Auf dem Golfplatz ausgesetzt

Kater Moritz

Normalerweise spiele ich sonntags nicht Golf. Da ist mir zuviel los auf dem Platz und als Freiberuflerin kann ich mir meine Arbeitszeit ja einteilen, deshalb schlage ich die kleinen weißen Bälle vorzugsweise unter der Woche.

An einem Sonntag im vergangenen August allerdings habe ich eine Ausnahme gemacht, weil meine Freundin Jacqueline ein „normal“ arbeitender Mensch ist, der fürs Golfen am Werktag extra Urlaub nehmen muss. Es war ein sonniger, heißer Sommertag, ich quälte mich über die Fairways, nach über sechs Wochen Spiel-Abstinenz wollten die Bälle so gar nicht fliegen, außerdem lief mein Kreislauf auch nicht so rund wie üblich, ich schwächelte, sehnte mich nach meinem Sofa und hatte vor, mich am neunten Loch zu verabschieden. Meine Mitspieler waren über meinen Entschluss gerade unterrichtet, als ein kleines schwarzes Kätzchen meinen Weg kreuzte. Kläglich miauend. Katzen sind auf einem Golfplatz nicht unbedingt Usus, also blieb ich stehen. Zutraulich schmiegte das Kätzchen sich an meine Beine. Es einfach so hier zu lassen, das war mir definitiv nicht möglich, denn es hatte sich bestimmt verlaufen. Aber wo kam es her? Vom zur Golfanlage gehörenden Gutshof vermutlich. War wohl ausgebüchst, die Kleine.
Ich griff sie mir, ganz vorsichtig, denn so messerscharfe Krallen können einem ziemlich schnell die Lippe aufschlitzen oder ein paar kleine Löcher in die Wange bohren. Doch das Kätzchen kuschelte sich in meine Arme, als seien wir alte Bekannte und auf den ungefähr 200 Metern zum Gutshof hat es nicht ein einziges Mal den Versuch unternommen, sich aus meiner Umarmung zu lösen. Es lag einfach nur da, hechelte ein bisschen und miaute leise.

Auf dem Hof des Gutshauses angelangt, konnte ich keine Menschenseele entdecken. Na ja, Sonntag Mittag, die Leute saßen vermutlich alle beim Essen. Ich drückte den Klingelknopf und nach wenigen Sekunden wurde die Tür geöffnet. Im Rahmen stand eine mittelalterliche Frau mit unfreundlichem Gesichtsausdruck.
„Gehört die Katze Ihnen?“ Ich hielt der Frau das Kätzchen entgegen.

„Nein!“, sagte sie kategorisch. „Wir haben keine Katzen.“

Als ich wissen wollte, wo die Kleine hingehören könnte, meinte die Frau, dass sie vermutlich ausgesetzt worden sei. Das passiere immer wieder, „Urlaubskatzen“, sagte sie gefühllos. Was ich denn nun mit der Fundsache machen solle, fragte ich. „Keine Ahnung“, sagte die Frau und schlug mir die Tür vor der Nase zu.

Da stand ich nun, mit dem Kätzchen auf dem Arm. Hier lassen würde ich es auf keinen Fall, das war klar. Ich würde es erstmal mitnehmen und am nächsten Tag ins Tierheim bringen. Ja, das war mein Plan. Schließlich hatte ich ja bereits drei Katzen. Mit dem Kätzchen auf dem Schoß fuhr ich nach Hause. Das ging ganz problemlos, denn es versuchte nicht einmal, das Auto zu erforschen, sondern kuschelte sich vertrauensvoll zwischen meine Oberschenkel. Zu Hause angekommen, warf ich erstmal einen Blick unter den Schwanz des Kätzchens. Das Kätzchen war kein Kätzchen, sondern ein Kater, ungefähr drei Monate alt. Ein hübscher kleiner Kerl, pechschwarz, mit weißen Schnurrhaaren, weißem Fleck auf dem Bauch, weißen Zehen an den Vorderfüßen und weißen Kniestrümpfchen an den Hinterbeinen. Sein Fell glänzte, aber die untere Nickhaut an den Augen war hervorgetreten – eindeutiges Zeichen von Wurmbefall. Ich rief in der Tierklinik an, und bekam gleich einen Untersuchungstermin. Das war auch gut so, denn der kleine Kater hatte Durchfall – dokumentiert im Regal in meinem Arbeitszimmer, in einem Bücherkarton und auf einem Wäschestück im Bad. Gott sei Dank habe ich eine gute Nase und konnte die Hinterlassenschaften schnell erschnüffeln und beseitigen. Die Tierärztin bestätigte dann meine Vermutung, der kleine Kater hatte tatsächlich Würmer – und Flöhe ebenfalls. Also wurde er entwurmt, mit Flohmittel eingepudert und wieder in den Korb gesetzt, wo er während der Fahrt seinen unkontrollierbaren Bedürfnissen freien Lauf ließ. Prima bei Dünnpfiff!

