„Deutsch ins Grundgesetz“ – Politische Schaumschlägerei?

Immer wieder taucht sie aus dem Nebel politischer Hinterbänklerei auf – die Forderung „In Deutschland wird Deutsch gesprochen und geschrieben“ als Artikel in unser Grundgesetz aufzunehmen. Eine entsprechende Schlagzeile in Deutschlands größtem Verblödungsblatt - und quer durch fast alle Fraktionen macht sich populistische Hektik (die bekanntlich geistige Flauten verdecken soll) breit.
http://www.stern.de/politik/deutschland/glosse-war...

Daß im GG auch was von der Würde des Menschen (Art1), der freien Entfaltung der Persönlichkeit und die Meinungs- (und Rede)freiheit (Art.5) steht wird nicht weiter wahrgenommen von Scheuklappenträgern die keine Zusammenhänge erkennen können oder wollen, und denen auch eine gewissen Grundbildung in „Was ist Deutsch?“ und bezüglich gewisser Eigenarten unserer Nachbarländer zu fehlen scheinen – oder sie verleugnen diese aus politisch-taktischen Gründen – was schlimm, aber in unserer von eben denselben geforderten „Leitkultur“ wohl inzwischen zum (politischen) Tagesgeschäft gehört.

Hand aufs Herz - wieviele Artikel hat unser Grundgesetz, und welche davon kennst Du? Und wieviel ein Artikel im GG in der Praxis wert ist zeigt die Realität nur zu deutlich.

Was soll diese Forderung bewirken?
Einen national angehauchten Populismus schüren mit billigen Mitteln? Eine andere Wirkung wird es kaum haben.
Werden jetzt vor allem die islamophoben/fremdenfeindlichen „Knöllchen-Fritzchen“ aus den Löchern kommen, Geschäfte absuchen nach englischen Modebegriffen und Anwälte wieder viele teure Abmahnungen schreiben dürfen? (Auch so ein Auswuchs unserer "Leitkultur")

Ausländischen Touristen und Geschäftsleuten am Flughafen oder Bahnhof einen Zettel mit „Englisch/Französisch/Japanisch ist hier nicht gestattet“ aushändigen?

Die Prügelstrafe forden für Kinder die auf dem Schulhof türkisch sprechen?

Syrisch sprechenden Syrern mit sofortiger Abschiebung drohen?

Oder Anzeige gegen mich erstatten wenn ich es wage auf der deutschen Seite der Rheinfähre mit französischen Freunden französisch zu sprechen oder mich auf Dari mit einem Afghanen unterhalte wegen „Verstoß gegen das Deutschtum“?

Muß ich jetzt meine Bestellung bei einem Lieferanten in der USA auf Deutsch schreiben?

Oder werden jetzt alle Lehnwörter zwangsweise aus dem Duden entfernt und in deutsche Synonyme umerzogen?

Viel Spaß dabei – das haben schon mal blondblauäigige Deutschtümler versucht – mit Ergebnissen die nur als Lächerlich bezeichnet werden können – mir ist kein einziger Begriff wie z.B. der „Viertopfknalltreibling“ für den Vierzylindermotor bekannt der die 1000 Jahre bis zum Untergang überlebt hätte.

Als „Argument“ wird gern das Beispiel diverser Europäischer Länder genannt die einen entsprechenden Artikel in ihrer Verfassung haben.
Dazu auf der Internet-Seite des SPD-Politikers Thorsten Hilse (Pankow II) ein Zitat des sog. „Deutsch-Papstes“ Wolf Schneider:
„Es ist doch grotesk, dass in Österreich und Liechtenstein Deutsch als Landessprache in der Verfassung verankert ist, in Deutschland aber nicht.“
Nun – wenn man sich Lage und Bevölkerung dieser Staaten ansieht ist dies keineswegs grotesk. Beide befinden sich an Schnittstellen verschiedener Sprachgebiete bzw. waren ein Viel-Völker-Staat (Frage an Otto v. Habsburg bezüglich seines Tips zum Länderspiel Östereich-Ungarn. Rückfrage: "Gegen wen?").

Was steht in der Verfassung Österreichs?
„„Die deutsche Sprache ist, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik.“.
Der Duden: Staats|spra|che, die: offizielle Sprache eines Staates.
Die Offizielle. Nicht die Einzige.
Also eine Festlegung auf Deutsch als „offizielle“, aber keineswegs einzig zugelassene Sprache in Österreich, im Gegenteil: Minderheitliche Sprachen sind durch die Verfassung ausdrücklich geschützt.

Dagegen der von Hilse unterstützte Antrag:
"Die Landessprache ist Deutsch. Sie wird von den staatlichen Organen und öffentlichen Institutionen des Landes Berlin geschützt und gefördert."
Frage: Niederdeutsch ist als Zugehörigkeit zur deutschen Sprache umstritten. Kann das Plattdeutsch demnach künftig in Behörden und Schulen verboten werden?
Fördern: Ja. Das tut der Staat schließlich heute schon.
Schützen? Wie? Und vor was?

