Eine Speisekarte mit Dame - meine Herren, wollen Sie ihre Frau loswerden ?

Eine Speisekarte mit Dame - american stories - von Uwe Kampmann

Sich zu überlegen woher er abstammte wäre müßig gewesen. Ob aus Rußland, aus China, vom Nordpol oder aus Deutschland, egal woher. Vielleicht kamen seine Vorfahren aus Polen oder Italien, egal, sie konnten nichts dafür, außer das sie ihn in einer langen Ahnenreihe, als zur Zeit letztes Endglied ihrer Leiber in die Welt gesetzt hatten. Für sein Gesicht war er selber verantwortlich. Dreck, nichts anderes war sein Lächeln, eine Ansammlung von Dreck, fett wie eine Made, der Anzug nur die teure Ausführung eines Mülleimers. Seine Finger, kleine, manikürte Wurstzipfel. Goldene Ringe, eine teure Uhr, es hätte nicht des teuren Parfüms bedurft. Er stank auch so, nach Geld. Sein Name ist uninteressant, auch wenn er mit Goldprägung seine Visitenkarte besticht. Er besitzt in Chicago eine Arena für Windhundrennen, ein Dutzend Wohnblocks in New York und ein Haus in Florida. Sein Chauffeur und der Wagen kosten ihn im Jahr sechzigtausend Dollar.
"Das Leben ist zu kurz, die Zeit zu knapp und den Geist muß man in der Brieftasche tragen", sagte er. "Das ist die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe."
Sein Lächeln schien mir ehrlich.
Eigentlich sitze ich mit ihm im Restaurant nur am selben Tisch. Ich habe ihn nie vorher gesehen. Ich denke, `Ich werden über ihn schreiben.´
Ich sage : "Ich bin Schriftsteller."
"Und was schreiben Sie ?"
"Ich suche interessante Menschen."
"Schwer zu finden", behauptet er.
"Ich glaube es ist schwieriger über Tiere zu schreiben ", sage ich, "zum Beispiel über Maulwürfe. Wissen Sie wie ein Maulwurf lebt ? Ich meine nicht das er Erdhügel aufwirft, daß erfährt schließlich schon jedes Kind, daß zum ersten Mal das Wort Maulwurf hört und fragt was ist ein Maulwurf ? Wissen Sie das Maulwürfe blind sind ? Ich meine für unser Verständnis total behindert."
"Ja, jetzt wo Sie es sagen, ich erinnere mich, tatsächlich habe ich davon gehört. Das ist schon lange her. Ich habe nie mehr darüber nachgedacht ", antwortet er.
"Also, mich beschäftigen Maulwürfe schon", sage ich. "Ihre Finger mit denen sie ihre unterirdischen Gänge graben, sehen aus wie Finger. Ich meine, wie menschliche Finger. Sehr langgliedrig, stark durchblutet, mit einer robusten Haut überspannt und mit langen Fingernägeln. Als ich die Fingernägel zum ersten Mal sah, habe ich gedacht, Frauen die auffallen wollen, würden einen Maulwurf um seine Fingernägel beneiden, wenn sie je solche gesehen hätten."
"Interessant", sagt er, "ich wußte nicht das Maulwurffinger dem Menschen ähnlich sind."
"Sie haben gedacht, sie hätten so etwas ähnliches wie Krallen oder Schaufeln an ihren Pfoten, nicht wahr ?"
"Ja genau, Finger wie beim Menschen, daran habe ich nie gedacht."
Er hatte sich nie in seinem Leben darüber Gedanken gemacht, ob die Pfoten Krallen oder Schaufeln ähnelten. Das ich sagte, die Finger sähen menschenähnlich aus, interessierte ihn.
"Anatomisch gesehen gibt es natürlich Unterschiede. Maulwürfe haben keinen Daumen, obwohl sie fünf Finger haben, aber keiner ist so kurz wie ein Daumen.
"Aha", sagt er und blickt in seine Hand.
Ich beuge mich über den Tisch und sage : "Stellen Sie sich Ihren Daumen so lang wie Ihren Zeigefinger vor."
