Im Knast...

Hinter dieser Türe wartet die Freiheit... für viele bleibt sie für lange Zeit geschlossen...
  • Hinter dieser Türe wartet die Freiheit... für viele bleibt sie für lange Zeit geschlossen...
  • hochgeladen von Franz-Ludwig Ganz

Tief beeindruckt, teilweise bedrückt, verließ kürzlich ein Gruppe von meist älteren Menschen die Würzburger Justizvollzugsanstalt nach einem mehrstündigen Besuch.

Was sie dort erlebten, war nicht nur die beklemmende Situation im Gefängnis, sondern auch die Arbeit von „Knastpfarrer“ Edwin Erhard. Der 61-Jährige leistet dort Seelsorge in unglaublich extremen Situationen. Unterstützt wird er von einem Pastoralreferenten und einigen wenigen speziell ausgebildeten ehrenamtlichen Menschen, die sich als Christen hier engagieren.

Nach der Abgabe aller Autoschlüssel und sämtlicher Handys wurden die Besucher von Edwin Erhard begrüßt. Er, der sich selbst als „Knastpfarrer“ tituliert, erklärte gleich zu Beginn, dass die Abgabe der Autoschlüssel eine Sicherheitsmaßnahme sei, damit bei einem evtl. Kidnapping kein Fluchtfahrzeug eines Besuchers zur Verfügung stünde.

Beeindruckend war auch sein Plädoyer gleich am Beginn: Egal, was die Menschen, der hier eingesperrt sind, an Verbrechen begangen hat, es sind und bleiben Menschen, die es verdienen, dass man ihre Menschenwürde achtet. Oder anders gesagt: „Man muss unterscheiden, zwischen dem, was ein Mensch getan hat und dem, was er ist, was ihn ausmacht“.

Dieses Grundprinzip seiner Arbeit als Seelsorger nahmen die Menschen mit auf ihren Rundgang durch einige Bereiche der JVA und den gelegentlichen Sichtkontakten mit Inhaftierten. Manche winken dem Knastpfarrer aus dem Fenster zu, Erhard winkt zurück.

Die nun 10 Jahre alte Justizvollzugsanstalt im Würzburger Industriegebiet Ost ist geplant für insgesamt knapp 700 Inhaftierte. Davon sind ca. 100 Plätze für Frauen und etwa zwei Dutzend für den Jugendarrest vorgesehen.
Die Gefangenen, die hier einsitzen, haben Höchststrafen von bis zu 4 Jahren abzubüßen.

Für diese Menschen, deren Angehörige, für die etwa 250 Bediensteten und deren Familien ist Pfarrer Erhard, zusammen mit seinem evangelischen Pfarrer-Kollegen, zuständig. „Das ist meine Pfarrei „Zum guten Hirten und den schwarzen Schafen“ meint der Knastpfarrer.

Ein weitere Bereich in diesem großen Gefängnis ist eine psychiatrische Abteilung, in der zur Zeit auch eine Mutter auf ihren Prozess wartet, die angeklagt ist, ihr Baby erstochen zu haben.

Ein Bereich der Justizvollzugsanstalt (JVA) ist ausschließlich für Untersuchungsgefangene vorgesehen, die keinen Kontakt mit den anderen Inhaftierten haben dürfen. Hier sind Menschen inhaftiert, denen Straftaten vom Diebstahl bis zum Mord vorgeworfen werden.

Auf diesem Trakt konnten die Besucher auch eine leere Zelle betreten und sich probehalber einschließen lassen. Wenn dann die Türe krachend ins Schloss fällt und der Schlüssel abgezogen wird, kann wenigstens andeutungsweise empfunden werden, was es bedeutet, auf wenigen Quadratmetern eingeschlossen, gefangen zu sein.

Seit nahezu 10 Jahren sorgt sich Knastpfarrer Edwin Erhard um Menschen in solchen Extrem-Situationen. Menschen, die den Boden unter den Füßen verloren haben, deren Familie durch das Verbrechen und dessen Folgen zerbrochen sind oder zu zerbrechen drohen, die all ihre Freunde verloren haben, die vor dem Nichts stehen.

Eine der vielen Erlebnisse des Knastpfarrers: Ein kleiner Junge im Besucherraum band seine Schürsenkel mit denen seines Vaters zusammen und erklärte, dass jetzt an seinen Vater gefesselt sei und dass er nicht ohne seinen Papa nach Hause gehen würde.
In solchen Situationen und in vielen Gesprächen spüren die inhaftierten Männer und Frauen, existentiell, dass sie Menschen, die sie lieben, sehr verletzt haben und ihnen große Schmerzen zumuten.

