Weg vom Atom – mit heißem Herzen, aber mit Verstand

... Die Biologische Uhr tickt. Die Weltbevölkerung wächst. Der Hunger auch. Nahrungsmittel in großem Stil zu vernichten, ist menschenverachtend. ...
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  • ... Die Biologische Uhr tickt. Die Weltbevölkerung wächst. Der Hunger auch. Nahrungsmittel in großem Stil zu vernichten, ist menschenverachtend. ...
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Neulich war ich auf einer Party. Sehr nettes Publikum. Gediegen, kommunikativ. So am Rande kam das Gespräch auch auf Biogas. Ich frage eine Tischnachbarin aus dem Nachbarort, was sie denn von der neuen Biogasanlage bei ihr „um die Ecke“ halte. Zunächst Erstaunen, denn sie vermutete, ich meinte die Anlage in Springe. Doch ich redete über das südlich ihres Ortes nahegelegene Projekt. Sie habe davon noch nichts gehört, merkte sie an. Ich wies mit dem geistigen Finger auf die Bundesstraße, die vor ihrer Haustür vorbei zur Rattenfängerstadt führt und erwähnte, dass man die Baumaschinen an der Straße mitten auf dem Acker eigentlich nicht übersehen könne.

So wie meiner Tischnachbarin ergeht es wohl Vielen. Auf den ersten Blick ist eine Baustelle wie eine von vielen. Erst im zweiten Bauabschnitt werden die Konturen deutlich, und Vorbeifahrende können die typischen runden Konturen von Fermentern und Gärrestbehälter ausmachen. Eigentlich sollten die Menschen mehr über die Biogasanlagen wissen. Über 7.000 davon arbeiten schon in Deutschland. Es muss uns Deutsche stolz machen, dass wir in Bau und Betrieb von Biogasanlagen Spitzenreiter in der Welt sind. Weit abgeschlagen kommt China mit gut 300 Anlagen und dann erst kommt der Rest der industrialisierten Welt. Im Verlauf des Gespräches kamen wir auch auf den Stellenwert der Biogastechnologie zu sprechen, nachdem wir die ökologischen Aspekte aus deren Nutzung abgehakt hatten. Mit dem Brustton der Überzeugung sagte sie, durch was die Atomkraft denn sonst ersetzt werden solle?

Wie oft bin ich diesem deutlich zu kurz gegriffenen Argument seit dem letzten Jahr begegnet, wie oft musste ich mir sagen lassen, ich sei nicht auf der Höhe der Zeit, nur weil ich nicht in das Biogas-Hurra einstimmte. Zwar war der Kommunalwahlkampf im letzten Jahr in Springe so flach wie nie zuvor, das „Methangasding“ am Schwarzer Koppelweg – also das Ding direkt vor der Haustür -, war nur am Rande Wahlkampfthema. Weichen waren schon vor dem Kommunalwahlkampf mit darüber hinaus reichenden Folgen gestellt worden. War meine Tischnachbarin etwa ein Opfer der PR-Maschinerie der Agro- und Biogasindustrie mit ihren Energiewendeparolen geworden? Biogas – biologisch gut?

Tatsächlich dürfte das Wissen um die komplexen Zusammenhänge der Biogastechnologie den meisten Bürgern fremd sein. Und wenn vor Ort, da wo solch ein Reaktor wie in Springe geplant wird, umfassende Informationen und sachliche Auseinandersetzungen über die Für und Wider dieser Technologie unterdrückt werden, dann dürfen sich Investoren und Politik nicht wundern, wenn ihnen rauer Wind ins Gesicht bläst. Es ist auch gut zu wissen, das „Nicht-Befürworter“ und insbesondere Betroffene nicht mehr allein sind. Es gibt ein deutschlandweites Netzwerk der Biogaskritiker. Die Initiativen mit Weitblick. Hier werden Informationen tagesaktuell ausgetauscht. Auf diese Weise entsteht eine von Investoren und Politik ganz sicher unerwünschte Transparenz, die den allzu forschen Biogasapologeten das Leben mit verkannt hoher Geschwindigkeit schwer macht. Die wachsende Zahl der Normenkontrollverfahren und Anfechtungen von Genehmigungen für Biogasanlagen in ganz Deutschland sind hierfür eindrucksvoller Beweis. Dass sich die Goldgräberstimmung in der Biogaswirtschaft wegen stark abgenommenem Interesse an ihren Produkten in einem Stimmungstief befindet, dürfte viele Gründe haben: 1. der wachsende Widerstand einer informierten Öffentlichkeit gegen Biogasanlagen „vor Ort“, 2. die düstere Aussicht auf wackelige Einspeisevergütungen wie bei der Solarenergie.

