ADHS und Suchtverhalten
Haben die Krankheiten eine Verbindung?

Jugendliche und Erwachsene, die ADHS haben, sind anfälliger für Suchtverhalten, einschließlich des Konsums von Substanzen wie Zigaretten, Cannabis, Kokain und Alkohol.“
Eine These, mit der ich bei meinen Veranstaltungen immer wieder konfrontiert werde. Einmal mehr interessieren mich die Zusammenhänge. Versuchen die Betroffenen eine Selbstbehandlung, indem sie diese Substanzen verwenden, um mit den Herausforderungen im Zusammenhang mit ADHS umzugehen. Kann dieses Verhalten als Versuch angesehen werden, kurzfristige Linderung von den Symptomen der Störung zu erhalten? Birgt es nicht, langfristig, Risiken für die Gesundheit und das Wohlbefinden. Kann, durch die gezielte Behandlung von ADHS das Risiko für eine Sucht reduziert werden, indem die Symptome kontrolliert und alternative Bewältigungsstrategien vermittelt werden?
Ich spreche darüber mit Stephan Schleep aus Berlin. Er ist seit 20 Jahren abstinenter Alkoholiker, hat drei erlernte Berufe, ist 26 mal umgezogen und führt auch sonst ein recht unstetes Leben.
Bevor wir mit dem Gespräch beginnen noch ein Hinweis. Wir haben beide keine medizinische Ausbildung und unser Ansinnen sind Unterstützung und Information. Sollten sich Teile unseres Gespräches wie fundierte Ratschläge anhören, bitte immer daran denken, wir sind Betroffene und Mitbetroffene und sprechen ausschließlich aus unserer eigenen Erfahrung.
1. Hallo lieber Stephan, was hältst Du davon, wenn Du Dich unseren Zuhörern kurz vorstellst.
Hallo lieber Burkhard, ja zunächst mal vielen lieben Dank für die Einladung. Ja, wie du es schon in deiner Anmoderation gesagt hast ich bin tatsächlich schon 59 Jahre alt, Schauspieler und Sprecher und Moderator aus Berlin und beschäftige mich ausgiebig mit dem Thema ADHS /ADS in Verbindung mit Alkohol, denn ich war ja selbst jahrelang abhängig von diesen Zeug.
Ja, wenngleich ich ja jetzt eine ganz gute Beziehung zu bekommen habe. Mit gut meine ich, Ich habe tatsächlich meinen Frieden damit gemacht, dass ich jetzt vielleicht im ersten Moment seltsam ist, aber das Ziel, was wir in meinen Augen schlussendlich alle verfolgen sollten. Denn es gibt doch nichts Schlimmeres, als ständig in der Abstinenz kämpfen zu müssen, also diesen sogenannten Trigger Momenten zu widerstehen. Besser wäre es doch, wenn diese Trigger Momente erst gar nicht mehr oder zumindest kaum noch da sind. Ja, und das ist mein jetziges Anliegen, mit dem ich mich tagein/tagaus so beschäftige.
2. Schilder doch mal wie sich Dein Leben entwickelt hat.
Also ich bin im Sauerland aufgewachsen, recht ländlich, großer Garten, viele Nachbarskinder und so immer draußen. Größtenteils ja. Mit 15 dann zum Ersten Mal Kontakt zum Alkohol, so in der Kneipe um die Ecke beim Flipper mit meinen Jungs. Ja, und das hat meinem Gehirn recht gut. Meinem ADHS Hirn. Heute weiß ich, dass mein Gehirn endlich mal runterfahren konnte und ich in so eine Art Entspannung kam. Mit 20 kam ich dann aber auch schon zum Bund für 2 Jahre und da wurde natürlich eher selten Fanta getrunken nach Dienstschluss. Ist ja auch klar so, Gruppendynamik und Rituale in der Einheit, die stehen natürlich an allererster Stelle und es war einfach menschlich, mit den Kameraden abends mehrere Biere zu ziehen. Man ist ja heranwachsend und man übt sich ja dann als junger Mann mit 25 und nach 2 Ausbildungen im Gastgewerbe habe ich mich dann mit einer Pianobar selbstständig gemacht und da, nahe an der Quelle, konnte ich mich natürlich stets bedienen und etwas, das großartig jemandem auffiel und.
