Der 'aulen Soliger' dritter Teil ...

Nicht in Vergessenheit geraten – nicht bei mir und bei vielen anderen sicherlich auch nicht – sind zwei junge Frauen aus der Bergerstrasse.
Die Knospenzeit ihrer ganz jungen Jahre hatten sie gewiß schon eine Weile hinter sich – die beiden Inges, aber trotzdem blühten sie noch ganz heftig, wenn auch jede auf eine andere Art.
Beide waren unbemannt gebliebene Töchter honoriger Geschäftsleute.
Ihre Väter betrieben in ihren Häusern am Hingenberg jeder einen Kolonialwarenladen mit angeschlossener Schankwirtschaft. Die Straße talabwärts linker Seite Hugo Meis und schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite Fritz Busch.
Solche Geschäftskombinationen gab es sehr häufig im Bergischen Land. Oftmals war es auch eine Metzgerei, deren Umsatzgewinne die Erträge aus dem Schankbetrieb ergänzten – oder eben umgekehrt.

Die beiden Inges nun waren vom Wert her echte Goldstücke – nur die eine in Weiss- und die andere in Rotgold.
Im stets schummrigen Halbdunkel der väterlichen Kramläden verbreitete die Weißgoldinge natürlich den helleren Schein, von dem naturgemäß viele bunte Falter angezogen wurden, die sich dann aber an dem kalten Licht regelmäßig ihre Flügel versengten.
Jedesmal wenn ich von einem flügellahm geworden Buttervogel erfuhr, hat es mich, obwohl ich ja noch ein nur drei Käse hoher Steppke war bannig gefreut – brauchte ich dann doch eine Zeitlang nicht um den Verlust ihrer Zuneigung bangen. Irgendwie war ich wohl ganz schön meschugge in dem Alter.

Wie meschugge gebärdete sich auch Rolf, der Wolfsspitz von Jüntgens Karl, wenn ich des Abends den Weg durch die Wiesen nahm, um unsere Milchkanne auf dem Hof mit frischem Kuhsaft füllen zu lassen.
Ich habe damals noch nicht verstehen können, aus welchem Grunde der graue Wolf mich förmlich anhimmelte. Die alte Bäuerin hätte es mir vermutlich erklären können, so wissend wie sie stets lächelte.

Sein jeweiliges Gegenüber freundlich anzulächeln, war dagegen gar nicht die Stärke des Chefs des kleinen, aber feinen Galvanisierbetriebes oberhalb des Hingenberges. Der Gute war aus seiner Kinderzeit heraus mit einem Kommunikationsmanko behaftet – er stotterte grässlich.
Ob es aus innerem Antrieb, oder ganz einfach aus Geschäftskalkül heraus war, vermag ich nicht zu sagen – jedenfalls engagierte er sich aktiv in der oftmals als Zünglein an der Waage oder später auch als Umfallerpartei bezeichneten blau/gelben politischen Organisation, deren Vorsitzender E. M. damals der Wegbereiter für den Einfall der ‚Fonds-Heuschrecken (ich erinnere an Bernie Kornfeld als den Pionier der Finanzzuhälter) von jenseits des Nordatlantiks in den deutschen
Finanzmarkt war.
Besagte Organisation hatte denn auch mit tatkräftiger Unterstützung erfahrener Sprachklempner für die Überdeckung dieses kleinen Makels gesorgt, sodass ihr Parteifreund nach außen hin frei und ungehindert parlieren konnte. Das gelang ihm aber nur in einem wenig umgänglichen Tonfall, der bei ihm stets mit einer gewissen unangenehmen Schärfe verbunden war.
Da ‚Robertchen’ auch zu den Pennälerzeitkontakten unseres damaligen Brötchengebers gehörte, hatten wir öfter das ‚Vergnügen’ bei Arbeiten in seinem Betrieb seine Ein- und Ausfälle ertragen zu müssen.
Wir entdeckten aber ganz schnell seine ‚Schwachstelle’ – sein Siegfriedsmal – sein Eichenblatt zwischen den Schulterblättern, sozusagen.
Wenn er tief Luft holte, um gleich darauf, wie mit einer Kettensäge ausgerüstet, alle in seinen Augen vermeintlich Schwächeren von den Beinen zu holen, schauten wir ihm nur standfest direkt in die Augen – und schon fing die Kettensäge an zu stottern, das ‚Kettensägengekreisch’ verstummte und unser aufgeblasenes Robertchen fiel wie ein angepiekster Luftballon in sich zusammen.
Wir haben die schlaffe Hülle dann regelmäßig Stunden nicht mehr zu Gesicht bekommen.