Biogas versus Atomkraft? Erinnern wir uns: In den 60er Jahren wurde der Einstieg in die Atomenergie beschlossen. Der Grund: Unabhängigkeit von Primärenergieimporten. Bis dahin stammte hierzulande die meiste Elektrizität aus Öl- und Gaskraftwerken. Der Einstieg in die Atomwirtschaft war parteienübergreifend gewollt. Grüne gab es damals nicht. Politik und Atomwirtschaft waren sich seinerzeit darüber einig, dass diese komplexe Technologie auch die Zustimmung der Bevölkerung brauchte. Zu nahe war man noch Hiroshima und Nagasaki. So war die Einrichtung von Informationszentren am Ort einer jeden Atomkraftwerksbaustelle Pflicht.

Forschung, Industrie und Kraftwerksbetreiber organisierten umfassende Aktivitäten zur Information der Öffentlichkeit. Manchmal mutete das an wie organisierter Informationstourismus. Aber es wurde informiert, der Dialog mit der Öffentlichkeit gesucht. Es wurde heftigst demonstriert. Gleichwohl verschloss sich die Atomwirtschaft nicht der wachsenden Kritik in der Bevölkerung. Dass der Ausstieg aus der Atomenergie nun eingeleitet worden ist, ist allerdings nicht auf Mangel an Information zurückzuführen, sondern ein Ergebnis der Macht des Faktischen.

Die Biogastechnologie ist schleichend eingeführt worden. Mit kleinen Anlagen mit bis zu 500 kW elektrischer Leistung. Es gab keine Öffentlichkeitsarbeit. Die standen in der Regel am Bauernhof und die Substrate wie Mais oder Gülle entstammten dem eigenen Betrieb. Der Stromverkauf aus diesen Anlagen, so wollte es die Politik, sollte ein gesichertes Zubrot für die kleinen Landwirte sein. Als das funktionierte, wuchs die Begehrlichkeit. Kleine Biogasanlagen für kleine Landwirte und große Biogasanlagen für große Landwirte und Investoren aus dem In- und Ausland. Die Biogaslobby setzte sich durch. Die Politik traf folgenschwere Entscheidungen nicht zuletzt auch unter dem Druck des Atomausstiegs, der schon vor Fukushima auf den Ordnungspolitikern lastete.

Dass die Biogastechnologie Forschung und Markteinführungshilfen beanspruchte wie Sonne, Wind oder Atomkraft, soll an dieser Stelle nicht weiter gewürdigt werden, da man das unter dem Grundsatz der Gleichbehandlung nachvollziehen kann. Auch jetzt verzichtete man, obwohl staatliche Zuschüsse reichlich flossen, auf breitangelegte Information. Der Biogas-Express war auf Expansion getrimmt, dessen Ansatz Angst macht: 2011 rund 7.000, 2015 rund 10.000 und 2020 rund 15.000 Biogasanlagen in Deutschland mit einer fragwürdigen Leistungs- und Umweltbilanz, zumal die in diesen Anlagen erzeugte Wärme größtenteils ungenutzt die Atmosphäre weiter aufheizt, von dem biologischen Dreck ganz zu schweigen.

Raus aus den Kartoffeln, rein in die Kartoffeln – will heißen, aus der atomaren „Bedrohung“ raus und hinein in eine biologisch fragwürdige Zukunft! Mittlerweile ist es Stand des Wissens, dass die Biogastechnologie mit ihren landwirtschaftlichen und ökologischen Folgen in einer Katastrophe enden dürfte. Es ist an der Zeit, anzuhalten und die Ausbaupläne zu überdenken. Welche Gefahren auf uns und unser Ökosystem warten - Diskussionen darüber gelten als unerwünscht. Das, was man der Atomwirtschaft vorwarf, sie würden potenzielle Auswirkungen verschweigen, genau das erleben wir jetzt aktuell bei der Biogastechnologie.

„Durch was soll denn die Atomkraft ersetzt werden, wenn nicht durch Biogas?“ Solche gebetsmühlenartig vorgetragenen Sprüche sollten die Diskussionen darüber flach halten. Denn betrachtet man die elektrische Leistungsbilanz 2011, dann haben die rund 7.000 Biogasanlagen den Mais von gut 800.000 ha Ackerfläche „verzehrt“ und zusammen mit Gülle lediglich 17,5 Terawattstunden Strom erzeugt. Der Gesamtverbrauch Deutschlands lag aber bei 600 Terawattstunden. Der Beitrag des Biogases lag also nur bei knapp drei Prozent. Wer heute noch behauptet, Biogas könnte die Atomkraft substituieren, legt ein falsches Zeugnis ab. Es bestand zu keinem Zeitpunkt ein ernsthafter Grund, die Biogastechnologie ohne Risikoabschätzung und ohne überarbeitete immissionsschutzrechtliche Genehmigungen mit aller Gewalt voranzutreiben. Es gab auch zu keiner Zeit klimarelevante Gründe für deren zügigen Ausbau. Aber um das minderwertige Gas aus Biogasanlagen hoffähig zu machen, schreckte man nicht davor zurück, auch das Erdgas als klimaschädlich zu diskreditieren.

