Ein paar Minuten vor Mitternacht ...

Feuilleton

Puuuhh…… -
Norbert steht vor seinem Auto, und wischt sich mit der Rechten den Schweiß von der Stirn. Den Schweiß der gar nicht da ist. Das wäre geschafft – endlich hat er Feierabend. Die Versicherungsabschlüsse sind in trockenen Tüchern. Das Ehepaar Möller hatte sich als verdammt harte Kundennuß erwiesen, und ihm so manches Zugeständnis abgepresst. Aber ohne den Abschluß….. er kann nur mit frösteln an das ständig größer werdende Loch in der Haushaltskasse denken.

Er brauchte unbedingt den Vertragsabschluß.

Das hatte Möller, das ausgefuchste Schlitzohr, natürlich gespürt – und schamlos bis an die Grenze des Erträglichen ausgenutzt. Obwohl er ihn, Norbert, schon sein Leben lang kennt. Der alte Möller hatte nämlich mit seinem Vater die gleiche Schulbank gedrückt.

Norbert lässt den Deckel seiner antiquierten Taschenuhr aufspringen. Die Zeiger über dem Emaillezifferblatt kriechen schon auf Mitternacht zu. Im Büro ziehen die Kollegen ihn schon mal auf wegen des billigen „Nickeldings“ – so wie erst letzte Woche die Sekretärin vom Chef belustigt seine Uhr bezeichnete, als er das Federwerk - mit der übergroßen Krone daran - aufzog.

Norbert kann sich nicht davon trennen. Jedesmal, wenn seine Finger das abgegriffene Gehäuse berühren, meint er die Hand seines Großvaters zu spüren. Die alte, schwielige, kraftlos gewordene Hand, die ihm die Uhr gab, bevor das Leben sich aus ihr davonmachte. Elf Jahre alt war er, als Opa starb. Damals meinte er, mit ihm ein Stück seines Lebens verloren zu haben.

Oh Gott, wie die Zeit vergangen ist. Fast zwanzig Jahre sind schon darüber hingezogen.

Norbert reißt sich mit einem Ruck von seinen Erinnerungen los. Er muß sehen, daß er nach Hause kommt. Dreißig Kilometer kurvenreiche Landstrasse sind es bis in die warme Wohnung. Der Wetterfrosch im Radio hat Strassenglätte vorausgequakt, und die Winterreifen fürs Auto stehen noch in der Werkstatt.
Ohne Moos nix los – hatte der Monteur letzte Woche süffisant zu ihm gesagt. Auch darum war für ihn der Abschluß heute Abend so wichtig gewesen.
Das erste Mal nach langen Jahren liegen drei freie Tage vor ihm – vor ihm und Sabine, die sicher jetzt zu Hause vor Sorge um ihn fast vergeht.
Der Heilige Abend, und die beiden Weihnachtstage. Süße Freude breitet sich von den Fingerspitzen bis in die Zehen in ihm aus, wenn er an das Kind in Sabines Bauch denkt, das Anfang Januar zur Welt kommen soll.
Bienchens Frauendoktor ist sich da ganz sicher.

Wenn er Bienchen zärtlich berührt, kann er fühlen, wie es sich da drinnen bewegt – er meint das kleine Herz schlagen zu hören, wenn er sein Ohr auf Binchens Bauch legt.

Mitternacht ist vorüber. Der Heiligabend ist schon vor einer guten Stunde in seine pelzgefütterten Stiefel geschlüpft. Norbert denkt mit Bangen an den schmalen Gabentisch, als er in die Auffahrt zu ihrem „Schlößchen“ einbiegt.
Das „Schlößchen“ beansprucht den größten Teil ihrer Einnahmen, weil es maroder ist, als sie es beim Kauf erkannt hatten. Sabine hatte die kleine alte Villa gleich nach ihrem Einzug so getauft, weil sich über das Gemäuer den ganzen Sommer über ein leuchtendes Rosenkleid ausbreitet. Von Kind an waren Rosen ihre Lieblingsblumen.

In der Auffahrt steht vor der Garage ein fremdes Auto. Was ist los? So spät noch Besuch? Warum hat Bienchen ihn nicht angerufen? Siedendheiß fällt es ihm ein – sein Handy hatte er ja abgeschaltet, bevor er bei Möllers klingelte. Norberts Schritte werden schneller – eingehüllt in eine Wolke kalter Nachtluft rennt er ins Haus.
Im ganzen Hause brennt das Licht - nur zu sehen ist niemand. Drei Stufen auf einmal nehmend stürmt er die Treppe ins Obergeschoß hinauf. Aus dem Schlafzimmer hört er ein gepresstes Stöhnen, vermischt mit Sabines kleinen, spitzen Schreien. Als er die Tür öffnet, fliegt ihm ein plötzlich helles, durchdringendes Krähen entgegen – und die fröhliche Stimme der Hebamme:
Herzlichen Glückwunsch, Herr Schneider – sie haben soeben ein Christkind bekommen! Ihr Sohn konnte die Zeit nicht mehr abwarten – er wollte partout schon dieses Jahr das Fest mit ihnen feiern. Ich wünsche euch Dreien fröhliche Weihnachten“

ee

Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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