Das wahre Glück... (Sowas gibt's öfter als man denkt!)

„Schön, dass Sie anrufen, meine Liebe.
Sie fragen, wie es mir geht?
Hören Sie, große Veränderungen, alles ist jetzt anders als vorher.
Die Liebe, endlich die große Liebe, das wahre Glück zu zweit, was kann es schon Schöneres geben? So etwas begegnet einem eben nur einmal im Leben. Ich kann es kaum ausdrücken, kaum in Worte fassen – ich bin einfach rundherum glücklich.
Nun ja, ein paar Sorgen hat man ja immer, aber was sind schon Rosen ohne Dornen? Ich kann’s nicht leugnen, es gibt schon einige Schwierigkeiten. Ganz erhebliche sogar.
Am schlimmsten sind eigentlich die ständigen Schikanen seiner Ehefrau. Verdammt noch mal, ja, er ist noch verheiratet.
Er hat eine Frau, der größte Irrtum seines Lebens, wie er sagt. Er ist zu mir gezogen, mit fast nichts auf dem Leib, hungrig, zerlumpt, niedergeschlagen und fertig, so sehr gequält hat sie ihn. Sie hat nicht mehr für ihn gewaschen und auch nichts mehr für ihn gekocht, nur noch für die Kinder.
Ja, verdammt noch mal, er hat Kinder, vier, im Alter von zwei bis fünf.
Diese Frau hatte ständig das ganze Geld verbraucht. Natürlich war alles knapp, aber was kann er, der Schwächling, denn der Frau und den Kindern schon bieten, wenn er nicht arbeitet?
Seine Mutter, die zu ihrer bescheidenen Rente noch Putzen geht, zahlt ihm den Unterhalt für die Kinder.
Eine fleißige, gute Frau.
Alles was andere so über ihn sagen ist nichts anderes als Geschwätz. Aber ich weiß genau, woher dieses Geschwätz kommt. Diese niederträchtige Frau will mir nur mein Glück nicht gönnen, dabei kann sie ihm das gar nicht geben, was er braucht.
Er ist so zart, so schwach und so ungeschickt, er bekämpft seine Laster, wo er nur kann und so gut es geht. Aber das ist alles nicht so einfach für ihn.
Der arme Junge ist in falsche Kreise geraten, hat aber vor kurzem einen Entzug begonnen, oder jedenfalls will er ihn demnächst beginnen oder so.
Aber ist er denn überhaupt schon bereit dazu?
Ich nahm ihn in den Arm und sagte ihm, dass er sich keine Sorgen zu machen braucht, ich würde vorläufig schon für uns beide sorgen. Ich dränge ihn nicht, um ihn nicht endgültig zu zerbrechen. Er ist doch so sensibel. Es wäre in der Tat fatal.
Ich, nun ja, ich verdiene nicht sehr viel, aber für uns beide reicht es schon. Wenngleich er auch das meiste davon für sich braucht, für Zigaretten und seine täglichen Kneipenbesuche. Aber dafür hab ich selbst ja das Rauchen aufgehört und dann geht das schon. Ich meine, was hat er denn schon von seinem Leben?
Er beschwert sich zwar ständig, dass er eine größere Wohnung, einen Farbfernseher, bessere Klamotten und vielleicht ein Auto - am liebsten ein amerikanisches - haben will, aber im Moment geht’s einfach nicht.
Mal sehen, ob ich noch nebenbei irgendwo für ein paar Stunden eine Putzstelle finde, damit ich ihm seine Wünsche erfüllen kann.
Er ist ja so zartfühlend und empfindlich.
Gestern hatte er geweint und er konnte sich einfach nicht beruhigen, dass sein Leben so verpfuscht sei. Ich sagte ihm, dass das Wichtigste doch unsere Liebe ist, meine große, unerschütterliche Liebe zu ihm.
Ich bin zu meiner Nachbarin gegangen, um mir ein paar Euro zu borgen, damit er in seine Kneipe gehen konnte um wenigstens seine alten Kumpels zu treffen, der Arme.
Als er dann heim gekommen ist, ist er angezogen aufs Bett gefallen und sofort eingeschlafen wie ein Kind. Aber genau das ist es, was ich so an ihm mag; seine Weichheit, seine Knabenhaftigkeit, seine Hilflosigkeit, obwohl er schon bald die fünfzig auf dem Buckel hat – über zwanzig mehr als ich! Und dabei sieht er manchmal aus wie ein Schuljunge.
Neuerdings weint er oft.
Ich frage ihn dann immer, ob er Angst vor dem Alter hat oder was. Zur Arbeit eignet er sich nicht, dafür ist er viel zu nervös. Aber im Moment haben wir andere Sorgen. Er hat nämlich große Angst, dass sie ihn ins Gefängnis stecken werden.
Wie anfangs schon erwähnt, ist er halt nur in falsche Kreise geraten, lauter schwache und niederträchtige, nichtsnutzige Typen, sage ich Ihnen, und die haben irgendwo eingebrochen und ihn da mit reingezogen.
Aber selbst wenn sie ihn einsperren sollten, er wird ja irgendwann wieder entlassen werden und dann zu mir zurückkehren. Also braucht er im Moment gar nicht so verzweifelt zu sein, er ist ja schließlich nicht alleine, er hat ja mich noch. Ich lass ihn schon nicht im Stich.
Aber ich muss jetzt auflegen, es ist gerade so ein entsetzlicher Krach im Treppenhaus, hören Sie es?
Er war die ganze Nacht unterwegs, und sicher kommt er jetzt gerade heim und hat Hunger, mein armer Junge.

Ja..., dann bis bald mal...“

Wolfgang Kreiner©2005

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Kreiner aus München

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