3. Wie bist Du auf den Gedanken gekommen Dich näher mit den Themen ADHS und Sucht zu beschäftigen? Oder anders gefragt: Wodurch sind Dir Zusammenhänge bewusst geworden?
Na ja, das hat noch * 15 Jahre gedauert. Also nach meiner Therapie hat das einfach nicht gereicht, einfach jetzt zu lernen in gewissen Situationen, wo man es Ausdruck dann bekommt, getriggert wird, dann damit umzugehen und dann nicht zu trinken und so. Und ich habe mich aber dann irgendwann gefragt, warum ich denn überhaupt den Alkohol so eingesetzt habe. Wann kam das und und warum wollte ich dann auch nicht mehr aufhören, wenn ich dann was getrunken habe? Ja, weil es natürlich so schön war mit Alkohol, ist ja klar. Aber was genau war denn so toll daran? Und da konnte ich dann mir sagen, dass ich endlich so so sein konnte, wie ich bin. Ich sage es bewusst, wie ich bin und es war mir dann natürlich auch wiederum piep egal, was die anderen über mich gedacht haben. Ja, das war dann wie so eine Art Befreiung, Befreiung von diesem seelischen Druck. Aber warum gab es denn überhaupt diesen Druck? Schon den Selbstrecherche hab ich mich dann irgendwann mal auf die Socken gemacht und herausgefunden, dass ich an ADHS leiden könnte ADHS im Erwachsenenalter. Und dann hab ich einen Termin beim Psychiater gemacht. Testen lassen und Bingo!
4. Das Ganze wirkt auf mich wie Gewitter im Kopf, das mag sich Dir erschließen, aber als Nichtbetroffener oder Externer verstehst Du das Ganze nicht. Kannst Du es mir mit einfachen Worten erklären?
Also ich versuch`s mal in Kürze. Weiß nicht, ob mir das gelingt. Also viele dieser Menschen mit ADHS/ ADS, die haben unter anderem eine extrem hohe Wahrnehmung ihres Umfeldes und das Gehirn filtert nach. Wichtig, weniger wichtig oder unwichtig im Normalfall. Und für uns ist aber erst mal alles wichtig. Und was dann täglich oder gar minütlich so an Reiz und Impulsen auf dich einwirkt, ist kolossal. Das heißt aber auch, dass eine Wahrnehmung direkt von der nächsten überboten werden kann. Und wir müssen darauf reagieren und sie wahrnehmen. Es geht ja nicht anders. Und genau das heißt eben, dass ich meine Aufmerksamkeit dann nicht mehr lang auf eine Sache richten kann, weil sie ja wieder überboten wird. Und das ist dann letztendlich mit diesem Aufmerksamkeitsdefizit gemeint. Ja, und das Desaster beginnt meistens schon in der Schule. Wenn es dann heißt jetzt konzentrier dich endlich mal und zappeln nicht so rum. Ja, aber das geht einfach nicht. Wie soll das gehen? Ja, und spätestens dann nimmt das große Leiden dann auch seinen Lauf.
5. Bevor wir gleich noch einmal auf den Zusammenhang zwischen ADHS und Deiner Sucht eingehen. Du hast eben gesagt das Du eine Therapie gemacht hast. Die klassische Variante mit Entgiftung und Langzeit? Heute werden ja Trauma und Sucht häufig gemeinsam behandelt, wie war das bei Dir? Sind die Ärzte „damals“ schon auf die Zusammenhänge gekommen?
