkollegen fahren alle BMW oder besser.
Vat.:Ich verstehe, dass Du in Hinsicht auf Dein Auto als Ärztin auch sehr auf die Meinung Deiner Mitmenschen und „Kunden“ angewiesen bist. Wenn Du wie ich als Rentner, der viel auf Baustellen arbeitet, das Auto nur unter funktionellen Gesichtspunkten sieht und kleine Lackschäden unter dieser Sichtweise für unwichtig hält, ist das sicher ein Punkt, wo ich mich Dir und Deiner Umwelt anpassen muss. Da geht es natürlich absolut bei einem evtl. gemeinsam von uns benutzten Auto nicht, dass ich das Gefährt außen sogar eher extra „verlottern“ lasse und nur auf Motor und gut funktionelles Innenleben achte, damit es in den vielen ärmeren Ländern, die wir bereisen, nicht zum Ziel eines Diebstahls oder Einbruchs wird.
Unsere Erfahrungen waren auch immer, sowenig digitale oder elektronische Technik ein Auto hat, es damit nicht nur weniger Anreiz für Diebstahl bietet, sondern vor Allem auch viel weniger anfällig für nötige Reparaturen ist. Damit war ein schlicht funktionales und einfach mechanisch funktionierendes Auto einmal auch viel billiger in der Haltung. Manche einfachen mechanischen Probleme kann man auch als Laie einfach erkennen und sogar selber unterwegs reparieren. Damit hat man auch keinen Leerlauf in den Werkstätten, wenn die ganze Armee an elektronischen Details bei einem modernen Auto irgendwo unterwegs eine kleine Störung bekommt.
So.: Solche Autos, die man selbst reparieren kann, findest Du heute nicht mehr. Ich weiß, Ihr habt Eure ersten Autos für ein paar ganz wenige Hundert DM gebraucht gekauft und dann ein ,zwei Jahre bis zum nächsten TÜV gefahren. Wenn bei den manchmal dreißig und vierzig Jahre alten Autos nur wenig verrostet war, habt Ihr ein Blech hin geschweißt , habt Ersatzteile für wenige Mark beim Schrotthändler geholt und auch selbst einfach einen gebrauchten alten Motor hinein gehoben. Träum weiter, diese Zeiten sind längst vorbei.
Vat.: Ich frage mich aber immer, ob unsere „modernen“ Autos mit dem gesamten Aufwand in der Herstellung mit kaum mehr nachvollziehbaren Zusammenwirkungen digitaler, elektronischer, und mechanischer Kleinstteile und den heute extremen Kosten für eine Reparatur dieses mögliche Mehr an Nutzen durch die vielen Zusatzfunktionen über die eigentlichen Grundfunktionen hinaus: das Fahren und im Auto vor Wind und Regen geschützt sein , denn all die zusätzlichen Kosten auch an Nutzen wieder herein spielen. Sind wir heute nicht Diener, oder gar Sklaven des kostenintensiven Erhalts unseres Prestige-Gefährts und nicht umgekehrt Nutzer eines dem Menschen dienenden Fortbewegungsmittels. Wenn ein Auto nicht mehr fährt, weil es dauernd in der Werkstätte ist, weil irgendwelche Zusatzfunktionen defekt sind, dann kann es seine eigentliche Aufgabe nicht erfüllen.
So.: Ich weiß, dass wir sehr viel Geld in die Reparatur dieser Autos stecken. Deswegen wurde uns ja geraten, jetzt endlich ein neues Auto zu kaufen. Da die Hersteller zur Zeit aber Schwierigkeiten haben, diese vielen elektronischen Einzelteile nach zu bestellen und die Lieferzeiten lang sind, verbauen die Hersteller sie lieber in den besonders optisch reizvollen und teuren Automodellen, weil sich da dann mehr Gewinn abschöpfen lässt. Weil es jetzt aber weniger billige Autos gibt und für die Reparatur alter Fahrzeuge keine Ersatzteile zu haben sind, gibt es nur mehr relativ teure und auch noch wenige Fahrzeuge auf dem Markt. Unsere Werkstatt hat gesagt, die 20.000 für mein Traumauto seien günstig. Was Du als funktionales Auto suchst, gefällt mir absolut nicht.
Vat.: Für uns alte Leute aus dem vergangenen Jahrhundert war eine Überlegung („mit den drei F“) der damals schon ab 1930 wirkenden Ingenieure und Designer sehr wichtig und für all unser ästhetisches Empfinden prägend: „Form follows function“. Du magst kein Auto, dessen Funktion nach außen sichtbar ist und Dich als unterprivilegiert („Monteur“) herab stuft. Es muss ein SUV sein, dessen Benzinverbrauch Deine Zugehörigkeit zur UPPER-clas rechtfertigt. Da dürfen natürlich evtl. Umweltgedanken nur eine untergeordnete Rolle spielen und die gesellschaftlich möglicherweise von der Autolobby geprägte Ästhetik überwiegt gegenüber der Funktion mit Nachteilen von weniger Innenraum, schlechteren Parkmöglichkeiten, höheren Kosten, längerer Werkstatt-Verweildauer oder Ähnlichem. Es ist eben kein funktionell geprägter Kombi, dessen vereinfachte Form für Dich als ganz daneben empfunden wird. Ist das schon postmodernes Denken, das die Form aus der Abhängigkeit von funktionellen Kriterien zu neuen spielerisch kombinierten fast unlogischen Objekten befreit sieht?
Oder ist das ein Rückschritt auf das Denken früherer Jahrhunderte, wo guter Stil stets mit oberflächlichen Zitaten von gesellschaftlich geadelten Kriterien definiert wird? Erinnern die Möbel des Barock und Rokoko nicht (in Ihrem eigentlich ja ganz einfachem Zweckhintergrund der Lagerung von Dingen) nicht deutlich mit Vergoldung, Ornament und Schwung an die theaterartigen Dekorationen eines Altars? Verbrämt man im 19. Jhdt. nicht die eigentlich einfache Funktion einer Schranktür nicht mit griechischen Säulen, Masketten und Zierelementen, weil es schick war, zur gebildeten Elite zu gehören? Und als es dann zu Beginn des 20. Jhdt endlich Autos für viele gab, sind diese Luxuskarosserien da nicht den alten aristokratischen Kutschen nach empfunden, die Reiche und Adelige herum „kutschierten“. Selbst beim Volkswagen-Käfer, wie auch bei der Citroen- Ente waren diese frei geschwungenen und wenig in Hinsicht Luftwiederstand gestalteten unfunktionalen Formen noch prägend. Erst bei unserem Studenten-Renault4 wurde die Prestigeform zum schlicht rollenden Kasten. Freilich wurde auch dieser funktionale Fahruntersatz auf seine Weise wieder zum Prestigeobjekt des nicht ganz so armen Studenten. Aber das ist freilich: Lang, lang her.
So.: Wir leben heute und nicht früher, alter Mann. Ich brauche jetzt ein Auto und ich werde mir auch wegen der Zukunft oder den Klimaveränderungen morgen , hier und jetzt und heute keine Gedanken machen und gar auf ein Auto verzichten. Schließlich arbeite ich den ganzen Tag voll im Stress, damit ich mir diesen notwendigen Luxus leisten kann.

Bürgerreporter:in:

Haus der Kulturen michael stöhr aus Diedorf

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