Seine Finger liegen eng zusammen, sie lassen keinen Zwischenraum. Er hält seine Hände nebeneinander, die Handflächen nach oben. Er hält sie gewölbt wie ein Gefäß. Mit Wasser gefüllt, kein Tropfen könnte entrinnen.
"Sehen Sie", sage ich.
"Ja, ich kann mir vorstellen was Sie meinen."
"Wirklich ?", frage ich.
"Was meinen Sie ?"
"Ihre Handlinien."
"Meine Handlinien ?"
"Interessant ", sage ich.
"Sie verstehen etwas davon ?" Ich weiß, er wird mir Zeit lassen. "Sagen Sie, Sie verstehen etwas von Handlinien ?"
"Sir ?" Wir beide blicken zum Kellner auf.
"Darf ich servieren ?"
Ich ziehe meinen Kopf zurück. " Bitte ", ich blicke meinen Tischnachbarn an und sage :" Ich möchte nicht, daß Ihre Speise kalt wird."
Der Kellner beginnt mit seiner Arbeit. Ich muß noch warten. Es macht mir nichts aus.
"Aber nachher ?"
Ich nicke und sage: "Lassen Sie es sich schmecken."
Er nimmt den Löffel. Auf der Suppe schwimmt ein Eigelb. Er faßt es mit dem Löffel und läßt es zwischen seinen fetten Lippen verschwinden. Hastig folgt der Rest. Er schiebt den Teller zur Seite, führt die Serviette zum Mund, läßt sie los, sie fällt zurück auf seinen Schoß, dann streckt er mir die Hände entgegen.
"Sir."
Ich sage :"Sorry."
Meine Vorspeise ist gekommen. Ich greife zur Gabel.
"Sie sind nicht nur Schriftsteller ?"
"Auch", sage ich. Ich wickel die Nudeln um die Gabel. Dann beginne ich zu kauen. Als der Bissen in meinem Magen gelandet ist sage ich : "Hier kann man gut essen." Ich lege die Gabel zur Seite und greife mein Rotweinglas.
"Zum Wohl ", sage ich.
Er nimmt sein Glas.
Als wir die Gläser absetzen bringt ihm der Kellner den zweiten Gang. Neben dem argentinischem Steak liegt eine Kartoffel in Staniolpapier eingewickelt.
Ich führe die Gabel zum Mund. Ich könnte ihm jetzt sagen, bevor ich Nudeln in den Mund nehme, was ich gesehen habe. Er wartet darauf. Sein Blick ist so gierig wie seine Hand. Warum überhaupt sollte ich etwas sagen. Das er mich gefragt hat ist kein Grund eine Antwort zu geben. Während ich kaue, es schmeckt mir, beobachte ich wie er das Fleisch zerschneidet. Die Kartoffel liegt noch in der Folie. Wirklich, dem Lokal gehört ein Kompliment. Die Messer sind scharf. Das Steak ist medium zubereitet. Das Blut quillt aus den Fasern. Mein Gegenüber beginnt sich mit der Kartoffel zu beschäftigen. Ich trinke einen Schluck Wein und lege die Gabel auf den Teller.
"Haben Sie wirklich etwas gesehen ?", fragt er.
"Natürlich ", sage ich, " Sie sind ein interessanter Mensch."
"Aber Sie könnten nichts über mich schreiben, ich meine ein Buch, Sie wissen kaum etwas über mich."
"Doch."
"Was doch ? Ein Buch ?"
"Sir ?"
"Bitte." Ich lehne mich zurück.
Der Kellner serviert.
"Übrigens, mich hat das sehr beschäftigt." Ich blicke den Kellner an. "Verstehen Sie etwas von Maulwürfen ?"
"No Sir, die haben wir nicht auf der Speisekarte."
"Vom Fleisch her auch so wenig ergiebig wie Tauben", füge ich hinzu, "man müßte wenigstens sechs von ihnen haben."
Der Kellner bewegt seine Mundwinkel nach unten und zieht sich zurück
"Die Sympathie wird sich über das Trinkgeld regeln, bevor es soweit ist braucht man auf Kellner keine Rücksicht zu nehmen ", sage ich.