Leider nein. In der Tat hatte ich so einen klassischen Verlauf mit dem Glück allerdings nach der Entgiftung direkt dort bleiben zu können und die Langzeittherapie zu beginnen. Ich habe dann nach 8 Wochen direkt nochmal 8 Wochen nachgelegt und das war auch gut so.. Ja gut, das Ganze war jetzt auch schon 2001, aber da gab es auch für mich noch überhaupt nicht diesen Verdacht auf Adressen. Aber letztendlich rechne ich die Neuro Divergenz, so nennt man das ja schon den Grund um überhaupt in die Abhängigkeit gekommen zu sein. Ich meine, es ist ja so, wenn du mal einen klaren Kopf hast und mal anfängt nachzudenken, dann kommt natürlich ein schlechtes Gewissen hoch. Vorwürfe, die man sich macht und so. Warum man den Alkohol irgendwie nicht im Griff hatte. Und für mich liegt er ganz klar, das kann ich betonen, im Verborgenen. Es hat zwar lange gedauert, bis ich das wusste, aber es macht plötzlich alles wieder einen Sinn. Und meinem Selbstwertgefühl hat es wahnsinnig gut getan, zu wissen, dass es nicht nur Willensschwäche war.
6. Nachdem bei Dir ADHS als Auslöser diagnostiziert wurde, wie ging es dann weiter, was hast Du unternommen?
Ach, das war erst noch eine Angelegenheit bei mir. Es gibt ja viele verschiedene Medikamente mittlerweile, die auch verschiedene Nebenwirkungen haben. Ganz ehrlich. Beim ersten Medikament hatte ich plötzlich kaum noch eine Libido und damals mit 50, stand ich rechts mit mir in Konflikt. Soll ich jetzt selbst meine Männlichkeit für den ganzen Kram aufgeben? Ja, ich habe es dann nach längerer Zeit wieder abgesetzt und dazu kam immer noch der Gedanke Soll ich jetzt, nur um in dieser Gesellschaft zu funktionieren, meine ganze Kreativität und das Ganze, was mich eigentlich ausmacht, aufgeben? Ja, letztendlich lag ich mit diesem Gedanken gar nicht mal so falsch, denn mittlerweile weiß man, dass es ja einen Grund gab, warum Menschen mit dieser Neuro-Divergenz überhaupt auf der Welt sind. Sie sind nämlich früher in der Sippe, dem Aufspüren feinster Veränderungen aufgrund ihrer feinen Wahrnehmung. Und jetzt kommt das Körperliche noch dazu. Du musst immer hin und her laufen, zappelt, musst immer hin und her laufen und und und. Die Gegend herum abscannen und um alles beurteilen zu können. Aber letztendlich hing von ihnen der Bestand der Gruppe ab.
7. Wie ich Dir gesagt habe, ich habe keinerlei Erfahrung und Ausbildung zu diesem Thema, bin leicht überfordert und hoffe das uns unsere Zuhörer folgen können. Um es zu vereinfachen, was würdest Du Betroffenen raten bei denen sich der Verdacht oder die Vermutung einstellt das ADHS im Spiel sein könnte?
Auf jeden Fall sich erst mal im Netz erkundigen, würde ich vorschlagen. Das habe ich damals auch gemacht und da gibt es mittlerweile auch tolle Tests, wo man schon mal so in die Richtung gehen kann und dann einfach erst mal einen Termin machen beim Psychiater. Und sollte der die Diagnose stellen und danach behandeln? Ja, aber sich das Leben der Menschen um 180 Grad drehen, das spreche ich aus eigener Erfahrung. Es ist plötzlich mehr Selbstbewusstsein vorhanden. Man ist nicht mehr so zerfahren, lässt sich nicht mehr mit irgendwelchen Dingen ablenken usw. Es ist unglaublich. Es gibt ja mittlerweile auch zahlreiche Studien darüber, dass Sucht und alles ganz, ganz eng miteinander verknüpft ist. Und da sagt man ja irgendwie so impulsive Entscheidungen und wie sagt man mal adaptives Belohnungssystem. Die machen Menschen mit ADHS anfällig für den Alkoholkonsum und bis zu 43 % entwickeln da dann eine Alkoholkonsum Störung, also knapp die Hälfte. Das ist eine Menge. Letztendlich ist es keine Krankheit, sondern ein gesondertes Empfinden, viele Einflüsse, die täglich auf uns wirken.