Mit politischen Erfolgen kann Herr Hilse allerdings bislang wohl nicht aufwarten - seine Homepage läßt darüber jedenfalls nichts erkennen.

Folgerichtig hat der „Verein Deutsche Sprache“ folgenden Vorschlag unterbreitet:
„Die Amtssprache der Bundesrepublik Deutschland ist Deutsch“.

Amtssprache. Also das, was in den nachrangigen Gesetzen bei uns längst enthalten ist und dennoch den Gebrauch anderer Sprachen zuläßt.
Dies kann man auch in der Übersicht der Verfassungen anderer Länder erkennen – bemerkenswert dabei ist daß Länder wie Belgien und die Schweiz ALLE ethnischen Sprachen ausdrücklich in die Verfassung aufgenommen hat. In Frankreich ist es nur Französisch – eine Auswirkung der Französischen Revolution nach der schon der Gebrauch aller anderen ethnischen Sprachen (u.a. Korsisch, Bretonisch, Deutsch, Cataolisch, vollständige Übersicht hier: http://de.wikipedia.org/wiki/Sprachen_in_Frankreic...) bei Strafe verboten war. Wohl gemerkt – es handelt sich hier meist um eigenständige Sprachen, nicht um Dialekte!
Es kam infolge immer wieder zu Unruhen und in den 60ger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde das Verbot gelockert – so gibt es z.B. inzwischen wieder Schulen die Bretonisch unterrichten und zweisprachige Ausschilderungen.

Pikanterweise sind einige der von Hilse aufgeführten(!) Mitstreiter wie der ehem. Abgeordnete und Verteidigungsminister Struck zwar nicht gegen eine Aufnahme in die Verfassung, er merkt aber gleichzeitig "Wir würden natürlich eine solche Maßnahme mittragen. Es spricht ja gar nichts dagegen festzustellen, dass unsere Sprache Deutsch ist", sagte er in Berlin. Er schränkte jedoch ein, für eine Erweiterung der Verfassung gebe es viele andere, wichtigere Bereiche und verwies auf Kinderrechte und "Sport als wichtiges Lebensgut".

Eine politische Ohrfeige würde ich das nennen.

Was die Entstehung und Gebrauch von Lehnwörtern angeht hier ein umfangreicher Artikel von Sprachwissenschaftler Peter von Polenz dazu: http://www.vds-ev.de/texte-zur-deutschen-sprache/6...

Festzustellen ist danach auch daß die deutsche Sprache unserer und auch vorhergehender Zeit ohne Fremd- bzw. Lehnwörter überhaupt nicht mehr vorstellbar ist – wir hätten weder den (arabischen) Admiral, kein (persisches) Paradies oder die (polnische)Peitsche, keinen (skandinavischen) Ski oder Sauna geben und auch die Kartoffel kommt aus Italien – nicht nur die Pizza!
Eines wird von Deutschtümlern gern unterschlagen – nämlich daß die Liste deutscher Worte in anderen Sprache fast ebenso lang ist...
Dazu aber mehr in einem folgenden Artikel.

Von Polenz stellt aber auch fest daß insbesondere durch „Denglische“ Begriffe nicht nur durchaus entsprechende deutsche Worte verschwinden, sondern daß der Gebrauch des Sprachstils (die Diskussion hatten wir ja bisweilen schon) nachläßt. Wer heute deutschen Schülern zuhört oder ihre Aufsätze liest da grausts die Sau.
Bücher lesen - gar noch dazu Klassiker - völlig daneben, aber gerade das fördert die Spracherziehung!
Und daß insbesondere von der Produktwerbung englische Begriffe völlig weg von ihrer tatsächlichen Bedeutung benutzt werden (Versuch doch mal in England einen „Body“ zu kaufen!), und das läßt sich auch in diversen Artikeln, besser: Geschreibsel in myheimat.de (also künftig meineheimat.de) verfolgen.

Also – auch auf die Jubelperser für diese Initiative kommen schwere Zeiten zu – ihre Kenntnisse in deutscher Rechtschreibung, Grammatik und Sprachstil werden wohl künftig kritischer beobachtet werden.
Das allerdings könnte sich für PISA wiederum positiv auswirken.

In meinen Augen ist diese Initiative so überflüssig wie ein Blinddarm denn sie beschreibt eine Selbstverständlichkeit. Trotz napoleonischer Herrschaft sprechen wir nicht französisch – haben aber einige französische Worte zur Belebung unserer Sprache aufgenommen.
Auch wird im Ruhrgebiet nicht polnisch gesprochen.
Und eigentlich müßten wir schon seit mehr als 2000 Jahren Latein reden- der Römer wegen.
Tun wir aber nicht.

Und Deutsch wird weder von Türkisch noch einger anderen Sprachen bei uns verdrängt, auch wenn es einige Sarrazin-Hype-verliebte, islamophobe Zeitgenossen so darstellen wollen.

Interessante Artikel hierzu unter
http://www.vds-ev.de/texte-zur-deutschen-sprache

Bürgerreporter:in:

Edgard Fuß aus Tessin

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