Ende des Zweiten Weltkriegs in Rössing : Kindheitserinnerungen

22. Februar 1945
Rössinger Schloßteich, 31171 Nordstemmen

Es war im April 1945 als ich zum ersten mal amerikanische Soldaten sah. Sie standen zu zweit auf den Betonstufen einer Kellertreppe, in Rössing. Im Hause Ehlers kamen sie auf uns zu. Gemeinsam mit Bewohnern der Nachbarhäuser hatten meine Mutter und ich im Keller Schutz gesucht. Wir saßen dicht aneinander gedrängt, auf einer dieser schmalen Holzbänke, die wir aus so vielen Hildesheimer Luftschutzkellern kannten.
Nacht für Nacht mussten wir in Hildesheim, durch Sirenengeheul aufgeschreckt, in solche Schutzräume laufen. Nur tagsüber gingen wir bei Fliegeralarm manchmal in die nahegelegene Parkanlage, den Liebesgrund. Dort gab es eine Reihe von Luftschutzstollen. Feucht, dunkel und mit ängstlich zusammen hockenden Menschen überfüllt, vermittelten sie kein Gefühl von Sicherheit, sondern verursachten Beklemmung und Bedrückung.

Dennoch verzagte oder weinte ich nicht, als mir meine Mutter am 22. März, etwa zur Mittagszeit sagte, sie müsse mich für einen Augenblick im Stollen allein lassen. Sie müsse eben mal nach hause laufen und käme bestimmt schnell wieder, um mich dann abzuholen. Ich solle auf jeden Fall am selben Platz sitzen bleiben. Also: "Nicht weggehen!" Küsschen.
So blieb ich allein, saß verlassen unter fremden Menschen, die, ähnlich wie ich, auf Erlösung hofften und warteten. Ihre Erwartungen waren mit dem "Entwarnung" genannten Sirenengeheul verbunden, meine mit der Rückkehr meiner Mutter.

Sich als Kind im Erdstollen oder Luftschutzkeller allein gelassen zu fühlen, ist ein einschneidendes, auf Lebenszeit prägendes Erlebnis.
Schlimmes stand mir an diesem Tage noch bevor. Auch nicht das Schrecklichste, was in meinen Gedanken während dieser halben Stunde des Alleinseins in meinen Gedanken kreiste, nämlich dass Menschen durch einen Bombenabwurf im Luftschutzkeller verschüttet wurden, erstickten, verbrannten und manchmal nur als verkohlte Leichen geborgen worden seien. Wurde nicht erst vor ein paar Wochen erzählt, das am Anfang des Liebesgrunds, dort wo auf der Rasenfläche am Hagentor neue Erdbunker gebaut worden sind, Menschen ertranken. Viele Kinder aus umliegenden Häusern, ich unter ihnen, hatten beim Bau der Erdbunker (Deckungsgräben) zugesehen. Wir nannten sie Splittergräben. Das schien passend, denn sie bestanden ja lediglich aus einem Graben, der mit Erdreich überdeckt war. Dazu war es erforderlich den wohl gut 20 Meter langen und knapp 2 m tiefen Graben mit stabilen Rundhölzern (Baumstämmen) in Form eines flachen Dachstuhls zu überbauen. Oben wurde mit Reisig oder Brettern, schließlich mit Erde und zum Schluss mit Grasoden abgedeckt. Alle Seiten waren außen abgeschrägt Das Ganze sah einem künstlichen Hügel ähnlich. Kinder krabbelten gern hinauf. Oben aus der ebenen Grasfläche ragten hölzerne Lüftungshauben heraus. Sie erinnerten ein wenig an Vogelhäuschen oder Nistkästen.
Dann erfuhr ich eines Tages, etwas Schreckliches sei geschehen.
Menschen starben. Warum konnten sie nicht aus dem Bunker hinaus?
War der Deckungsgraben von einer Sprengbombe getroffen und Eingang verschüttet worden? Nein!
In der Schützenallee hatte eine Bombe eine sehr große Trinkwasserleitung zerrissen. Das Wasser füllte den Bombentrichter, strömte dann über die Straße, über den Rasen und überflutete schließlich den Splittergraben.