8. Gibt es etwas was Du Dir von Therapeuten wünschen würdest?
Puh, das ist schwierig. Also ich bin kein Freund von klischeemäßig Beurteilungen der Symptome, aber wenn ich selbst erkennen, dass viele dieser Eigenschaften auf mich zutreffen, naja, dann würde ich alles daransetzen, das zu klären. Ich glaube nämlich nicht, dass mich mein Therapeut darauf aufmerksam gemacht hätte. Also es ist ja so, in den Therapien wird ja meist gelernt, wie ich mich dann in Zukunft von dem Alkohol fernhalte. Was ich dagegensetzen kann, wenn ich getriggert werde usw.. Okay, das ist ja auch alles ganz, ganz wichtig. Das stimmt. Aber im Endeffekt ist doch nur der Alkohol weg und die Probleme von früher, die sind dann wieder da. Und na ja, wer ist eigentlich besser herauszufinden, warum man immer Alkohol getrunken hat, dies dann mal wirklich zu bearbeiten und dann im besten Fall zukünftig gar nicht mehr getriggert wird. Das macht die Sache doch viel entspannter. Und das hat im Übrigen jetzt mal gar nichts mit Alias zu tun. Ich glaube felsenfest daran, dass bei jedem Alkohol oder Drogenabhängigen ursprünglich die Seele wehgetan hat, warum auch immer. Aber da steckt in meinen Augen die Wahrheit.
9. Du willst ja selbst auch aktiv werden und Menschen unterstützen. Stichwort „Sleepless“! Damit wir uns mehr darunter vorstellen können, eine kurze Zusammenfassung, was Du vorhast?
Ja, danke, dass du danach fragst, Burkhard. Also ja, der ist ja oft schlaflos oder lieblos im Bett und grübeln. Nun weiß ich ja sleep und habe als Name einen Schlafplatz ausgemacht. So, das ist der Name dieser Institution. Eine Institution, die den Menschen die Möglichkeit gibt, die positiven Seiten ihrer Divergenz zu beleuchten. Also wir sind ja äußerst kreativ, schnell in der Auffassungsgabe, denken gern crossover, also unorthodox. Dadurch entstehen aber auch die verrücktesten Ideen. Wir sind grundsätzlich wahnsinnig hilfsbereit, können Ungerechtigkeit überhaupt nicht ertragen und ich möchte es letztendlich erreichen, dass wir uns zusammenfinden, aber keine Selbsthilfegruppe machen, sondern uns mit eigenen Mitteln finanzieren, nämlich durch unsere besonderen Begabungen und Fähigkeiten. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir rasend schnell vorankommen werden und somit der eine oder andere auch endlich mal wieder ein Erfolgserlebnis haben wird, aber auch Geld damit verdienen kann. Das letztlich liegt mir total am Herzen.
10. Spannendes Thema, leider können wir es nur kurz „ankratzen“, wer mehr wissen möchte kann Dich direkt ansprechen, wie erreicht man Dich?
Ja, man kann uns schon erreichen. Die Homepage ist zwar noch im Aufbau, aber es gibt schon eine E Mail Adresse(stephanschleep@gmx.de)  . Alles weitere geht ja dann von dort aus gut.
Kleiner Nachtrag: Ich vermute das sich viele Aussagen zum Wiederspruch oder zur Diskussion eignen. Wie ich bereits in der Einleitung sagte, ein Gespräch auf Augenhöhe ohne Fachwissen, aber mit einer gehörigen Portion Erfahrung.
Der gesamte Beitrag kann als Podcast hier nachgehört werden

Bürgerreporter:in:

Burkhard Thom aus Nordrhein-Westfalen (Bundesland)

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