In sich zusammengefallen ist in den Anfangssechzigern auch mein Glaube und mein Vertrauen in die Seriosität so einiger Unternehmen und Betriebe für die bekannte Namen honoriger stadtbekannter Bürger standen.
Im Schatten der ‚Fritz Walther Gedächtniskirche’, wie wir die Stadtkirche wegen ihrer Turmkugel nannten, befand sich ein äußerst beliebtes ‚Promenaden-Café`, das einen exzellenten Ruf in der Region der ‚Metzerschlieper’ und Gesenkschmiedebarone besaß und dessen bloße Namensnennung schon vielen Solingern einen Schauer der Ehrfurcht den Rücken hochjagte.
Wer sich als Otto Normal aus irgendeinem Grunde einmal in diesen Genusstempel verirrte, der warf garantiert vor dem Eintreten in die heiligen Hallen der Confiseriepäpste einen prüfenden Blick auf seine Fußbekleidung, um sich zu vergewissern, dass er damit nicht das Missfallen der adrett in schwarz/weiß gewandeten Bedienerinnen erregte.
Mir erging es damit nicht anders, zumal ich ja einer holzschuhgewöhnten ostfriesischen Landbevölkerung entstammte.
Allerdings währte dieses Ehrfurchtgefühl nur bis zu dem Augenblick, in dem ich meine Ostfriesenfüße in die Profanität der hinter der Schmuckfassade liegenden Backstuben setzte. Im gleichen Moment ist mir – und das als wenig peniblem Alltagsgenießer – die Ehrfurcht vor den Konditorgöttern mit dem großen Namen abhanden gekommen.

Völlig parallel dazu lief ein Erleben in einem, wie man es zu der Zeit noch nannte – ‚Schnellimbiß’ der nobleren Art und mit stadtbekanntem Namen als Krone, im Zuge der Hauptstrasse in der Nähe des Ufergartens.
In der Lokalität hatte ich immer gerne und gut gegessen, wenn ich gerade in der Nähe zu tun hatte. Doch als ich eines Morgens dienstlich und auf Knien rutschend die Linie zwischen Gast- und Arbeitsbereich hinter dem Tresen überquerte, um dort Schäden am Fußbodenbelag zu beheben, habe ich mir von der Stunde an eine andere Lokalität zur Befriedigung meiner Hungergefühle gesucht.

Hungergefühle befriedigen und gleichzeitig das Heimwehen der Gedanken an die entfernte Nordseeküste ein wenig gnädig zu stimmen gelang meiner Mutter und mir in der Mittelhöhscheider Hofschaft immer Freitagnachmittag für eine kurze Zeit.
Die Spanne gefühlten und geschmeckten Glückes reichte immer vom Kauf am Fischwagen bis zu dem Moment, in dem der Geschmack vom frischgepulten Granat – den es allzu selten gab, wegen des unerschwinglichen Preises dieser köstlichen Rarität – oder das etwas längere ‚nachschmecken’ von geräucherten Goldbarsch, oder seines noch schmackhafteren Vetters Heilbutt von der Zunge verschwunden war.
Fischhändler Reinshagen – der wegen seines durchdringenden markanten Rufes: „Hüürt ens, hadder all de frisch injeleiten .Herings probeert?“ allgemein in der Gegend nur „De Hüürt ens“ genannt wurde, begab sich nämlich an jedem Freitag den Gott werden ließ, mit seinem knatternden Tempodreirad vom Entenpfuhl aus - wo sich in einer hölzernen Nachkriegsnotunterkunft sein stationäres Hauptgeschäft befand - auf Kundenfang durch die Hoch- und Runtergegend der Stahlwarenkommune.
Er war zu seiner Zeit wohl einer der erfolgreichsten ‚Käuferangler’ im Bergischen Land, denn in kürzester Frist wandelte sich sein Barackengeschäft zu einer massiven, imposanten Fischbratküche und Muschelsiederei.

Mit Fisch und Muscheln hatte Paashaus Mäckes in seinem hölzernen Büdchen am Rande des Aufderhöher Gummibahnhofs nun rein gar nichts im Sinn – wenn man von seinen Forellenteichen im Kohlsberger Grund einmal absah. Von seinen Forellen hat nämlich nie auch nur eine jemals einen Blick aus glubschen Fischaugen in die Klümpchen- und Zeitungsbude da zwischen Bundesstrassendoppel und Marktplatz werfen dürfen.
Seine Umsatzbilanz wurde in erheblichem Maße von Bockwürsten gestützt. Bockwürste, die noch echte ‚Knacker’ waren und von denen er in dem kleinen verräucherten Geviert im Inneren der Bude täglich mehrere Hundert Paare an den Mann brachte. Männer waren es nämlich hauptsächlich, die Paashaus Mäckes Brühlinge zu schätzen wussten.
Mäck berichtete jedem der es hören – oder auch nicht hören wollte, von dem sagenhaften 32 Bockwürste Verzehrrekord eines Fernfahrers.
14 Stück dieser kulinarischen Köstlichkeiten habe ich mit eigenen Augen einmal zwischen den Kiefern eines stämmigen Asphaltritters verschwinden sehen. Und das seinen Knackern verfallene Fernfahrer oftmals kilometerlange Umwege fuhren – nur der Bockwürste wegen – habe ich oft genug von den Kapitänen der Landstrasse bestätigt bekommen.
Beim Paashaus Mäckes brauchte man übrigens nur die Würstchen bezahlen – den Senf von`'Strathmann' in Form eines gelben Klackses auf dem Pappteller und Mäcks eigenen 'Senf', für die Ohren in humorige Worte verpackt, bekam jeder Gast kostenlos dazu geliefert.

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Bürgerreporter:in:

Ewald Eden aus Wilhelmshaven

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