Mit dieser Schuld zu leben, Schuld einzugestehen und sich seiner Schuld zu stellen, das sind die häufigsten Themen bei den zahllosen Gesprächen. Dabei, so stellt Erhard auch ganz klar fest, mache es keinen Sinn, in der Vergangenheit mit einem vielleicht prügelnden Vater und einer Mutter, die auf den Strich ging, zu wühlen, sondern einzusehen, dass selbst solch schwierige Lebensumstände den Einzelnen nicht von einer Entscheidung entbinden, sein Leben so oder so zu leben und zu gestalten.

Beim täglichen Hofgang ist zu beobachten, dass fast alle Gefangenen ihre Runden entgegen der Uhrzeiger-Richtung drehen, so, als würden sie instinktiv versuchen, gegen die Zeit im wahrsten Sinn des Wortes anzugehen

Besonders dramatisch wird für viele Inhaftierte die Situation an Weihnachten. Deshalb erbittet Erhard von einem Freundeskreis Spenden, damit für Gefangene, die von „Draußen“ zu Weihnachten nichts zu erwarten haben, ein Geschenkpaket im Wert von 20,- € gepackt werden kann. Viele Tränen der Freude seien den Spendern Dank genug, berichtet Erhard.

Der Knastpfarrer stellt bei all dem nüchtern fest: „Wer hier als Seelsorger arbeitet, muss einen starken Glauben haben, muss mit dem ständigen Eingeschlossensein, dem menschlichen Chaos und dem Blick in Abgründe leben können“.

Über sogenannte Rapport-Zettel wird der Pfarrer von Gefangenen "angefordert".
Bei den Gesprächen geht es meist um existentielle Themen und darum, Tätern zu helfen, mit ihrer Situation zurecht zu kommen, ohne deren Schuld und die evtl. Opfer aus dem Blick zu verlieren.
Dabei bekennt der Knastpfarrer den staunenden Besuchern freimütig: „Ich war noch nie so gerne Priester, wie in den letzten 10 Jahren“.

Ohne seinen bodenständigen Humor würde Erhard seine Aufgabe sehr viel schwerer fallen. Als ihm beispielsweise ein Gefangener, bei dem noch weitere zwei Inhaftierte standen, einmal zurief: „Herr Pfarrer, schauen sie, mir geht’s wie Jesus am Kreuz, rechts und links von mir ein Verbrecher!“ antwortete Erhard: „Seht, das Unschuldslamm!“ und alle lachten herzlich über diese schlagfertige Antwort.

Jeden Sonntag werden in der hellen, aber schlicht gestalteten Gefängnis-Kapelle Gottesdienste angeboten, evangelische und katholische im Wechsel. Etwa 150 bis 180 Gefangene nehmen daran teil.

Eine Marienstatue in diesem Raum, dem einzigen in der gesamten JVA ohne Gitter vor den Festern, ist vielen Gefangenen ans Herz gewachsen: Das kleinen Jesuskind auf dem Arm der Gottesmutter unterzeichnet gerade eine Entlassungsurkunde für einen Gefangenen.

Nach der abschließenden Messfeier in dieser Kapelle, bei der sowohl für die Gefangenen als auch für die Bediensteten der JVA gebetet wurde, stellte sich der Knastpfarrer noch den Fragen der Besucher. Eine lautete: „Wie kommen Sie mit den ganzen Belastungen und den menschlichen Abgründen zurecht, die sich hier für Sie auftun?“ Typisch für Erhard war seine Antwort: „Wenn ich am Abend hier aus dem Knast gehe, dann schau ich zum Himmel hoch und sage: Hör zu, Chef, dass ist Dein Betrieb, übernimm jetzt Du, ich bin nur Dein Angestellter!“.
Manchmal, allerdings, so berichtet Erhard auch, geht das abendliche Abschiednehmen vom Knast nicht so einfach und er spricht davon, dass ihn Erlebnisse und Gespräche bis in die Träume hinein verfolgen.

Als sich dann schließlich nach zweieinhalb Stunden freiwilligen Knastaufenthalts die Eingangstüre hinter uns schloss und wir frische Luft atmen konnten, war die Erleichterung bei den Besuchern fast greifbar.

Wieder ausgestattet mit dem Autoschlüssel konnte jeder hinfahren wohin er wollte, in aller Freiheit...

Bürgerreporter:in:

Franz-Ludwig Ganz aus Rimpar

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