Es ist hinreichend bekannt, dass die Nutzung von Erdgas weniger Kohlendioxid produziert als Öl und Kohle. Es wäre gut für das Klima, wenn Erdgas die Kohle ablöste. So plant es auch die Bundesregierung, für die der Bau von leistungsfähigen Gaskraftwerken Programm ist. Dies würde die Kohlendioxid-Emissionen verringern - eine Maßnahme, die vor allem für die nächsten Jahrzehnte wichtig sein könnte, so die Max-Planck-Gesellschaft. Aus Sicht der Wissenschaftler sollten daher die nächsten Jahrzehnte genutzt werden, um Technologien zur Verminderung von Kohlendioxidemissionen weiter zu entwickeln. Die bekannten Erdgasvorräte reichen bei heutigem Verbrauch noch gut 70 Jahre. Neue Erdgaskraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung können die Zeit ohne weiteren Ausbau der Biogastechnologie sehr wohl überbrücken. Und das würde unseren Forschern und Konstrukteuren die Zeit geben, eine umfassende Nutzung von Wasserstofftechnologie und Brennstoffzellen voranzutreiben.

Es gibt aber wesentlich gewichtigere Gründe, wertvolles Ackerland nicht mit Energiepflanzen zu bestellen. Als Industrieland auf höchstem Entwicklungsniveau darf es nicht angehen, dass auf unseren Feldern Nahrungsmittel angebaut werden, um sie zu schreddern und in Biogasanlagen als Substrat einzusetzen. Noch muss nicht der letzte Strohhalm an Primärenergie zusammengefegt werden, damit wir uns ungebremst bedienen können, anstatt beherzt an Energie, vor allem an Elektrizität einzusparen.

Auf dem Ackerland, auf dem ungebremst Energiepflanzen angebaut werden, sollten aus der Verantwortung einer satten Industrienation heraus Nahrungsmittel für die Hungrigen der Welt produziert werden. Denn Strom und Abwärme aus Biogasanlagen in Deutschland können die Ärmsten der Armen nicht essen. Körnermais und Getreide gehören auf unsere Äcker. Der Export dieser landwirtschaftlichen Produkte im großen Stil würde auch Spiegelbild einer aufgeklärten Gesellschaft sein, die bereit ist, die Probleme der Welt auf friedlichem Weg mit anzupacken. Und dafür sollten die Landwirte mit auskömmlichen Preisen honoriert werden, statt das Geld Investoren aus dem In- und Ausland Investoren in den Rachen zu werfen.

Doch wenn man den Prognosen des National Renewable Energy Action Plan (NREAP) folgen will, dann werden in Deutschland 2020 Biogasanlagen mit einer elektrischen Leistung von rund 4 Millionen Kilowatt installiert sein. Bleiben wir beim Mais, so wird die benötigte Substratmenge eine Ackerfläche von rund 2 Millionen Hektar verbrauchen – Land, auf dem sinnfälligerweise Nahrungsmittel angebaut werden sollten.

Und dann wäre da noch das Thema Massentierhaltung mit den für Biogasanlagen wichtigen Abfallprodukten Gülle, Kot und Dung. An dieser Stelle ein Zitat aus dem Interview in der HAZ mit dem Grünen Jürgen Trittin, in dem er gefragt worden ist, was die Grünen in Niedersachsen gegen Massentierhaltung tun würden, wenn sie mitregieren würden: „Etwa ein striktes Verbot aller Exportsubventionen. Es ist absurd, dass wir Soja aus Südamerika importieren, um damit Tiere zu füttern, die dann wieder exportiert werden. Und dann muss man neben strengeren Immissionsvorschriften Bestandsobergrenzen in der Landesplanung verankern. Da lohnt sich der Konflikt.“, so Trittin.

... Die Biologische Uhr tickt. Die Weltbevölkerung wächst. Der Hunger auch. Nahrungsmittel in großem Stil zu vernichten, ist menschenverachtend. ...
... Kluge Landnutzung nützt allen. Biogas ist kein Königsweg. Erdgas ist Brückentechnologie für intelligente und effiziente Energiesysteme. ...
Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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