WENN BRIEFMARKEN ERZÄHLEN (13): VIGNETTEN – ABER DOCH NICHT FÜR AUTOBAHNEN! (TEIL 1)

Werbung für "Muckefuck" 1910
12Bilder

Was ist eine Vignette? Nur ein buntes (teures) Bildchen zum Aufkleben auf die Windschutzscheibe? Ha!!! Weit gefehlt!

Vignetten haben eine lange Geschichte. Als Siegelmarken waren sie zunächst rund und trugen nur ein Wappen oder Initialen. Erst in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts tauchten Siegelmarken mit kleinen Bildern als Werbemittel für Ausstellungen auf. Sie wurden auch als Reklame-, Gebühren-, Stempel-, Anlass-, Siegel-, Weihnachts-, Spenden-, Militär-, Propaganda-, Wohltätigkeits- und Veranstaltungsmarken bezeichnet, die von privaten Firmen, Vereinen, Parteien aber auch staatliche Institutionen herausgegeben wurden. Sie alle haben keinen postalischen Wert sondern dienen der freiwilligen Spende oder einfach nur der Verschönerung eines Briefumschlages.

Die hohe Zeit dieser Marken war wohl 1890 - 1920. In der Blütezeit von 1900 - 1914 gab es sogar mehr Reklamemarkensammler als Briefmarkensammler. Das nicht zu Unrecht, denn viele dieser Marken trugen wunderschöne Motive. Alleine in Deutschland wurden nach Schätzungen bis 1913 mehr als 50.000 verschiedene Ausgaben gedruckt.

Diese Marken können auch heute noch für relativ wenig Geld erworben werden, obwohl es schwer ist, so manche dieser Marken zu entdecken, da damals einige in recht geringer Stückzahl hergestellt wurden. Umso mehr freut sich der Sammler, wenn er so ein kleines Kunstwerk entdeckt. Für ernsthafte Philatelisten bieten diese bunten gezähnten Zettelchen eine willkommene Abwechslung in der komplizierten Postgeschichte.

Meist waren die Marken als Serien konzipiert. Manche Firmen gaben großzügig die ganze Serie auf einmal ab, andere wieder tüftelten ein kompliziertes Verteilungssystem aus. Das Schuhwarenhaus Speier etwa gab in seinem Hauptgeschäft zwei Marken eines 6-teiligen Satzes aus, in zwei Filialen jeweils eine weitere Marke. Die beiden letzten Marken aber erhielt nur der Kunde, der auch ein paar Schuhe kaufte. Andere Firmen wieder legten ihre Marken den Packungen ihrer Ware bei. Wer den kompletten Markensatz haben wollte, musste die größte Packung kaufen.

Im Januarheft 1913 der Zeitschrift „Das Plakat" kann man lesen: „Einer Seuche gleich griff der neue Sport des Propagandamarkensammelns unter der Münchner Jugend um sich." Der Autor Dr. Adolf Saager berichtet weiter: „Beim Viktualienmarkt trafen sich die Jungen zu bestimmten Stunden und hielten eine regelrechte Börse mit den begehrten Marken ab. Man musste in der Schule strenge Verbote erlassen, und die Polizei wurde aufgeboten, um das Verkehrshindernis der Freiluftbörse zu beseitigen. Aber alles half nichts." Ähnliches berichtet ein Dr. Hans Sachs aus Berlin: „Auf allen größeren Spielplätzen werden Reklamemarken gehandelt." Und natürlich waren es nicht nur Kinder, die von dieser Epidemie erfasst wurden. Es kam zur Gründung von Reklamemarkensammler-Vereinen, die eigene Zeitschriften herausgaben und öffentliche Ausstellungen veranstalteten.

Doch, so schnell, wie die Epidemie ausgebrochen war, so schnell klang sie auch wieder ab. Schon 1914 wird von einem Abflauen des Reklamemarken-Sammelns berichtet. Der Ausbruch der Epidemie ist schwer zu datieren, dürfte jedenfalls nicht vor 1910 anzusetzen sein. Die Zeit der Hochblüte dürfte nur drei oder vier Jahre gedauert haben. In diesem kurzen Zeitraum erfasste die „Remarkomanie" (eine bemerkenswerte Wortschöpfung aus jener Zeit) den gesamten deutschen Sprachraum und griff auch auf die Nachbarländer über. In Italien, in England, in Dänemark und in Russland, ja selbst in den Vereinigten Staaten von Amerika wurden Reklamemarken gedruckt. Aber in keinem dieser Länder erreichte die Produktion ein so gigantisches Ausmaß, wie im deutschen Sprachraum.
Die alten Reklamemarken werden heute zu Preisen zwischen 2 und 5 Euro gehandelt. Auf den Flohmärkten wird man nur noch selten fündig. Besser sind die Aussichten auf den Spezialmärkten für Papierobjekte. Auch auf den Märkten für Ansichtskartensammler tauchen mitunter Reklamemarken auf.
Wer bereit ist, ganze Alben zu kaufen, kann oft noch recht günstig eine Sammlung aufbauen. Mancher Händler hat keine Lust. die Marken abzulösen und gibt lieber ein Album mit 300 Marken Inhalt geschlossen für 50 bis 100 Euro ab. Da es seinerzeit nur Alben mit Blankoseiten gab, auf welche jeder Sammler eben die Marken klebte, die er erbeuten konnte, sieht jedes Album anders aus. Kinder klebten die Marken oft einfach in Schulhefte. Seltener tauchen gepflegte Sammlungen auf. Diese erzielen dann natürlich höhere Preise. So wurde etwa im Jahre 1978 die berühmte Rampacher-Sammlung, welche aus rund 60 000 Gelegenheitsmarken aus allen Ländern bestand, für 96 000 DM versteigert. Ein Franzose zog dieses Objekt an Land. Verschiedenen Zeitungsnotizen der letzten Jahre war zu entnehmen, dass das Stadtarchiv Frankfurt, das Gutenberg-Museum in Mainz und das Deutsche Museum in München Sammlungen von Reklamemarken besitzen. Über den Umfang dieser Sammlungen fanden sich keine Angaben.
Siehe auch: http://www.myheimat.de/marburg/beitrag/78193/vigne...

Die Fotos 1, 2, 3, 7 und 8 und wichtige Infos zu diesem Artikel verdanke ich: http://sammler.com

Bürgerreporter:in:

Hans-Rudolf König aus Marburg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

2 folgen diesem Profil

11 Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.