Dietrich Stahlbaum: Köhlers Rücktritt (Leserbrief, aktualisiert)

Leserbrief an das Medienhaus Bauer, Marl (aktualisiert)

– Von Dietrich Stahlbaum, Recklinghausen
– Betr.: Köhlers Rücktritt
– Vom: 1. Juni

Die zum Teil heuchlerischen Reaktionen auf Köhlers Äußerungen über militärische Einsätze im Ausland waren sicherlich nur letzter Anlass. Denn der Bundespräsident hatte in einem etwas holprigen Deutsch nichts anderes gesagt, als was längst Handlungsgrundlage deutscher Militärpolitik ist, der Öffentlichkeit jedoch verschwiegen wird: "Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg."

Der Flieger war wohl in Turbulenzen geraten. Regierungsparteien und Teile der Opposition sind es dann auch.

Zwar wurden westliche Militärinterventionen bisher als humanitäre Maßnahmen getarnt, aber solche Ideen sind nicht neu: Bereits 2005 hatte ein Bundeswehrgeneral bei einem Reservistentreffen im Hertener Schloss erklärt, außer der Bekämpfung des internationalen Terrorismus, der Drogenkriminalität und der „inter-ethischen Konflikte“ durch die Bundeswehr müsse die Nutzung der „internationalen Energieressourcen“ gewährleistet bleiben (Generalmajor Oerding lt. Recklinghäuser Zeitung vom 27.9.05).

Was heißt das konkret? Es heißt, statt fairer und ökologischer Handelsbeziehungen dürfen US- und europäische Konzerne unter militärischem Schutz in der „Dritten Welt“ Regenwälder abholzen, riesige Anbauflächen für den Bedarf des Westens an Futtermitteln (Soja, Mais) und Plantagen (Obst, Ölpalmen u. a.) anlegen und für Hungerlöhne arbeiten lassen. Es heißt, die Profite der Öl- und Gaskonzerne und die Sicherheit der Versorgungswege des Westens machen „im Notfall“ auch militärische Einsätze „notwendig“, ohne Rücksicht auf zivile Opfer, auf Frauen, Kinder, alte Männer, die dabei getötet oder verstümmelt werden. Es heißt, man holt sich alles, was man zu brauchen meint, „im Notfall“ gewaltsam von anderen und ordnet Völkerrecht und Menschenrechte eigenen Interessen unter, kurz, man missbraucht diese Rechte. Darin offenbart sich eine Mentalität, die der Kapitalismus zwar nicht hervorgebracht, aber in unserer Gesellschaft „kultiviert“ hat.
Ohne Humanität, ohne soziale Gerechtigkeit global ist jedoch kein dauerhafter Frieden möglich.

Darf ein Bundespräsident nicht mehr die Wahrheit sagen?

[Unter diesem letzten Satz als Titel am 2. Juni in den Zeitungen des Medienhauses Bauer veröffentlicht]

Bürgerreporter:in:

Dietrich Stahlbaum aus Recklinghausen

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