Wolfgang Beutin: „Glücksüchtig“ - Die "Freiheit" des Bundespräsidenten J. G.

Wolfgang Beutin: „Glücksüchtig“

Er scheint keine Hemmungen zu kennen beim Versuch, den Staatsbürgerinnen und -bürgern dieses Landes den Freiheitsbegriff aufzuschwatzen, dem er anhängt.

Heißt das nicht, er nimmt für sich selber etwas in Anspruch, was er allen übrigen nimmt? In Art eines Panzers die Menschen überrollend, wettert er apodiktisch gegen „viele, manche, andere“.

Gegen „viele“ am 12. Juni dieses Jahres in Hamburg. Originalton Bundespräsident Gauck: „Freiheit und Wohlergehen sehen viele als Bringschuld von Staat und Demokratie.“ – Nein, „viele“ sträuben sich nur dagegen, daß der Staat ihnen an Beschränkungen ihrer Freiheit mehr auferlegt, als es für das Zusammenleben aller notwendig ist. Sie hoffen, daß der demokratisch verfaßte Staat ihnen am ehesten die Chance garantiere, nach dem eigenen Wohlergehen zu streben – und manchmal auch dem der anderen –, daß die Demokratie sie am wenigsten behindere, für dies und jenes Sorge zu tragen.

Gegen „Manche“: „Manche verwechseln Freiheit mit Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und Hedonismus.“ – Nein. Der Gedankenlose denkt gar nicht daran, weil er gar nicht denkt, also nicht einmal daran, den Begriff „Hedonismus“ im Fremdwörterbuch nachzuschlagen. Zur Freiheit „mancher“ gehört es unbedingt, sich ohne große Gedankenarbeit einzurichten, immer einmal voller Gleichgültigkeit zu verharren, selbst wo es vielleicht wünschenswert wäre, dem Prediger verkehrter, kraß demokratieferner Gedankenwelten in den Arm zu fallen. Es ist ja nicht ausgemacht, ob „Gedankenlosigkeit“ einer Gesellschaft mehr schade als die Propagierung falschen Gedankenguts, etwa die Abweisung des Hedonismus. Wie ein Philosophisches Wörterbuch den Prediger hätte unterrichten können, gründet sich Hedonismus „auf die sinnlich erfahrbare Lust und Freude“, und gibt es nicht Anlaß, in dieser gewiß nicht besten, jedoch auch nicht schlechtesten aller Welten den Menschen Lust und Freude zu gönnen? Freude ist jener „schöne Götterfunken“ des klassischen Dichters, und wer statt dessen den Zeitgenossen von heute Unlust und Leid zu verordnen sucht, ein verzweifelt rückwärts gewandter Unzeitgemäßer. Er befördert die Finsternis der Gegenaufklärung; – zur Erinnerung: das gesellschaftliche Ideal der Aufklärer bestand in der Herbeiführung des „größtmöglichen Glücks der größtmöglichen Zahl“, eine Zielstellung, die für sie mit dem Aufbau der Demokratie gleichbedeutend war. Schon Dante (um 1300), der größte Dichter seiner Epoche, hob hervor, der Mensch sei im diesseitigen Leben zur Glückseligkeit bestimmt („beatitudo“).

Gegen „Andere“: „Andere sind sehr gut darin, ihre Rechte wahrzunehmen oder gegebenenfalls auch vehement einzufordern.“ – Verheerend polemisierte Gauck hier gegen Grundbestimmungen der Demokratie. In jedem demokratisch verfaßten Staat existieren Vorkehrungen, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, ihre Rechte wahrzunehmen. Sie gar „vehement einzufordern“, wo sie ihnen vorenthalten, verletzt oder entzogen werden. Daher stellt die Demokratie die Institutionen bereit, die den Menschen ihr Recht gewährleisten oder verschaffen sollen, die Gerichte, Anwältinnen und Anwälte, den Ombudsmann oder die Ombudsfrau, Schlichtungsgremien u. a., sie etabliert sich – mit einem Wort – als Rechtsstaat.

Gauck erwähnte sodann einige in der Demokratie angeblich unentbehrliche formale Tugenden, darunter den „Einsatz“, eine Vokabel allerdings, die nahelegt, ans militärische Handeln und Krieg zu denken, zumal er die Rede ausdrücklich für „liebe Soldatinnen und Soldaten“ hielt. Er ließ ungesagt, daß die von ihm beschworene „funktionierende Demokratie“ als obersten Grundsatz den Frieden statuiert (Kant, 1795: Forderung des „ewigen Friedens“), oder wie man seit Dante weiß: „pax universalis“, den allgemeinen Frieden. Er ist in der Demokratie nichts Geringeres als das höchste Ziel der Politik.

Der Bundespräsident jedoch lamentierte: „Daß es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glücksüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen.“ – Aber! Für alle denkenden Menschen – und das sind immer, mit Lessing, die selbstdenkenden Menschen – ist es schwer zu ertragen, daß eine nicht kriegsbegeisterte Gesellschaft sich von einem ausgesprochen kümmerlich argumentierenden Präsidenten die Leviten lesen lassen soll: „glücksüchtig“. Denn darauf zu bestehen, daß jede Frau und jeder Mann in dieser Welt sein Glück finde (sowie: es gelegentlich mache), ist alles andere als eine Sucht, ist ein gutes Recht, des Menschen bestes Menschenrecht.

Zwar gibt es solche Unheilsbringer, die süchtig sind, ihre Zeitgenossenschaft unglücklich zu machen, eine unglücksüchtige Gesellschaft zu erzielen – indes hatte die Wahlversammlung eine glückliche Hand, die ausgerechnet einen davon ins höchste Staatsamt wählte?

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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