Mir gegenüber, lacht der Mann.
"Was Sie gesagt haben ", er zeigt mit dem Messer und der Gabel auf sein Steak und die Kartoffel, "schmeckt mir." Dann folgt ein Blick, den er dem Kellner nachwirft, um mir anschließend zuzunicken, während ich mir die Zitrone über die Auberginen träufle.
"Wo haben Sie das gelernt ?"
"Was ? "
"Na, Handlinienlesen."
"Ich war in Indien, außerdem hat meine Großmutter und Mutter ", ich beginne zu kauen.
Ich beobachte ihn, dann schlucke ich während er weiterkaut.
"Mit den Maulwürfen, ich habe mich gefragt, blind und tief in der Erde, wie schaffen sie es zueinanderzufinden und Nachwuchs zu zeugen ? "
"Sie haben recht, darüber was zu schreiben, ist verdammt schwierig."
Ich esse und lasse ihn mit vollem Mund reden.
"Ich finde", sagt er, "es ist viel einfacher über Menschen zu schreiben. Man muß sich nur unter sie mischen. Ehrlich gesagt, wenn ich Zeit hätte könnte ich auch ein paar Geschichten schreiben."
"Würden Sie wollen ?"
Er blickt über den Teller.
"Ich kenne ein paar Frauen, die haben Fingernägel wie Maulwürfe." Er lacht.
Ich sage :"Maulwürfe haben ein schönes Fell, es ist schwarz und glänzt, aber sie sind zu klein. Für einen Pelz müßten viele Tiere sterben."
Er entfaltet des Staniolpapier. Eine riesige Kartoffel kommt zum Vorschein. Er bricht mit der Gabel ein Stück ab, spießt es auf die Zinken und steckt es in den Mund zwischen einen Rest gut durchgekautem Fleisch. Er hat es eilig etwas zu sagen, gießt einen Schluck Rotwein in das Gekaue und sagt: "Zu einem argentinischen Steak muß man die Kartoffeln mit Schale essen."
"Ja ", erwidere ich, "mit Schale schmecken Kartoffeln sehr natürlich."
Er zeigt mit seinem Messer auf meinen Teller und fragt :"Sind Sie Vegetarier ?"
"Eigentlich ja, ich kenne nur eine Ausnahme, aber Menschenfleisch ist nur selten zu bekommen."
Ich beobachte ihn. Er weiß nicht, soll er kauen oder schlucken. Als Zwischenlösung scheint er sich fürs Zurückkotzen auf den Teller entscheiden zu wollen.
Ich sage: "Bleiben Sie ruhig und essen Sie weiter. Maulwürfe fressen sich auch gegenseitig auf, daß ist völlig normal." Mit dem Messer schiebe ich mir eine Aubergine zurecht. "In Öl gebackene Auberginen ergeben im Mund ein Gefühl als würde man Fleisch essen. Am besten dazu ist die großblättrige Petersilie. Immer wenn ich Lust auf Fleisch verspüre, entscheide ich mich für gebackene Auberginen." Ich ziehe die Gabel aus dem Mund zurück und blicke ihn an. Obwohl ich weiß, daß man nicht mit vollem Mund sprechen soll, sage ich : "Sie haben in Ihrer Liebeslinie ein großes Durcheinander."
"Haben Sie das im Ernst gemeint, mit dem Menschenfleisch, dann würden Sie auch Hundefleisch essen ?"
"Genausowenig wie Katzen mag ich Hundefleisch, ich sagte Ihnen doch, eigentlich bin ich Vegetarier."
"Aber Sie sagten doch...."
"Ich sagte, Menschenfleisch ist sehr selten."
Er räuspert sich. Dann legt er sein Messer und seine Gabel über Kreuz auf den Teller, neben das restliche Steak.
"Werden Sie satt von den Auberginen ?", fragt er.
"Sie sind eben nur ein Ersatz ", erwidere ich.
"Sir ?"
Er blickt zu dem Kellner hoch und sagt :"Den Teller können Sie mitnehmen. Mit dem Nachtisch warte ich bis der Herr", er blickt auf mich," fertig gegessen hat."