Der einzige Ein- und Ausgang befand sich an der Längsseite. Er war durch eine Balkenwand und Erdaufschüttung zwar gegen Druckwellen geschützt. Das ganze Bauwerk mochte vor Druckwellen, splittern und anderen herumfliegenden Dingen schützen, nicht aber vor dem was bei Bombenabwürfen als Volltreffer bezeichnet wurde.
Nur ein einziges mal, waren meine Mutter und ich während eines Fliegeralarms in einem solchen Schutzgraben gegangen. Danach nahmen wir lieber den etwas weiteren Weg bis zu den Stollen in kauf. Gleich wenn wir unter dem "Schwungseil" hindurch kamen, standen linker Hand die verfallenen Reste eines Gebäudes aus Naturstein, dann folgten bis zum Schneidlerschen Graben, wohl mehr als fünf Stolleneingänge.

Etwa in der Mitte diese Reihe lag jener Stollen, den wir unseren nannten. Dort saß ich nun an jenem verhängnisvollen Märztage, mit meinen Gedanken allein gelassen mit meinen Gedanken an verschüttete, verbrannte oder ertrunkene Menschen.

Die schrecklichen Bilder verschwanden erst aus meinem Kopf, als mein Stiefvater vor mir stand, um mich nach hause zu holen.

Außerhalb des Stollens empfing uns die Frühlingssonne. Wir wohnten im Langen Hagen. Bis dort war es nur ein kurzer Weg.
Unsere Fahrräder standen im Hof. Auf ihnen wollten aus dem Stadtgebiet flüchten. Meine Mutter war bereits mit ihrem Rad bis zu einer vereinbarten Stelle im Borsumer Holz, voraus gefahren. Dort wollten wir sie treffen und solange bleiben bis Sirenen das Ende des Fliegeralarms anzeigen wüeden.

Dazu kam es nicht. Mein Vater und ich wollten gerade unsere Räder von Hof auf die Straße schieben, da hörten und sahen wir etliche Flugzeuge über uns. Zielmarkierungen, die wir Tannenbäume nannten schwebten vom Himmel. Sie signalisierten: Höchste Gefahr!
Und tatsächlich, die ersten Bomben explodierten bereits, als ich in den Keller unseres Hauses geschoben wurde. Er war erst wenige Monate zuvor zu einem Luftschutzraum umfunktioniert worden

Dort überlebten wir den verheerenden Bombenangriff vom 22. März 1945.
Das alle Sinne verwirrende Getöse, das Heulen herabfallender Bomben, die Detonationen, das zusammenstürzen der Häuser, das Beben des Grundes, die Erschütterungen des Mauerwerks steckten mir noch "in den Gliedern", als es wenige Wochen später schon wieder donnerte. Diesmal in Rössing.
Schon stundenlang hatte uns fernes Grollen beunruhigt. Ich hatte mich unter dem Sofa in Tante Friedas Wohnzimmer verkrochen. Das sei nur ein nahendes Gewitter, sagte man mir.

Dennoch nannte mich niemand Angsthase. Als ich aus meinem Versteckt hervor kroch. wir eilten über die Straße zu Ehlers in den Keller. Es handelte sich also gar nicht um ein Gewitter. Im Freien konnte man Abschuss und Einschlag von Geschützfeuer hören. Die Front rücke immer näher heran, sicherlich kämen die Gegner aus Richtung Nordstemmen, wurde vermutet.

Jetzt saßen etliche Schutzsuchende im Kellerflur der Gastwirtschaft. Ich an der Seite meiner Mutter.

"Die Brücke in Poppenburg oder am Marienberg werden die Feinde brauchen um über die Leine zu kommen", sagte jemand. Vielleicht sind diese Übergänge schon gesprengt, mutmaßte ein anderer. Einige glaubten nicht an eine ernsthafte Gegenwehr von deutscher Seite. Für sie existierte gar keine Front. Spott schwang im Unterton mit, als das Wort Werwolf fiel. Was war damit gemeint?
Solch einen Werwolf stellte ich mir sehr viel schrecklicher vor, als den, der Rotkäppchens Oma gefressen hatte. Ich verbarg meinen Kopf im Schoß meiner Mutter.

Bald sprach niemand mehr im Keller. Auch oben, von der Straße oder aus dem Haus war nichts zu hören. Einer der Männer hielt das nicht mehr aus. Er ging die Kellertreppe hoch, öffnete die Kellertür und für einen Moment erfüllte helles Tageslicht unseren Zufluchtsort. Das Glöckchen über der Haustür bimmelte, wie stets wenn sich der Türflügel bewegt wurde und da wussten wir, dass sich der unruhige junge Mann hinaus auf den Hof gewagt hatte.
Die Außentüren des Hauses wurden nie verriegelt. Ehlers Diele, der Hausflur direkt über uns, galt als halböffentlicher Raum, war Zugang zur Gastwirtschaft und zugleich Eingang zur Poststelle Rössing.

