Als Onkel Ho aus Frankreich nach Vietnam zurückgekehrt war

Es gibt keine objektive Geschichtsschreibung. Wahrnehmung, Auswahl der Fakten und Kriterien hängen von der Sichtweise, von der Weltanschauung des Historikers ab. Meistens stehen selektive Wahrnehmung und ideologische Prägung einer ganzheitlichen Sichtweise im Wege. Die Realität ist viel komplexer, als wir sie wahrnehmen und beschreiben können. Und oft fehlt uns die Fähigkeit, das Wesentliche zu erkennen. Das betrifft die Gegenwart ebenso wie die Vergangenheit. Diese Anmerkungen betreffen auch meine hier folgenden Betrachtungen.

Ich habe gelesen, dass Vietnam unter der französischen Kolonialherrschaft ausgebeutet wurde und verarmt war, habe die Armut selber gesehen und fotografisch dokumentiert:

Bilder aus Vietnam 1951-54
http://www.dietrichstahlbaum.de/
und
http://www.reds.vn/index.php/khoanh-khac-lich-su/6...

Frankreich hat sich unter der indigenen Bevölkerung eine kleine, zumeist zum Katholizismus konvertierte Elite geschaffen. Diese kollaborierte mit den Franzosen (les colons) und wurde dafür damit belohnt, dass sie an deren Reichtum teilhaben durfte.

1941 kehrte Ho Chi Minh aus Europa nach Vietnam zurück und organisierte den Widerstand gegen die japanischen Besatzungstruppen.

Japan, mit dem faschistischen Deutschland verbündet, hatte seit Juli 1941 Vietnam besetzt und im Einvernehmen mit dem ebenfalls faschistischen Vichy-Regime in Frankreich alle wichtigen Militärstützpunkte und die Verwaltung des Landes unter Kontrolle.

Die Besatzungsmacht begann mit der systematischen Ausplünderung des Landes. Neben Bodenschätzen requirierte die japanische Administration mehrere Millionen Tonnen Reis, das Grundnahrungsmittel der Vietnamesen, zu willkürlich festgelegten Minimalpreisen. Größtenteils wurde er zu Treibstoff für Militärfahrzeuge verarbeitet oder in Kraftwerken verheizt. Diese Politik führte zu einer Hungersnot im letzten Kriegsjahr, die über einer Million Menschen das Leben kostete, und zu einer verheerenden Inflation. (Wikipedia)

Als sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs auch in Vietnam französischer Widerstand organisierte und eine US-amerikanische Invasion bevorstand − die Viet Minh wurde bereits von den USA unterstützt (!) −, landeten die japanische Truppen einen Coup, entwaffneten das gesamte französische Militär und erzwangen die Auflösung der Zivilverwaltung. Am 11. März 1945 erklärte Japan die „Unabhängigkeit“ Vietnams mit Bao Dai als Kaiser.

Japan kapitulierte am 2. September 1945, und Ho Chi Minh rief die Demokratische Republik Vietnam als unabhängige Republik in ganz Vietnam aus. Am 6. Januar 1946 gewann die Việt Minh, die „Liga für die Unabhängigkeit Vietnams“, die erste vietnamesische Wahl zur 1. Nationalversammlung.

Am 6. März 1946 handelte Ho mit dem Abgesandten de Gaulles, Jean Sainteny, einen Kompromiss aus. Danach erkannte Frankreich Vietnam als „freien“ Staat innerhalb der Französischen Union an, während Ho zusicherte, für die nächsten fünf Jahre die französische Kontrolle Nordvietnams anzuerkennen. (Wikipedia) Nach meiner Kenntnis sollten der Grundbesitz und die Rechte der Colons in Vietnam nicht angetastet werden; sie wurden es auch nicht.

Als entgegen aller Vereinbarungen am 23. November 1946 Frankreich Hai Phong bombardiert hatte, begann die Viet Minh unter Hos Führung den Kampf gegen die französische Kolonialherrschaft.

Es stellt sich die Frage, ob die Geschichte Vietnams friedlich verlaufen wäre, ohne Kriege, ohne Armut und Elend großer Teile der Bevölkerung, wenn Vietnam eine Monarchie geblieben wäre, eine konstitutionelle mit Volksvertretung und Parlament wie Großbritannien, Belgien und die Niederlande oder wie Thailand, und wenn Onkel Ho – so haben wir ihn in den 68-er Jahren genannt – keinen Sozialismus eingeführt hätte.

Ich kann mir nicht denken, dass Verträge, die Japan damals abgeschlossen hat, von den USA anerkannt worden wären. Vietnam wäre wie Westdeutschland nach 1945 wahrscheinlich als Vasall der USA in einen Militärpakt gegen den Kommunismus, gegen China und Russland gezwungen worden. Was weiter geschehen wäre, ist nicht schwer einzuschätzen...

Wie dem auch sei: Wir können heute nur sagen: Keine Staatsform, kein Gesellschaftssystem ist optimal. Es kommt vielmehr auf die agierenden Personen an und auf den Entwicklungsstand der Bevölkerung, des Volkes, der Gesellschaft.

Selbst die Demokratie ist, wenn wir Winston Churchill recht geben wollen, „die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.“ [“No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.” - Rede vor dem Unterhaus am 11. November 1947]

Von Lao Tse gibt es die Sentenz: „Das Regieren großer Staaten sei wie das Braten kleiner Fische.“ Original: 治大國若烹小鮮 - Zhì dà guó ruò pēng xiǎo xiān.
[Tao Te King, Buch 2, Kapitel 60 ]

„Man regiere ein großes Land, wie man kleine Fische braten würde.“ [Laotse. Herausgegeben von Lin Yutang, Frankfurt a. M., Hamburg 1955]

„Regiere den großen Staat, wie man kleine Fische brät.“ [Tao Te King, nach den Seidentexten von Mawangdui, Frankfurt a. M. 1995]

Drei Übersetzungen, die das Gleiche aussagen: Regiere achtsam und behutsam, ohne das Wesentliche zu zerstören.

Das Problem der Machtausübung ist demnach sehr alt und dennoch ungelöst. Es wurden Theorien entwickelt, Ideologien, es wurden Utopien erdacht und Staatsmodelle gleichsam auf dem Reisbrett entworfen, aber diesen guten, alten, einfachen Rat („Regiere den großen Staat, wie man kleine Fische brät.“ zu befolgen, erwies sich wohl als zu schwierig, denn Macht haben und zu eigenem Nutzen missbrauchen, liegt in der Natur der Sache.

Wenn ich hier schon beim Sprücheklopfen bin, dann will ich auch Lenin zitieren: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ soll er einmal gesagt haben. Ein russisches Sprichwort lautet: „Vertraue, aber prüfe nach“ (Доверяй, но проверяй – Dowerjai, no prowerjai) [Wikipedia]

Der Themenkomplex Macht und Herrschaft − Demokratie, Sozialismus, Kommunismus hat mich immer wieder beschäftigt. Beiträge dazu unter
http://zeitfragen.blog.de/2008/03/13/karl-marx-ges...

http://zeitfragen.blog.de/2009/05/09/weltrevolutio...

http://zeitfragen.blog.de/2009/05/07/sozialistisch...

http://zeitfragen.blog.de/2006/01/18/warum_der_kap...~483257/

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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