Rössing - vor rund 60 Jahren.

Im Hintergrund bei den Fichten die damalige üllkippe
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Rössing – damals, vor rund 60 Jahren.
Meist fahre ich Auto und fast immer fahre ich die gleichen Strecken. Obwohl ich in Rössing wohne, bleibt mein Wohnort dabei im wahrsten des Wortes „auf der Strecke.“ Das ergibt sich so, denn um den täglichen Bedarf zu decken, muss ich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nach auswärts fahren. Und die „wenigen Rössinger Ausnahmen“ liegen ebenfalls direkt an meinen „Hauptrouten.“
Gelegentlich aber drehe ich das Lenkrad – der bloßen Neugier wegen – in die falsche Richtung und zuckele langsam durch den Ort. Dabei bemerke ich, mit Ausnahme der großen durchgeführten Straßenbaumaßnahmen, dass sich nicht sehr viel verändert hat. Am auffälligsten für mich war in den letzten Jahren das Verschwinden einer baufälligen Scheune an der Kirchstraße.
Die kleinen Veränderungen sind nicht so augenfällig. Umso sichtbarer aber ist der Wandel, den Rössing seit meiner frühen Kindheit erfahren hat.
Ich erinnere mich genau an das damals pulsierende Geschäftsleben in unserem schönen Ort. Handel und Handwerk an allen Ecken!
Stellvertretend sei die „Lange Straße“ aufgeführt. Jede Menge Geschäfte, Handwerksbetriebe, Behörden und auch die Müllkippe waren hier angesiedelt. Und – als wäre das noch nicht genug – mindestens elf landwirtschaftliche Betriebe.
Dabei bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich mich lückenlos an alles Dagewesene erinnere und nicht doch etwas vergessen habe.
Ich beginne meine kleine Wanderung im Osten der Langen Straße, dort, wo sie in die Kirchstraße einmündet und wandere nach Westen. Hier war die Lange Straße damals noch Feldweg und ich muss einige hundert Meter laufen, um zur ehemaligen Müllhalde zu kommen. Links, vor der Gasse zum Rössingbach, verbirgt sie sich unter dichtem Baumbewuchs. Die Asche der Rössinger Haushalte wurde hier abgelagert. Pferd und Wagen mit Holzrädern war das Transportmittel und bei starkem Wind wurde mit zunehmender Wegeslänge die Aschelast für das Pferd immer geringer. Damals nahm man das hin, hatte es doch den Nebeneffekt der kostenlosen Düngung der Hausgärten…
Die erste „Behörde“ auf meiner Wanderung war auf dem Hof Kasten untergebracht. Hier regierte und residierte der Schiedsmann. Eine Respekt und Achtung gebietende Persönlichkeit in seinem Amts-Wohnzimmer stellte er dar mit einem unermesslichen Schatz von Güte in seinem Inneren. Ich erinnere mich, auch bei mir musste er damals die Wogen glätten, denn „allzu deftige Streiche“ waren mir alles andere, aber niemals fremd!
Der erste Gewerbebetrieb auf meiner Wanderung nach Westen war damals die Bäckerei Dollenberg. Ab hier ging es fast großstädtisch zu. Ein Geschäft reihte sich an das Andere. Allein im Hause Ehlers waren die Post, eine Gastwirtschaft und ein Kohlenhandel untergebracht! Dann, 50 m weiter - auch auf der linken Seite - eine Stellmacherei und daneben ein Lebensmittelgeschäft. Im gleichen Haus zusätzlich ein Elektrobetrieb mit angegliederter Schlosserei.
Das nächste Haus Weber beherbergte einen „Gurkeneinmachbetrieb“, jedenfalls gingen wir und die ganze Umgebung dorthin, um einkochen zu lassen. Gegenüber produzierte eine weitere Stellmacherei hölzerne Räder für die damaligen Ackerwagen.
Der kleine Abstecher nach links, den Mühlenberg hinunter, führt mich zur ehemaligen Mühle. Eine Menge Kindheitserinnerungen verbindet mich auch heute noch mit ihr.
Doch die Mühle war keineswegs der Endpunkt des Geschäftslebens in der Langen Straße, denn gleich anschließend im “Grüneschen Haus“ befand sich eine Schlachterei. Heutigen Vorschriften hätte sie nicht genügt, aber unseren Bedürfnissen damals allemal! Und ein Würstchen aus der Milchkanne war immer für uns Kinder vorgesehen.
Das Glücksspiel spielte auch eine Rolle und so war es zwingend, auch dieses Bedürfnis befriedigen zu können. Das selten und wenn doch, dann mager ausfallende Glück, konnte man auf dem Weg zum Schlachter auf dem „Baxmannschen Hof“ in der Toto und Lotto Annahmestelle suchen und auch gleich seinen Zigarettenbedarf dort decken.
Weiter geht meine Wanderung und schon das nächste Haus beherbergte wieder einen Gewerbebetrieb. Einen Kohlenhandel. Darüber gibt es nur so viel zu erzählen, das nicht alles Kohle war, was nach Kohle aussah! Billige Deisterkohle war es und der Feldsteinanteil in der Kohle gehörte als ungeliebtes Beipack dazu.
Das grandiose Finale des Geschäftslebens in der Langen Straße befand sich neben dem Kohlenhandel. Ein Wunder von Geschäft, wie es in unserer heutigen Zeit undenkbar wäre. Ein Betrieb, dessen Inhaber die Haare schnitt, das Rasiermesser geschickt schärfen und noch geschickter zu handhaben verstand. Ein Mann, der sich Friseur und Drogist nannte und auch, wenn es gar zu arg mit den Zahnschmerzen wurde, sogar die Zähne zog, so wurde erzählt ud ich habe keinen Zweifel daran! Meister Siede, ein Alleskönner unter den handwerkelnden Händlern!
Ab Siede bis zur Einmündung in die Maschstraße breitete sich geschäftliches Brachland aus – so, wie auch heute noch.
Ich habe für die Lange Straße einmal zusammengefasst:
Eine Müllkippe - zwei Behörden - Dreizehn Handwerker, Händler und Gaststätten - und sage und schreibe elf landwirtschaftliche Betriebe, einschließlich einer Schäferei, säumten damals die Lange Straße. Wenn in der Langen Straße kein Leben herrschte, wo dann!

Die Bildfolge ist in der Reihenfolge eingestellt, in der ich die Geschäfte beschrieben habe - von Ost nach West. Es sind künstlerisch keine wertvollen Fotos. Sie dienen lediglich der besseren Orientierung und Information, denn viele, wenn nicht die meisten Leser, werden sich gar nicht mehr daran erinnern, was sich damals in der Langen Straße wirklich abspielte!

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Nieschalk aus Nordstemmen

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