Bedrückende Stille herrschte im Halbdunkel des Kellers seit der junge Mann gegangen war, schließlich verebbte auch der Kanonendonner Alle Aufmerksamkeit richtete sich auf womöglich von oben kommende Geräusche. Schließlich vernahmen wir ein zunehmendes Rauschen. Es handelte sich um heranrollende Fahrzeuge. Bald hörten wir welche direkt am Haus vorbeifahren. Panzerketten rasselten, ließen den Keller erzittern. Mich ebenso.

Was mag dort draußen geschehen?

Die Türglocke ertönte. Meine Mutter legte die Arme um mich. Wir zuckten zusammen als Tageslicht durch offene Türen zu uns hinunter schien. Wir saßen direkt gegenüber der Kellertreppe, das Licht blendete. Über uns vernahmen wir Schritte in der Diele, hörten verhaltene Stimmen, das Öffnen und Zuschlagen von Zimmertüren und wussten: Nun sind sie da!
Die Amerikaner waren im Haus. Zwei standen jetzt auf der Treppe. Aus dem blendenden Tageslicht kamen zu uns herunter, schauten uns an, öffneten die vier oder fünf Türen, die zu anderen Kellerräumen führten.
Dann gingen sie wieder nach oben, ließen uns ratlos allein.

Alles an diesen Amis unterschied sich völlig vom dem, was ich bis dahin bei deutschen Soldaten auf Kasernenhöfen beobachtet oder in Wochenschauen gesehen hatte, also für normal hielt und deshalb auch auf Soldaten anderer Nationen bezog. Bei diesen Amerikanern gab es kein Befehlsgeschrei, kein Getrampel mit eisenbeschlagenen Ledersohlen, keine Schüsse, keine Drohungen mit vorgehaltenen Waffen.

Ich erinnere mich nicht, wie lange wir an jenem Tag im Keller blieben. Unsere Angst vor den "Feinden" wich wohl alsbald, aber meine in Luftschutzräumen erlebten Ängste wirkten Jahre lang nach. Noch als Erwachsener Mann hätte es mir leicht passieren können, beim Gang in einen Keller schnell wieder hinauf gehen zu müssen, um nicht mit nassen Hosen dazustehen.

Damals in Rössing fanden wir oben im Haus die
Räume unberührt. Durch den Einmarsch der Amerikaner hatte es keine Zerstörung oder gar Verwüstung gegeben.

Nach ein paar Tagen wagten wir Kinder uns wieder aus den Häusern, bewegten uns frei auf Straßen und Höfen, betrachteten die Fremden mit viel Neugier, zwar mit Scheu, aber ohne Furcht und fanden vieles so sonderbar, dass wir jede Gelegenheit zur Beobachtung der amerikanischen Soldaten nutzten.

Ehlers Küchentür stand ein wenig offen und ich sah von der Diele aus zwei "Amis" am Küchentisch sitzen. Sie hatten offenbar gerade zu Mittag gegessen. Der Tisch war voll gestellt mit Konservendosen. In einer steckte noch ein Esslöffel. Die beiden Männer aßen offenbar nicht gesittet von Tellern sondern direkt aus Dosen, ja sie tranken sogar daraus.

Alle Dosen waren dunkelgrau-oliv gestrichen, in einem ähnlichem Farbton wie fast alle ihre Fahrzeuge. Eins davon, ein riesiger Lastwagen stand unter dem Kastanienbaum auf Ehlers Hof, dort wo früher gelegentlich mal ein mit Kohlen beladener Pferdewagen zu sehen gewesen war. Im Pferdestall neben dem Kohlenlager, gab es 1945 aber längst keine Tiere mehr.

Schräg gegenüber auf dem Hof vor Kreipes Arbeiterhäusern neben der Scheune von Bauer Hesse, stand ein Panzer. Einige Soldaten spannten ein Tarnnetz vom Dach des Stalles über Panzer und andere kleine Fahrzeuge. Einer der Männer reparierte irgend etwas an einem Motor. Seine Arbeitsuniform - den Begriff Overall lernte ich damals kennen - war über und über mit schwarzem Öl verschmiert. Ebenso seine Hände. Als er zur Pumpe ging, glaubten wir, er würde sich waschen wollen. Deshalb ergriff einer von uns Jungen zum Pumpenschwengel, auch um ihm zu zeigen wie so eine Wasserpumpe funktioniert. Tatsächlich er hielt seine Hände unter den Wasserstrahl. Jemand sagte "Ohne Seife ?!"
"Kernseife haben die bestimmt auch in Dosen, wetten."
Einen Moment glaubten wir, er hätte uns verstanden, denn er wendet sich von der Pumpe ab, ging zu seinem Jeep und kam mit einer Dose zurück, hielt sie uns entgegen.
Sie enthielt gelbe und orangefarbene Drops. Jeder von uns durfte zugreifen.