Wieder zu Hause, erklärte ich dem kleinen Kater erstmal die Sache mit dem Katzenklo und dachte mir einen Namen für ihn aus, denn dass ich das schmusebedürftige und sehr anhängliche Kerlchen keinesfalls ins Tierheim bringen würde, das stand mittlerweile fest. Ich hätte das einfach nichts übers Herz gebracht, und wo Platz für drei Leisetreter ist, findet auch ein vierter Raum. Bei einer ausgiebigen Schmuseeinheit erholten wir beide uns dann auf dem Sofa von den Aufregungen. Moritz lag entspannt auf meinem Schoß, Lili, Felix und Lieschen dagegen, die den Familienzuwachs von der Ferne beäugt hatten, waren beleidigt. Daran gab es nichts zu deuteln. Mit großen, ungläubigen Augen hatten sie den Familienzuwachs zur Kenntnis genommen, geknurrt und gefaucht und dann im Schweinsgalopp die Flucht übers Dach ergriffen. Doch das ist normal und kein Grund für Bedenken. Es würde ein paar Tage dauern, bis sie sich an seine Anwesenheit gewöhnt hatten, und ich freute mich schon auf den Augenblick, in dem sie Fell an Fell auf dem Sofa oder dem Bett lümmeln würden.

Apropos Bett: dreimal darf geraten werden, wo Moritz seine erste Nacht verbracht hat. Richtig! Kaum hatte ich meine müden Glieder auf den Futon gebettet, kam er auch schon angetippelt und machte es sich bei mir gemütlich, auf dem Kissen direkt neben meinem Kopf. Dort lag er, zu einem Fellpäckchen eingerollt und schnurrte sich und mich in den Schlaf. Irgendwann ging er seinen Bedürfnissen nach, denn ich hörte ihn im Katzenklo scharren, danach aber wieder: schwupps aufs Kissen. Dort lag der kleine Kerl bis zum nächsten Morgen. Wie erleichtert und glücklich er war, der gefährlichen Einsamkeit entronnen zu sein, war keine Frage.

Meine anderen Drei tauchten am nächsten Vormittag natürlich auch wieder auf. Sie mussten sich schließlich über den Verlauf der neuen und brisanten Situation auf dem Laufenden halten. Jede Stunde saß eine(r) vor der Terrassentür und warf aufmerksame, besser gesagt misstrauische Blicke durch die Scheibe. Aber von Tag zu Tag wurde die Abneigung gegen den kleinen Eindringling geringer, die Zeiten, in denen sie neugierig um ihn herum schlichen, nahmen zu und nach nicht ganz drei Wochen saßen die Vier zum ersten Mal einträchtig in der Küche beim Abendmahl. Der Familienzuwachs war akzeptiert. Zumindest teilweise – denn Lili faucht Moritz heute noch hin und wieder an. Und das nach über einem Jahr…

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Veröffentlicht in meinem Buch: "Das kunterbunte Katzenbuch Nr. 2"

Bürgerreporter:in:

Renate Blaes aus Schondorf am Ammersee

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