Zeitreise ans Ende der Weltmeere – Kap Hoorn

... Kaskaden entlassen Gletscherwasser ...
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Es war immer schon mein Wunsch, ans Ende der Welt zu fahren. Mit dem Fahrrad durch Patagonien, das war der Traum. Der hatte sich zerschlagen, doch die überkommenen Sehnsüchte blieben. Ich hatte zwar schon Südamerika bereist, bin auf Bananenschiffen mindestens zwanzig Mal in beide Richtungen durch den Panamakanal nach Manta und Guayaquil in Ecuador gefahren, doch weiter nicht. Zwar sind die traditionellen Schifffahrtswege um das Kap Hoorn und Feuerland herum, oder die Magellan Straße und der Beagle Kanal heute Relikte aus der Windjammerzeit. Kein Handelsschiff nimmt mehr Kurs ans Ende der Welt. Doch das Interesse an der wildesten und stürmischsten Region unserer Erde, da, wo Atlantik und Pazifik aufeinandertreffen, ist gewaltig. Kreuzfahrtschiffe und beinharte Segler kreuzen in diesen Gewässern. Massentourismus zur See oder Einsamkeit und Abenteuer Suchende auf Segelbooten geben sich hier ein Stelldichein.

Ich habe mich für den Massentourismus zur See entschieden, um zur südamerikanischen Sommerzeit die Jahreswende an Bord zu erleben. Zusammen mit rund 2.500 Passagieren und 1.200 Besatzungsmitgliedern. Am 22. Dezember gehe ich in Valparaíso an Bord; von Bord geht’s in Buenos Aires. Mit dem Kopf im Nacken mustere ich die Brücke, den Schornstein und die Decks des rund 300 Meter langen Potts. Platz für alle wird wohl da sein. Die Abfertigung ist professionell und schnell. Rein in meine Balkonkabine im elften Deck an Steuerbordseite. Mit dem Fahrstuhl fahre ich auf das Sonnendeck, um beim Auslaufen der Star Princess dabei zu sein.

Ich bin nicht der Erste, finde aber dennoch einen Platz, um das von der Abendsonne lichtgeflutete, bunte Szenario Valparaísos in Ruhe genießen zu können. Verträumt schweift mein Blick über die Stadt mit den bonbonfarbenen kleinen Wellblechbutzen, die auf den fünfundvierzig Hügeln festgeklebt zu sein scheinen. Der tiefe Ton des Nebelhorns reißt mich aus dem Stillleben. Es ist das Signal zum Auslaufen.

Das Bordleben nimmt mich allen Befürchtungen zum Trotz gefangen. Noch zuhause unkte ich, dass ich wahrscheinlich schon am dritten Tage auf See beschäftigungslos umherirren oder im Maschinenraum Messing putzen würde. Wie konnte ich mich doch irren. Keine Spur vor Langeweile. Es gab genug zu tun, das Schiff zu erkunden und an Deck Ausschau zu halten nach Walen, Robben, Albatrossen, oder nur, um die schneebedeckten Kuppen der Anden an Backbord anzuschauen.

Auch wenn Tausende Menschen durch das Schiff wuseln, an Tanz- und Sprachkursen, an Bingo oder Karaoke teilnehmen, im Casino Cents in die einarmigen Banditen stopfen, es nervt nicht. Wer will, findet immer auch einen Ort zum Rückzug. Und wenn es frühmorgens die Sauna ist. Dass es an unserem ersten Tag auf See regnet, stört mich nicht. John May, ein erfahrener Reiseleiter der Princess Line bereitet uns auf den bevorstehenden Landgang am Heilig Abend in Puerto Montt vor.

Mit uns würden noch drei weitere Kreuzfahrtschiffe im Hafen sein, sagt er, und alle Passagieren müssten mit Tenderbooten an Land gebracht werden. Bei Regen und etwas kabbeliger See im Hafen. Schlagartig würden rund 10.000 Menschen den Ort überfluten. Die Bewohner, Geschäftsleute wie auch Busfahrer, kennen das, erzählt John May, Stress würden allenfalls die ganz „Eiligen“ unter den Passagieren haben.

Als wir nachmittags von unserer Exkursion zurückkehren, erleben wir, was es bedeutet, „durch ein Nadelöhr“ schlüpfen muss. 10.000 Leute stehen dichtgedrängt in der Abfertigungshalle, Handtaschen werden durchleuchtet und über zwei Stege gelangen die Wartenden in buchstäblich endloser Schlange zu den Tenderbooten und zu ihren Schiffen. Bald lichtet die Star Princess den Anker und nimmt Kurs auf Punto Arenas einem wichtigen Hafen inmitten der Magellan Straße.

Am 26. Dezember wache ich früh auf. Es ist 00.45 Uhr. Die Maschinen laufen langsamer. Die Star Princess fährt in die zerklüfteten Fjorde ein, Lotsen haben das Kommando übernommen. Ich gehe an Deck. Kalter Wind bläst mir ins Gesicht. Kein Mensch weit und breit. Ich bin allein. Backbords die schneebedeckten Kuppen der Anden und irgendwann, ich bin ziemlich durchgefroren, kommt die Belohnung. Das Schiff wird sicher durch die engen, kurvigen Passagen geleitet und erreicht gegen 08.35 Uhr den großen Amalia Gletscher. Er ist einer von den achtundvierzig chilenischen Gletschern. Das Schiff stoppt. Den Passagieren bietet sich ein unglaubliches Panorama. Eisbrocken brechen ins Meer und schwimmen auf dem Wasser, als würde eine Gruppe von Eisbären darin tummeln.