Sein Reinigungsproblem löste er zu unserm Erstaunen anders. Während er sich wieder dem Jeep zu wandte, zog seinen Overall aus und benutzte dessen weniger verdreckte Innenseiten, um damit die gröbste Schmiere von seinen Händen und Unterarmen zu wischen. Wie einen alten Putzlappen warf er danach seine nun allseits verschmutzte Arbeitskleidung in einen flachen Blechbehälter, schüttete aus einem Kanister reichlich Benzin darüber und stampfte mit einem Holzscheit darauf herum.

Ob seine Art der chemischen Reinigung erfolgreich verlief, weiß ich nicht zu sagen.

An einem der folgenden Tage kam ein Jeep die Lange Straße herunter gebraust, bog bei der Gaststätte rechts um die Ecke und stoppte abrupt vor dem gegenüberliegenden Haus. Mehrere Soldaten rannten zur Haustür, stürmten hinein. Alsbald erschienen sie hinter dem Backhaus. Ganz offensichtlich suchten sie etwas, versteckte Waffen glaubten wir. Besonders gründlich nahmen sie sich den Schauer neben der Beeke vor. Bei den Soldaten befand sich ein Zivilist, ein Landarbeiter vielleicht. Er schien sich auf dem Grundstück auszukennen.
Er war eifrig beschäftigt Gartengeräte, Bohnenstangen und allerlei andere Dinge um und um räumen, dennoch blieb die Suche erfolglos. Vom Schauer aus hatten die Männer wiederholt über den Holzzaun in die Beeke geguckt. Schließlich lehnten sie sich auch über das Eisengeländer des kleinen Stegs. Gerade so wie wir es manchmal machten, wenn dort Fische im Wasser zu sehen waren. Die Amis überlegen, ob auf dem Grund des Baches vielleicht etwas zu finden sei, glaubten wir.
Als sie zu ihrem Fahrzeug zurückkehrten war für uns das Schauspiel beendet.
Vorerst ­­­­- tags darauf folgte der nächste Akt.

Die "Schütte" (Schütze) am Mühlenwehr waren offen. Das Wasser lief ab und entlang der Bachufer zeigten sich breite Schlammstreifen. Hier und da zappelte ein Weißfisch im flachen Rinnsal und fesselte unsere Aufmerksamkeit.
Dann sahen wir die Amerikaner wieder auf dem Steg. Der Landarbeiter war auch erneut aktiv. Aber nicht unter dem Dach bei den Bohnenstangen, sondern in der stinkenden Mudde der Beeke. Er musste Meter für Meter den Schlamm durchwaten, mit einer Harke darin herum stochern und manchmal auch mit den Händen tief hineingreifen.
Womit mochte er diese Strafe wohl verdient haben?

Es gibt ein weiteres Ereignis, das ich mit den letzten Kriegstagen in Verbindung bringe.

Der Damm zwischen Dollenbergs Grundstück und dem Rössinger Schlossteich war ein beliebter Aufenthaltsort für uns Kinder. Wie freudig erregt liefen wir am Ufer entlang als auf der Beeke Pappröhren an geschwommen kamen. Mit einer Gartenharke ans Ufer gelenkt und aus dem Wasser gezogen, entpuppten sie sich später als Behälter von Treibladungen für Geschosse.
Es waren also Kartuschen. Sie mögen wohl etwa 10 cm dick und gut einen Meter lang gewesen sein. Sie bestanden aus vielen Lagen Ölpapier. Vielleicht war es auch gewachstes Papier, jedenfalls weichten sie im Wasser nicht auf und waren ziemlich wasserdicht und mit einer Art Hülse verschlossen. Man öffnete die Kartuschen einfach indem man einen kleineren Teil vom Rest des Papprohres drehend abzog.
Nachdem wir die ersten Kartuschen untersucht und leer gefunden hatten, kamen andere an geschwommen, die mit einem Ende tiefer im Wasser hingen. In ihnen musste folglich irgend etwas Schweres enthalten sein.
Manchmal war das nur ein wenig Wasser manchmal kamen Holzbrettchen zum Vorschein. Richtig spannend wurde es jedoch, als ein prall gefülltes Päckchen herausrutschte. Es bestand aus einem weißem Leinen- oder Nesselbeutel, der mit kleinen dunkelgrauen Stäbchen gefüllt prall gefüllt war.
Dass es sich dabei um zusammen gepresstes Schießpulver handeln könnte ahnten wir. Also wurden entsprechende Versuche angestellt. Und tatsächlich, sie ließen sich leicht entzünden, bei Sonnenschein z.B. auch mit einer Lupe, einem Brennglas. Sie entflammten schnell und mit ähnlicher Flamme sowie dem typischen Geruch und zischendem Geräusch wie beim Abbrennen von Schwarzpulver, das wir es aus den Messinghülsen der Gewehrmunition kannten.

