Sterben Briefmarkensammler aus? Interview mit Briefmarken-Fachmann Oskar Klan

One Penny black aus Großbritannien - eine der begehrtesten Briefmarken.
  • One Penny black aus Großbritannien - eine der begehrtesten Briefmarken.
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Die begehrtesten Briefmarken sind nicht immer die wertvollsten. Sie sind Sammelobjekte, aber nicht unbedingt eine Kapitalanlage. Eine pauschale Einschätzung, ob Briefmarken im Wert weiterhin steigen oder eher sinken, können viele Experten nicht treffen. Denn das hängt von den Sammlern und vor allem den Sammelgebieten ab. Derzeit sind Marken aus China hoch im Kurs. Sogar selbstklebende Briefmarken finden den Weg ins Album. Und doch gewinnt man den Eindruck, Briefmarkensammler sterben aus. Ein Interview mit Oskar Klan, Chefredakteur der Michel-Briefmarkenkataloge.

Guten Tag Herr Klan, wie wird denn der Wert von Briefmarken eigentlich berechnet?

Oskar Klan:„Eine Briefmarke hat den Wert, den die Sammler ihr zumessen. Dieser Wert kann bestimmt werden durch Händlerlisten und Zuschläge bei Auktionen. Dazu sind Unterlagen vorhanden. Im Allgemeinen wird der Wert einer Briefmarke von objektiven Daten bestimmt.“

Welches sind denn die wertvollsten und begehrtesten Marken?

Oskar Klan:„Das sind nicht unbedingt die gleichen Marken. Sehr begehrt ist zum Beispiel die One Penny black aus Großbritannien, die erste Briefmarke der Welt. Sie zeigt das Bild der Königin Viktoria. Viele Sammler möchten diese Marke besitzen. Sie ist aber in gutem Zustand für 200 bis 250 Euro zu kaufen und damit nicht teuer. Aktuell sind Marken aus der Volksrepublik China und anderen asiatischen Ländern sehr begehrt. Dort baut sich ein Sammlermarkt auf, sodass der Wert der Marken steigt.

Für wertvolle Marken aus aller Welt werden sechs- bis siebenstellige Summen gezahlt. Diese Marken stammen oft aus den ersten etwa 20 Jahren der Briefmarke, also aus der Zeit zwischen 1840 und 1860. Dazu gehören z. B. die berühmten Mauritius Marken mit der Bezeichnung “Post Office”. Eine gebrauchte “Blaue Mauritius” wurde Ende Juni in London für 900 000 £ versteigert, mit Aufgeld macht das ungefähr 1,2 Millionen Euro. Aber auch Marken nach dem Zweiten Weltkrieg erzielen sehr hohe Preise. Die teuerste indische Marke ist derzeit die Dienstmarke MiNr. 116 von 1948, von der nur 18 postfrische Stücke dem Markt zur Verfügung stehen. Eines davon wurde im Mai für ungefähr 145 000 Euro versteigert. Auch moderne deutsche Briefmarken erreichen diese Preisregionen, z. B. die nicht ausgegebene Marke mit dem Porträt von Audrey Hepburn. Im Juni wurde für eines von zehn bekannten postfrischen Exemplaren zirka 125 000 Euro bezahlt. Das schönste der gestempelten Stücke kostete vor einigen Jahren knapp 170 000 Euro.“

Wie viel vom Katalogpreis wird denn tatsächlich bezahlt? Da ist die Rede von fünf bis zehn Prozent – ist das korrekt?

Oskar Klan:„Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Katalogwerte bis zu fünf Euro einen hohen Anteil enthalten, der die Kosten der Dienstleistung des Briefmarkenhändlers wiedergibt. Das sind Bestimmen der Marke, Qualitätsprüfung, Einsortieren und Aussortieren aus dem Lager sowie ein Gemeinkostenanteil. Dafür muss ein Händler aus wirtschaftlichen Gründen den vollen Katalogwert verlangen, bei sehr gering bewerteten Marken auch mehr. Man kann solche Marken aber auch in einer Wühlkiste für z. B. zehn Cent pro Stück finden, weil die oben genannten Tätigkeiten nicht ausgeführt wurden.

