Heimat ist hip, Teil 3

Stecken Heimat und Lokales den gleichen Claim, das gleiche räumliche Areal ab?
Oder sind die beiden Begriffe gar keine Synonyme.
"Das Lokale wird zunehmend anders verstanden", sagt Jens Lönneker. Der Psychologe aus Köln hat sich mit seiner tiefenpsychologischen Forschung auf Markt- und Medienanalysen spezialisiert. Wer in seiner Freizeit Stunden um Stunden in sozialen Netzwerken sitzt, Beiträge schreibt und kommentiert, Fotos einstellt, sich mit E-Mails beschäftigt und Kontakte zu virtuellen Freunden pflegt, dessen vier Wände können sich irgendwo und überall in der Republik befinden. Sein lokales Ambiente reduziert sich weitgehend auf einen realen Schreibtisch mit Leuchte, Kaffeetasse, Chipstüte, also mit wenigen tatsächlich existierenden Dingen und auf den virtuellen Schreibtisch in den Maßen des Flachbildschirms.

Für Lönneker ist der Lebensalltag vor allem von Schülern und Studenten immer stärker von Parallelwelten mit ihrem jeweiligen Mikrokosmos geprägt: Facebook, myheimat, Tierfreund, Xing als Karriere-Netzwerk, Spezialisten-Blogs, dazu Spielekonsolen, Heimkinobeamer und vieles mehr. Mehr und mehr spielt sich in einem virtuellen Dasein aus zweiter Hand ab. Das reale Leben hingegen wird zum Fragment, die konkrete landschaftliche Umgebung, der Wohnort treten in den Hintergrund, schrumpfen zur bloßen Kulisse mit geringer sozialer und gesellschaftlicher Bindung. Der Rechner mutiert zur Heimat. Bahn, Auto, Wohnung – das sind die Elemente des neuen Lokalen, vielleicht noch die Gaststätte oder der Fitnessclub in der Nachbarschaft. Alles Übrige verliert an Bedeutung.

Wenn der Rechner zur Heimat wird, der sich in Pausen sogar in ein virtuelles Aquarium verwandeln kann, dann ist die Community der Ersatz für die fehlende Familie, der Chat der Ersatz für ein reales Gespräch, der Blog der Hilferuf eines vereinsamten Individuums. Was gerade lokal, also örtlich ist, mag häufigen Wechseln unterworfen sein. Zum Wurzeln schlagen, zum Ankern und Verankern taugt es indes nicht: Heimat ist ohne menschliche Nähe undenkbar, ohne wechselseitige Einfühlung. Netzwerke können weder Heimat bilden noch ersetzen. Ein Säugling ist für den Philosophen Christoph Türcke aus Springe das beste Beispiel: An einem Netzwerk kann kein Baby wirklich saugen, wird kein Säugling wirklich satt.

Bürgerreporter:in:

Clemens Wlokas aus Springe

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