Als der Kellner sich einige Schritte entfernt hat, sagt er : "Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie sagen mein Liebesleben ist durcheinander, überflüssiger Weise bin ich mit einer Frau verheiratet, die ich nicht liebe."
"Das ist oft so ", erwidere ich. "Hat man Sie erst mal, wird man Sie schwer wieder los."
"Aber Sie sagten doch, Sie lieben Menschenfleisch, ich meine Sie essen es gerne."
"Ja, richtig. Zum Nachtisch hätte ich gerne einen Kaffee und einen Whisky."
"Ich meine, meine Frau, da ist einiges dran. Also, ich hätte nichts dagegen wenn Sie mal probieren möchten, von mir aus auch mit Petersilie. Ich möchte nicht falsch verstanden werden, ....."
"Ich habe Sie verstanden, Sie möchten die Unordnung in Ihrem Leben verändert."
"Ich habe schon öfters darüber nachgedacht. Sie möchte keine Scheidung. Ich meine nur, Sie mögen so etwas, vielleicht kann ich Ihnen damit einen Gefallen tun."
"Ja natürlich, vielleicht haben Sie zufällig ein Bild von ihr dabei ?"
Er greift in seine Jackentasche seines Innenfutters.
"Hier ", er reicht mir ihr Bild über den Tisch.
Mein erster Eindruck sagt mir : "Ein dickes Rippchen." Nach einer Weile sage ich, er blickt gespannt zu mir herüber : "Gefärbte Haare verderben den Geschmack, außerdem mag ich es lieber wenn die Hüften nicht doppelt so breit wie die Schultern sind."
"Ich kann nichts dafür, Sie mag Schokolade, Sie ist süchtig danach. Aber eingefroren, vielleicht würde sie ein Jahr lang reichen."
"Das ist natürlich ein Argument aber ich habe keine Kühltruhe." Ich winke den Kellner heran und sage: "Ich möchte einen Kaffee und einen Kentucky black Label."
"Für mich auch."
Als der Kellner sich entfernt hat, sagt er: "Natürlich würde ich Ihnen auch noch etwas geben. Geld für eine Kühltruhe und Gewürze."
"Das ist gut", sage ich.
"Ich könnte Sie mit meiner Frau bekannt machen. Sie könnten sagen, Sie wollen ein Buch über mich schreiben."
"Oh ja, Ihre Frau würde stolz auf Sie sein. Sie müßte darin vorkommen."
"Natürlich, wir sind seit fünfundzwanzig Jahren verheiratet. Das dürfen Sie nicht verschweigen. Wenn ich Sie morgen zu uns einladen darf. Ich könnte Ihnen Photos zeigen als Sie jünger war, ich glaube, daß würde Ihren Appetit anregen."
"Natürlich", sage ich und wische mir mit der Serviette über den Mund.
"Sie bekämen von mir sechzigtausend Dollar."
"Und was gibt es zu essen ?"
Er zögert. "Auberginen ?"
Ich nicke. Ohne mich in Gedanken festlegen zu wollen, sage ich : "Einverstanden."
"Mein Chauffeur kann Sie morgen abholen."
"Ich werde in der Bar vom Plaza sitzen. Er soll nach Doktor Pauli fragen."
"Sie sind Doktor, Mediziner ?" Er schien darüber mehr überrascht zu sein als über alles andere was er bisher über mich erfahren hatte.
"Ich kann nichts dafür, meine Eltern wollten es." Es war nicht gelogen, meine Eltern hatten gewollt, daß ich als Doktor graduierte. Ich hatte die Universität besucht, ich war immer mit dabei, bei den Demonstrationen auf dem Campus, gegen den Muff unter den Talaren, aber den Mief selbst wollte ich nie einatmen. Es hatte bisher auch immer so gelangt. Seien Sie doch mal ehrlich, fragen Sie nach dem Diplom wenn jemand sagt : "Ich bin Doktor " ?.........

Bürgerreporter:in:

Uwe Kampmann aus Offenbach

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