Wie kommen 10-jährige Bengels an scharfe Munition? Das was heute nahezu undenkbar erscheinen mag, war in den Jahren 1945/50 so ungewöhnlich nicht.
Es war zwar etwas Besonderes, Verbotenes allemal, über so etwas zu verfügen. Es kam aber vor, dass irgend ein Junge aus seiner Tasche z.B. eine Karabinerpatrone zog, um seinen Spielgefährten zu imponieren.
So geschah es einmal an der Parkmauer am Schlossteich. Lass sie uns in ein Feuer legen, mal sehen ob sie explodiert. Eine verrückte und gefährliche Idee, zu deren Durchführung es eines Schutzes bedurfte. Die ausbaldoverte Lösung hörte sich wie folgt an:
"Wir nehmen eine Konservendose und eine handvoll Kartuschen, legen die Patrone hinein und zünden das Ganze an."
"Dann brauchst du eine Zeit lang nicht mehr zum Haareschneiden zu gehen," warnte einer.
"Am besten wir stellen die Dose hier an die Mauer und werfen von oben ein brennendes Streichholz hinein. So hoch reicht die Flamme niemals. Die Mauer bietet Deckung, wenn die Patrone auseinander fliegt."

So geschah es dann.
Die ersten Versuche ein brennendes Zündholz von der Mauerkrone hinab in die Dose fallen zu lassen scheiterte. Dann hörten wir ein Fuhrwerk kommen. und sahen schließlich einen Bauern seinem Ochsengespann vorausgehend die Straße entlang kommen. Die Dose stand ausgerechnet in dem Moment in Flammen als er ihr sehr nahe war. Er stutzte kurz, als er das Feuerchen sah, dann ging er zu unserem Schrecken, offenbar unbeeindruckt weiter. Als es gleich darauf Peng machte, waren wir Bengel längst hinter der Mauer im Gebüsch des Schlossparks verschwunden, verfolgt vom schlechten Gewissen.
Stolz waren wir auf diese "Heldentat" nicht.

Durch ein noch leichtsinnigeres Handeln nahe der Schlossparkmauer, hatte sich ausgerechnet mein Stiefvater einen ähnlichen Unfug erlaubt. Wir sahen einen Jungen der eine Handgranate verstohlen unter seiner Jacke vorzeigte. Mit nahezu verschwörerisch klingender Stimme fragte mein Stiefvater, wo er die denn her habe. Es war eine diese Stielhandgranaten, der deutschen Wehrmacht, keine dieser Eierhandgranaten, die die Amerikaner besaßen und dennoch behauptete der Junge sie aus einem Jeep geklaut zu haben.
"Gib her!" befahl mein Vater. Der Junge gehorchte. Aber statt die Soldaten herbei zu rufen, nahm mein verrückter Alter Herr das gefährliche Ding, stellte sich an das Teichufer und schickte sich an, den Zündungsring abzureißen, fing an bis drei zu zählen, so wie er wie wahrscheinlich beim Volkssturm üben musste, zog ab und schleuderte das Ding ins Wasser, vergaß nicht, uns Kindern vorher schnell noch zu sagen: "Stellt euch hinter einen Baum."
Es gab nur einen dumpfen Knall, gefolgt vom lauten Klatschen mit dem die Wassersäule zurück fiel. Deshalb gab es wohl auch keinen großen Menschenauflauf. Nur ein Mann kam, wollte wissen, was passiert sei. Die bis auf die Straße gespritzte Schlammbrühe, rühre von einem großen Stein her, den er ins Wasser geworfen habe, erklärte mein Vater frech.

Kein gutes Vorbild dachte ich, vermied es wohl deshalb jemals mit ihm über diesen den Vorfall zu sprechen.

Bürgerreporter:in:

Rolf Schulte aus Hildesheim

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