Die bizarre Oberfläche des Gletschers mutet an wie die Stehlen einer von Riesen gemachten Naturplastik. Alle versuchen, einen noch höheren Standort auf dem Schiff zu erklimmen, um ein noch spektakuläres Fotos zu schießen. Es ist ein Privileg, dieses vergängliche Naturschauspiel erleben zu dürfen. Und – es gibt an Bord kein Gletschereis für Whiskey on the Rocks. Doch es ist begehrt: Die chilenische Polizei hat unlängst einen Kühllaster mit 5,2 Tonnen Gletschereis aufgebracht. Das Eis stammte aus den Eismassen des rund 2.000 Kilometer südlich von Santiago gelegenen Gletschers Jorge Montt und sollte schätzungsweise einen Wert von rund 4.000 € haben.

Die Star Princess nimmt wieder Fahrt auf und anderentags gehen wir vor Punta Arenas vor Anker. Als die engen Zufahrten zu den Fjorden vorbeigleiten, entsteht vor meinem geistigen Auge plötzlich ein anderes Bild: Ich sehe die S.M.S. Dresden, jenen kleinen Kreuzer der kaiserlichen Flotte, der sich hier nach der Schlacht bei Falkland vor knapp 100 Jahren in einer der zahlreichen kleinen Buchten vor englischen Zerstörern versteckte. Ohne Proviant, ohne Kohlen für die Kessel. In einer dieser schier unwegsamen Buchten der Fjorde hatte der Deutsch-Chilene Albert Pagels, ein Lotse aus Punta Arenas, die Dresden gelotst und ihnen versprochen, später Kohlen und Proviant zu bringen. Dieses Versprechen wurde eingelöst, wie fast hundert Jahre später sein in Punta Arenas geborener Sohn Geerd auf der Wanderung durch den Nationalpark „Magellanes“ erzählt. Er spricht perfekt Deutsch, das gefärbt ist von pommerscher Mundart. Er lernte es so von seinem Vater, der von der Insel Rügen stammte, so Pagels.

Geerd Pagels, hochgewachsen, schlohweiß, zweiundachtzig und Fit wie ein Turnschuh, ist heute Fremdenführer für deutsche Touristen, die er in den nahegelegenen Nationalpark mit seinen den Pinguinkolonien, den Nandus, begleitet und von den riesigen Steinkohlelagern mit mehreren Milliarden Tonnen erzählt, die hier knapp unter der Erdoberfläche liegen würden. Das bleibt Chiles Reserve, sagt er und zeigt auf einen Fuchs am Wegesrand, der mit Beute im Fang am Bus vorbeischnürt, als wolle er damit zum Ausdruck bringen, auch die Chilenen wären schlau.

Die Pinguine im Naturpark und Punto Arenas liegen schon zehn Stunden hinter uns, als die Maschinen wieder langsamer werden. Im beginnenden Tageslicht haben wir die Allee der Gletscher erreicht. Zur Erinnerung gaben europäische Siedler, die versuchten, sich hier niederzulassen, den Gletschern die Namen ihrer Heimatländer – Espana, Romanche, Alemania, Francia, Italia und Hollanda. Langsam passieren wir die Eisespracht, einige der Gletscher sind schon zurückgewichen und Wasserfälle stürzen von ihrer Sohle in die Tiefe zum Meer. Sind sie vom Klimawandel in ihrer Existenz bedroht? Wir laufen Ushuaia an, die südlichste Stadt Argentiniens. Allerdings bleibt wenig Zeit, hier die absolute Krönung der Meeresfrüchte, die Königskrabbe, zu genießen. Nach einem kurzen Ausflug ans Ende der Traumstraße der Welt heißt es wieder: Leinen los.

Der Beagle Kanal führt uns nach Port Williams. Dort kommt die Einwanderungsbehörde an Bord. Der Zollformalismus ist auch hier wichtiger Teil der Kontrolle, wer und was sich in den Hoheitsgewässern tummelt. Während vor fünfhundert Jahren die Entdeckerflotte unter Ferdinand Magellan die Magellan Straße, 1831 der Engländer Robert FitzRoy mit der H.M.S Beagle den heute gleichnamigen Kanal ungehindert für die Seefahrt erschließen konnten, sah das Jahre später anders aus. Dort kämpften Briten und Deutsche um die Meeresvorherrschaft. Wer das Revier um Kap Hoorn kontrollierte, hatte die Macht. So tobten hier wie auch bei den Falklands blutige Seeschlachten, in denen die Briten schließlich die Oberhand behielten.

Die Gewässer um Kap Hoorn (Isla Hornos) sind berüchtigt. Darin befindet sich der wohl größte Schiffsfriedhof der Welt. Experten schätzen, das rund 800 Schiffe quasi mit Mann und Maus untergegangen sind als Opfer heftiger Stürme, hoch auftürmender See und gewaltigen Meeresströmungen. Aber jetzt, bei der Umrundung des Kaps und auf der Fahrt zu den Falklands, ist die See ruhig. Eine leichte Dünung wiegt das mit gut 100.000 Bruttoregistertonnen vermessene Schiff. Am 29. Dezember 2012 erreichen wir Port Stanley. Es regnet. Das hindert uns aber nicht, uns an Land übersetzen zu lassen. Dass die Falkländer den Regen mit stoischer, britischer Gelassenheit ertragen, liegt wohl in ihrer Natur, die wir hier hautnah erleben dürfen. Die Häuser, der Hafen, können auch in Cornwall liegen. So anders sieht es hier nicht aus. Auch wenn der Zielhafen Buenos Aires ist, endet in Stanley auf den Falklands mein Bericht über die Zeitreise, die mich und meine Frau ans Ende der Welt geführt hat.

Bürgerreporter:in:

Friedrich Schröder aus Springe

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