Wie viel Sammler bezahlen ist von Sammelgebiet zu Sammelgebiet unterschiedlich und kann auch innerhalb eines Sammelgebietes variieren. Im Katalog genannt werden aktuelle Spitzenpreise für Marken in sehr guter Qualität. Die Deutschland-Kataloge werden bis zu zweimal im Jahr überarbeitet, Überseekataloge im allgemeinen im Abstand von mehreren Jahren. Bei boomenden Gebieten, das sind derzeit besonders asiatische Länder, aber auch häufiger. Bestimmte chinesische Marken werden derzeit deutlich oberhalb der Katalogbewertungen gehandelt. Daher gibt es hier im Oktober einen neuen Katalog.“

Sind Briefmarken als Kapitalanlage geeignet?

Oskar Klan:„Briefmarken sind Sammelobjekte. Ob sie als Kapitalanlage geeignet sind, hängt von der Entwicklung des Sammlermarktes ab. Prinzipiell sind sie nicht wirklich geeignet. Sie als Anlage zu verstehen, setzt enormes Wissen über Briefmarken voraus, sowie die Fähigkeit, Entwicklungen vorherzusehen. Die Kenntnis der MICHEL-Kataloge ist dafür die richtige und wichtige Voraussetzung. Einige der oben genannten Beispiele können auch unter dem Gesichtspunkt der erfolgreichen Geldanlage betrachtet werden. Der komplette Bogen mit zehn Hepburn-Marken kostete im Oktober 2010 ungefähr 500 000 Euro, und der Vorbesitzer der “Blauen Mauritius” zahlte angeblich 29 000 £, allerdings im Jahr 1972.“

Wie sieht es mit der Wertbestimmung und Eignung als Kapitalanlage von Ersttagsbriefen aus?

Oskar Klan:„Das läuft genauso wie bei den Briefmarken. Man weiß, was die Marke und die Herstellung des Ersttagsbriefes zum Zeitpunkt der Ausgabe kostet. Die weitere Entwicklung ist vom Einzelfall abhängig.“

Sterben Briefmarkensammler aus?

Oskar Klan:„Wenn man auf Briefmarkenmessen geht, kann man diesen Eindruck gewinnen. Im Internet wird der Markt jedoch von jüngeren Sammlern mitbestimmt. Der Umsatzanteil im Internet steigt im Einzelhandel generell, das ist bei Briefmarken nicht anders. Das inhabergeführte Ladengeschäft verzeichnet dagegen in allen Branchen einen starken Rückgang. Es gibt im Internet Plattformen mit einigen hunderttausend Briefmarkensammler, mit denen wir kooperieren.“

Wie wirken sich selbstklebende Marken auf Briefmarkensammler aus?

Oskar Klan:„Selbstklebende Marken werden genauso gesammelt wie andere Briefmarken. Sie sind nur nicht so bequem mit Wasser abzulösen. Bei deutschen Marken ist das schon möglich, es dauert nur eine Minute länger. Aber bei vielen ausländischen Marken geht das nicht. Bevor man da mit Lösungsmitteln wie Benzin arbeitet, ist es besser, die Marke sorgfältig auszuschneiden und so aufzuheben.“

Und wie sieht es mit selbstgestalteten Briefmarken aus, die wohl kaum zu registrieren sind?

Oskar Klan:„Da haben Sie recht. Die Registrierung ist aus verschiedenen Gründen unmöglich. Beispielsweise müsste der Auftraggeber einer selbstgestalteten Marke seine Zustimmung für die Erfassung geben. Die Selbstgestaltung von Briefmarken ist anscheinend dennoch eine recht beliebte Sache.“

Wie lautet Ihre Prognose hinsichtlich der Wertentwicklung von Briefmarken?

Oskar Klan:„Das hängt davon ab, wie sich einzelne Gebiete entwickeln. Geraten Sammelgebiete in Mode, steigt auch der Preis. Mit dem Ende der Mode kann er aber wieder zurückgehen. Ich habe vorhin die Volksrepublik China erwähnt. Die Katalogwerte aus dem Katalog von 2009 sind bereits veraltet. Derzeit werden 120 bis 200 Prozent davon bezahlt. Deshalb wird der Katalog gerade für eine Neuauflage überarbeitet.“

Vielen Dank für das aufschlussreiche Interview!

Wer sammelt Selbstklebemarken? Warum Briefmarken ablösen kaum noch Spaß macht!

Bürgerreporter:in:

Michael S. aus Neusäß

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